Doping-Ermittlungen:Frohe Botschaften

Lesezeit: 3 min

Könnte von neuen Aufklärungsmitteln gegen Doping-Sünder profitieren: IOC-Präsident Thomas Bach. (Foto: Pond/Getty Images)

Wissenschaftler teilen mit, sie hätten verbesserte Nachweismethoden für zwei Doping-Klassiker gefunden. Doch Experten sind skeptisch.

Von Thomas Kistner, München

Der olympische Sport rudert weiter kräftig im Dopingsumpf. Die Staatsaffäre um Russlands Athleten überschattet die Winterspiele in Pyeongchang 2018, und erst vor Wochenfrist offenbarte eine vom organisierten Sport jahrelang trickreich unter Verschluss gehaltene Studie der Universität Tübingen und der Harvard Medical School, dass offenbar 40 Prozent aller Leichtathleten bei der WM 2011 in Daegu/Südkorea gedopt waren. Bei den Panarabischen Spielen in Doha 2011 waren es sogar 57,1 Prozent. Alarmstufe Rot.

Da kommt eine branchenübliche Frohbotschaft zur besten Zeit: Nur zwei Tage später wurde publik, es gäbe neue Doping-test-Verfahren. Die zugehörigen Verlautbarungen schwärmen von bahnbrechenden Erfolgen und sehen besenreine Spiele am Horizont: Schon bei den nächsten Sommerspielen sollen sie einsatzbereit sein.

Es ist hinreißend, wie dem Sport im passenden Moment hilfreiche Meldungen zufallen. Diesmal unterrichteten ganz zufällig gleich zwei Forscherteams, eines in England und eines in Australien, die Öffentlichkeit über angeblich epochale Fortschritte beim Nachweisverfahren. Wissenschaftler der Universität Brighton wollen Dopingsubstanzen sehr bald im Athletenspeichel ermitteln; das Internationale Olympische Komitee und die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) steuerten 600 000 Euro zu den Forschungskosten bei. Gen-Marker im Blut sollen verraten, ob ein Athlet Steroide oder das Blutdopingmittel Epo nimmt. Diese Spuren sollen noch Monate nach dem Konsum nachweisbar sein. "Wir sind sehr zuversichtlich, dass dies vor Tokio 2020 möglich sein wird", sagte Professor Yannis Pitsiladis, Leiter des Forschungsprojekts, der englischen Times. Da wäre bestimmt auch IOC-Präsident Thomas Bach erfreut.

Parallel rückte die Macquarie University in Sydney dem Wachstumshormon HGH zu Leibe. Das ist bis heute de facto nicht nachweisbar und auch deshalb so verbreitet, dass es seit zwei Dekaden kaum eine Dopingrazzia im Spitzensport gibt, bei der nicht HGH konfisziert wird. Den umfangreichen Gebrauch belegt zudem fast jedes Kronzeugen-Geständnis, querbeet durch die Sportarten. Nun haben die Australier also ein Verfahren entwickelt, das die Eiweißmuster im Blut verfolgt. "Wir erkennen im menschlichen Blutplasma Veränderungen in acht verschiedenen Proteinen, wenn jemand rekombinantes Wachstumshormon einnahm", sagte Projektleiter Alamgir Khan. Der Vorzug dieser neuen Analytik gegenüber den bisher angewendeten Methoden liege auch in einem größeren Zeitfenster für die Dopingjäger, weil die künstliche HGH-Zufuhr dafür sorge, dass ein bestimmtes Protein für längere Zeit heruntergefahren wird.

Experten sehen die jähe Euphorie skeptisch. Beide Verfahren beruhen auf indirekter Beweisführung, müssen also sehr gerichtsfest abgesichert werden - das erfordert aus Sicht des Nürnberger Pharmakologen Fritz Sörgel einen Studienaufwand, der weit über den vorliegenden hinausgeht. Gerade für die HGH-Studie braucht es nach seiner Einschätzung eine aufwendige, an großen Testgruppen orientierte Erhebung. Und im Kontext des Gen-Marker-Verfahrens zu Epo und Steroiden verweist der Experte auf Studien, die bereits zu verzerrten Resultaten geführt hatten - allein, weil die Probanden nie unter identischen körperlichen und medizinischen Bedingungen stehen wie Hochleistungssportler. Es brauche aber alle Begleitumstände; so ist etwa die psychische Wirkung von Epo im realen Wettkampf eine ganz andere als im Laborversuch. Auch dies zeigt ein Dilemma der Dopingforschung: Für viele Arten von aussagefähigen Tests bräuchte es professionelle Höchstleister als Probanden. Die kann es natürlich nicht geben.

Die letzte vermeintliche Revolution in der Dopingbekämpfung wurde Anfang der Nullerjahre gefeiert, als Bluttests auf breiter Ebene begannen. Heute ist der Sport wieder bei der Überwachung von Blutpässen angelangt. Auch die, das weisen Studien nach, sind mühelos zu umgehen.

So bleibt von der großen Ankündigungswelle, die der Sport vor den Winterspielen 2018 ausgiebig zur Publikumsberuhigung nutzen kann, vor allem ein Fragezeichen: Wie klug ist es, halb ausgereifte Vorhaben bereits groß anzukündigen?

Das ist ja auch eine Vorwarnung an Athleten - deren Bereitschaft zum Dopen nach seriösen wissenschaftlichen Studien bei mindestens 40 Prozent liegt. Zudem erwecken die Ankündigungen den Eindruck, dass Dopen künftig schwieriger werde - eine absurde Annahme ob der Realität des Spitzensports, politisch aber sendet es die erwünschte Botschaft.

Die doppelte Frohbotschaft aus England und Australien zeigt noch etwas anderes: Wie sich der von dopingbegünstigten Spektakeln abhängige Industriesport stets aus der Affäre stehlen kann. Denn immerzu tauchen neue Mitstreiter auf, die bar jeder Milieukenntnis sind. Sie glauben, dass der Sport Doping bedingungslos bekämpfen will. Sie ignorieren dabei die Logik der Wirtschaftszwänge ebenso wie die Reputation der Funktionäre und erliegen der Verlockung eines vermeintlich edlen Wettkampfsports - an dessen Heilung der wissenschaftliche Quereinsteiger mit besten Absichten zu arbeiten glaubt.

Zu diesen gutgläubigen, am Ende desillusionierten Experten zählt auch Perikles Simon. Der renommierte Mainzer Sportmediziner ist Mitautor jener von der Wada finanzierten Studie, die hohe Missbrauchszahlen für die Leichtathletik-WM 2011 ergab und jahrelang von Sportsachwaltern unterdrückt wurde. "Wenn der Wille im Sport fehlt, eine gewisse Unabhängigkeit zu schaffen, und man beim Thema Doping den ethischen Maßstäben nicht gerecht werden kann, muss man als Wissenschaftler Konsequenzen ziehen", sagte Simon der Mainzer Allgemeinen Zeitung.

Sein Abschiedsgruß ergeht auch an alle Kollegen, die dem Sport mit glühendem Eifer dienen statt mit klarem Blick auf das Strukturproblem: "Man macht sich auf die Dauer so nur immer unglaubwürdiger." Der organisierte Sport ergreife derweil "die immer gleichen Abwehrstrategien, die schnell enttarnt werden könnten, wenn man dazu die Lust oder den Bedarf verspüren würde". Verspürt aber keiner. Weshalb Simon diese Farce namens Betrugsbekämpfung im Spitzensport verlässt. Sein Schlusswort: "Wo bitte leben wir eigentlich? Im Mittelalter?"

© SZ vom 07.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: