Doping im Radsport:"Bodenlose Dummheit"

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Doping-Kronzeuge Jörg Jaksche wendet sich in einem Brief an Gerolsteiner-Teamchef Holczer, der ausgeschlossen hatte, Jaksche unter Vertrag zu nehmen.

A. Burkert und T. Kistner

Am Donnerstag ist Jörg Jaksche im Schnee joggen gewesen, daheim in Ansbach, er machte Zwischenstation bei den Eltern. Jaksche möchte sich fit halten für den Fall, dass ihm doch noch jemand ermöglichen sollte, seinen Traumberuf auszuüben. Jaksche ist Radprofi. Immer noch. "Bis zum Jahresende werde ich abwarten", sagt er, doch wenn bis dahin kein Rennstall auf ihn zugekommen sei - dann will Jaksche studieren, "ich schaue mich schon um", sagt er.

Schwieriger als eine Steilfahrt nach Alpe d'Huez erscheint es jedenfalls dem Doping-Kronzeugen Jaksche, 31, ins Peloton zurückzukehren. Das hat er diese Woche wieder erfahren müssen. Jaksche hat ja momentan etwas mehr Zeit, im Internet zu surfen, trotz seiner zahlreichen Vortrags- und Interviewreisen.

Zu wenig ausgepackt?

Und so stieß er auf Äußerungen seines einstigen väterlichen Begleiters Hans-Michael Holczer, dem Teamchef des Gerolsteiner-Rennstalls. In der Online-Ausgabe des Magazins Stern äußerte Holczer auf die Frage nach einer möglichen Verpflichtung Jaksches: "Dem einen Vertrag geben? Damit brauche ich im Hause Gerolsteiner niemandem zu kommen. Dort ist man nicht zufrieden mit dem Umfang dessen, was Jaksche ausgesagt hat."

Der aktenkundig äußerst umfassend geständige Dopingsünder Jaksche hat sich darüber so geärgert, dass er einen offenen Brief an Holczer verfasste. Er schreibt: "Diese Aussage erweckt (...) den Eindruck, Du wüsstest, dass ich nicht allumfassend über Dopingpraktiken Dritter ausgesagt hätte, (...) um damit Personen zu schützen. (...) Nach Deinen Ausführungen (...) sei dies der Hauptgrund, mich nicht zu verpflichten. Diese implizierte Aussage des Teams Gerolsteiner - eines Teams, das die letzten Jahre von Doping-Auffälligkeiten und -fällen selbst betroffen war - entspricht gottseidank nicht der Wahrheit. Denn (...) man muss ja geradezu von bodenloser Dummheit sprechen, wenn man die Informationen, die zu einer weiteren juristischen Verfolgung führen, der Öffentlichkeit preisgibt und Personen die Möglichkeit der Vertuschung (...) einräumte." Selbstverständlich, so Jaksche weiter, habe er Institutionen wie das Bundeskriminalamt (BKA) bei Vernehmungen mit weiteren Details versorgt - "um strafrechtlich gegen Dritte aktiv werden" zu können.

Jaksche hatte im Sommer jahrelanges Doping gestanden, seine Kundschaft beim spanischen Arzt Fuentes eingeräumt und Mediziner sowie seinen früheren Teamchef Gianluigi Stanga belastet; auch der CSC-Rennstall von Bjarne Riis, bei dem Jaksche 2004 fuhr, wurde genannt. Jaksche erhielt dank der Kronzeugenregelung nur eine einjährige Sperre bis Anfang Juli 2008; er hat jedoch beim österreichischen Verband (wo er lizenziert ist) Einspruch eingelegt, um sechs Wochen früher wieder fahren zu dürfen - damit er für Teams interessanter ist.

Holczer und Jaksche kennen sich seit den gemeinsamen Anfängen beim RSV Öschelbronn; auch im Sommer, nach den spektakulären Enthüllungen, standen sie eng in Kontakt. Dass Holczer, der im Antidopingkampf gerne eine offensive Rolle einnimmt, wegen vermeintlich unzureichender Aussagen ein Angebot an Jaksche ausschließt, verwundert in jeder Hinsicht. Jaksche schreibt dazu: "Dieser Artikel hat mir (...) vor Augen geführt, dass 1.) scheinbar nicht jeder hinreichend über das Rechtsmittel des Kronzeugen informiert ist und somit 2.) 'Der Pate' als Lehrmittel im bundesdeutschen Klassenzimmer eingeführt werden sollte. Denn die Anwendung der Kronzeugenregelung findet oft zur Gänze im Verborgenen statt, um den Kronzeugen vor möglichen tiefgreifenden Konsequenzen, der Vendetta, um im 'Paten'-Kontext zu bleiben, zu schützen ( ...)." Jaksche ahnt, dass Holczers Argumente vorgeschoben seien. Nestbeschmutzer sind nicht willkommen, nirgends, auch nicht bei Teams wie Gerolsteiner oder T-Mobile, die angeblich immer schon oder inzwischen für eine neue Linie stehen.

Sinkewitz, sonst niemand

Wenn man jedenfalls Jaksche fragt, wer aus dem Peloton sich noch bei ihm melde, dann sagt er: "Mit Patrik Sinkewitz (ebenfalls geständiger Kronzeuge; d.Red) habe ich jetzt öfter mal telefoniert, aber das ist ja eher eine Zweckgemeinschaft. Ansonsten? Niemand. Nicht einer."

Viel Hoffnung hat er also nicht mehr, Holczer hat er deshalb ein moralisches Angebot unterbreitet. Er schreibt: Falls ein Vertrag nur an seinen öffentlichen Bekenntnissen scheitere, "werde ich nach Rücksprache mit dem BKA Dir persönlich meine fast 100-seitige Aussage über Dopingpraktiken, Hintermänner usw. zur Verfügung stellen, um dieses Problem aus dem Wege zu schaffen".

Jörg Jaksche würde ungern alsbald studieren. "Denn mich einzuschreiben, das wäre ein harter Schritt", sagt er. "Denn dann weißt du, dass du verloren hast." Jaksche liebt den Radsport. Immer noch.

© SZ vom 16.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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