Doping im Radsport:"Die Ärzte haben selbst gespritzt"

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Bert Dietz, der ehemalige Kollege von Jan Ullrich, gesteht systematisches Doping beim Team Telekom. Er belastet die Ärzte schwer, geht der Frage nach Jan Ullrich allerdings aus dem Weg.

Jürgen Schmieder

Bert Dietz sitzt gelassen da, die Hände hat er vor dem Bauch verschränkt, er spricht mit ruhiger Stimme. Man könnte denken, er sei ein Wissenschaftler, der sein neues Buch vorstellen möchte oder ein Moderator, der für eine Fernsehsendung wirbt. Der Mann ist jedoch ehemaliger Radprofi und gesteht gerade bei "Beckmann", jahrelang gedopt zu haben. Von 1994 bis 1998 fuhr er für das Team Telekom und bekam dort eine Anleitung zu systematischem Doping.

"Der Druck war hoch", sagt Dietz. Er verzieht dabei keine Miene, er wirkt auch nicht, als würde er gerade eine Sensation verkünden. War man beim Auftritt von Jan Ullrich vor wenigen Wochen entsetzt, wie kryptisch und wirr Ullrich seine Version darlegte - so überrascht ist man, wie ruhig und gelassen Dietz seine Geschichte erzählt.

Er erklärt kurz die vertragliche Situation vieler Radprofis: Es habe nur Ein- oder Zweijahresverträge gegeben. Die wurden nur bei den Profis verlängert, die im Frühjahr entsprechende Ergebnisse vorweisen konnten. "Das Rennen am Henninger Turm war meist die Grenze", sagt Dietz. Das schwächste Glied seien die Fahrer gewesen.

Aus diesem Grund sei gedopt worden: "Man will seinem Beruf nachgehen. Man erkennt: Mit normalen Mitteln komme ich da nicht hin. Ich riskiere sogar, keinen Vertrag für das nächste Jahr zu bekommen", sagt Dietz. Bedenken habe er weggewischt, da er den Ärzten vertraute, die ja für die Gesundheit der Sportler zuständig gewesen seien: "Man wusste oft nicht, was da drin war."

Man muss sich das einmal vorstellen: Bert Dietz wurde während seiner aktiven Karriere niemals mit Doping in Verbindung gebracht. Nun sitzt er bei Reinhold Beckmann und erzählt seelenruhig, wie während seiner aktiven Zeit beim Team Telekom systematisch gedopt wurde. Eine Spritze mit leistungsfördernden Mitteln gehörte dazu wie Training und Massage. Die Team-Telekom-Ärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid sowie der geständige Team-Masseur Jef d'Hont hätten den Fahrern unerlaubte Mittel empfohlen.

Zuerst sei es Cortison gewesen, später auch Epo. "Und wenn wir vorne mitfahren wollen, müssten wir wahrscheinlich dieses neue Mittel probieren", hätten Heinrich und Schmid im Trainingslager auf Mallorca erläutert. Damals seien diese Mittel noch nicht nachweisbar gewesen. "Später musste man vorsichtiger sein", sagt Dietz. Er besaß eine eigene Zentrifuge, um kontrollieren zu können, dass er nicht über den Grenzwert komme.

Auf die Frage von Beckmann, ob die Teamärzte den Gebrauch von Epo angeordnet oder angeboten hätten, antwortete Dietz: "Sie haben es angeboten, aber natürlich in so einer Form, dass es jeder wusste: Wenn ich es jetzt nicht nehme, habe ich wahrscheinlich am Jahresende so schlechte Ergebnisse, dass mein Vertrag nicht verlängert wird. Es war schon eindeutig." Die Ärzte hätten die Mittel, wenn sie anwesend waren, auch selbst gespritzt.

Das Geständnis fällt Dietz freilich leichter als noch aktiven Fahrern. Dietz betreibt mittlerweile einen Versand von Sportartikeln, ist also weder als Fahrer, Trainer oder sportlicher Leiter aktiv. Er hat durch sein Geständnis keine direkten Konsequenzen zu erwarten. "Andere Fahrer müssen doch Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und nie wieder bei einem Rennstall angestellt zu werden", sagt Dietz. Als Reaktion von seinen damaligen Kollegen erwarte er, dass noch aktive Fahrer ihn in die Ecke mit den Nestbeschmutzern stellen werden. Das Handy werde er morgen nur einschalten, um seine Frau anzurufen.

Ein Urteil über andere Fahrer - die beiden ehemaligen Spitzenfahrer Jan Ullrich oder Bjarne Riis etwa - will sich Dietz allerdings nicht erlauben: "Wissen Sie, Herr Beckmann, ich bin hier, um meine Geschichte zu erzählen." Er wolle nicht wie andere mit dem Finger auf andere Menschen zeigen oder jemanden beschuldigen. Dietz schweigt also - aber man fragt sich: Wenn ein Fahrer aus der zweiten Reihe systematisch von den Ärzten des Team Telekom gedopt wurde, was geschah dann mit den Spitzenfahrern Ullrich und Riis? Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. "Ich habe auch keinen Kontakt mehr zu Ullrich. Ich habe seine Handynummer, habe auch mal angerufen, aber er geht nicht ran", sagt Dietz.

Ullrich hat bisher stets alle Dopingvorwürfe zurückgewiesen. "Ich habe in meiner Karriere nicht betrogen und niemanden geschädigt", hatte der Tour-de-France-Sieger von 1997 bei seinem Rücktritt am 26. Februar gesagt. Wiederholt stritt Ullrich auch eine Verstrickung in die Dopingaffäre um den spanischen Mediziner Eufemiano Fuentes ab.

Wenn man sieht, wie Bert Dietz Beckmann gegenübersitzt und ruhig spricht, hat man nicht den Eindruck, dass er eine Sensation enthüllen oder einen neuen Skandal um Jan Ullrich auslösen möchte. Er wirkt wie ein Mann, der sich etwas von der Seele redet, der seine Geschichte erzählt und einen Teil der Geschichte des Radsports. Und dazu gehört anscheinend Doping - auch von anderen Fahrern des damaligen Telekom-Teams.

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