Doping:Doch nur ein Mensch und keine Maschine

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Mit viel Verspätung ist der siebenmalige Tour-Sieger Lance Armstrong als Epo-Sünder enttarnt, und eine hollywoodreife Heldengeschichte gerät zum Schurkenstück.

Andreas Burkert

Die Sonne schien über den Champs Élysées, als Helfer hastig das Siegerpodest auf den Pariser Prachtboulevard schoben. Hier, auf Höhe des Grand Palais, der Nationalgalerie am Place Clemenceau, entstehen am Schlusstag der Tour de France jene schönen Bilder, auf denen der Gewinner des schwersten Radrennens der Welt zu sehen ist, zusammen mit dem Arc de Triomphe am Horizont.

Lance Armstrong - vom Radsport-Mythos zum Doping-Fall (Foto: Foto: dpa)

Lance Armstrong ist dieses Bild vertraut, siebenmal hat der Amerikaner das Spektakel gewonnen, wohl kein Mensch wird das jemals wiederholen können. Doch von Armstrong heißt es ja ohnehin, er sei kein Mensch. Sondern eine Maschine.

Die Maschine aus Fleisch, Wasser und Blut steigt im Juli 2005 ein letztes Mal auf das gelbe Siegerpodest, sie trägt erneut das Maillot Jaune, das berühmte Gelbe Trikot. Wieder hat Armstrong spielend alle Gegner fertig gemacht, und nun beendet er seine Karriere als vermeintlich großartigster Radsportler aller Zeiten.

Er hat seine drei Kinder dabei, die beiden Mädchen tragen gelbe Kleider, am Ende der Zeremonie lässt sich der Daddy ein Mikrofon reichen. Armstrong hält eine Rede, kein Toursieger hat das jemals getan, doch aus den Lautsprechern dringen zum Adieu keine persönlichen Worte eines gerührten Champions, sondern Sätze, die wie eine letzte Abrechnung klingen. "Mir tun die Leid, die nicht an Wunder glauben können und nicht an den Radsport", sagt er. "Dabei ist dieses Rennen die Hölle, ich bitte euch: Vertraut diesen Fahrern."

Die Bombe im Kühlschrank

Gut einen Monat ist das nun her, und am Montag haben Armstrong seine seltsamen Abschiedsworte eingeholt. Viele haben ja in all den Jahren am Seriensieger aus Austin, Texas, gezweifelt, sie misstrauten ihm und hielten ihn nur für den Weltmeister der Betrüger. Doch an Lance Armstrong waren stets alle Dopingverdächtigungen abgeprallt, obwohl die Vorwürfe zuletzt immer konkreter geworden waren. Meist ließ er seine Ankläger zurück wie die matte Konkurrenz auf einer Schlacht in Frankreichs Bergwelt.

Doch jetzt steht Lance Armstrong, 33, tatsächlich als größter Schurke des Sports da. Als Blender. "Die Armstrong-Lüge", hat Frankreichs renommierte Sportzeitung L'Équipe an diesem Dienstag getitelt. Denn die Maschine ist wohl doch nicht allein mit Fleisch, Wasser und Blut in Betrieb gewesen. Lance Armstrong hat offenbar gedopt.

Die Wissenschaftler des französischen Dopinglabors in Châtenay-Malabry lassen jedenfalls keinen Zweifel, dass Armstrong bei seinem ersten Toursieg 1999 mit der Modedroge seines Metiers unterwegs gewesen ist. Sie haben im vergangenen Sommer im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsarbeiten Urinproben untersucht, die fünf Jahre im Kühlfach gelagert waren. In zwölf Proben wiesen sie Spuren des synthetischen Blutdopingmittels Erythropoetin (kurz: Epo) nach; Epo ist eine Art Blutbeschleuniger, der die Sauerstoffaufnahme verbessert. Anhand von Kontrollnummern konnten sechs Positivtests Armstrong zugeordnet werden. Dem Sport droht damit der größte Skandal seit der Entlarvung des kanadischen Sprinters Ben Johnson 1988.

Die Veloszene reagierte mit dem üblichen Reflex: Sie ging in Deckung. Eindeutige Wortmeldungen wie jene von Daniel Baal, dem ehemaligen Präsidenten des französischen Radsportverbandes, sind jedenfalls eine Rarität. Er sagte: "Der Mythos Armstrong hat keine Daseinsberechtigung mehr. Diese Entdeckungen müssten auch die größten Verehrer Armstrongs verstummen lassen. Denn die Ergebnisse scheinen mir nur schwer bestreitbar zu sein." So ist das wohl. Das Komische ist nur: Die Enthüllungen verblüffen irgendwie nicht wirklich. Allenfalls der Zeitpunkt der mutmaßlichen Überführung, das schon. Aber sonst?

Manischer Ehrgeizling

Lance Armstrongs Geschichte soll demnächst eigentlich von Hollywood verfilmt werden. Und dort gehört sie vielleicht auch hin, in die Welt der Illusion. Weil sie unglaublich ist. Armstrong stammt aus einfachen Verhältnissen, mit seiner Mutter lebte er lange in einem Ein-Zimmer-Appartement in einem Vorort von Dallas. Der leibliche Vater verlässt die Familie früh, er ist ein jähzorniger Trinker, so wie später auch sein Adoptivvater. Der erzieht Lance vorzugsweise mit einem Holzpaddel.

Das Vorstadtkind aus zerrütteten Verhältnissen flüchtet sich in den Sport, über den Triathlon findet Lance Armstrong zum Radsport. Mit 21 gelingt ihm der Durchbruch: Er gewinnt eine Etappe bei der Tour und als jüngster Sieger überhaupt die Weltmeisterschaft. Drei Jahre später erkrankt Armstrong jedoch an Hodenkrebs. Er überlebt. Der manische Ehrgeizling macht auch den Krebs fertig. Armstrong kehrt ins Peloton zurück, stärker denn je. 1999 schließlich gewinnt er die Tour, und nach der Ankunft in Paris sagt er: "Das ist nicht Hollywood, diese Story ist wahr!"

Zu gerne würde man ihm das glauben, doch Armstrong ist schließlich ein Radprofi. Und diese Szene gleicht bisweilen einem Jauchesumpf, noch heute. Bei der Tour 1998, im Jahr vor Armstrongs erstem Triumph, flog im Grunde die komplette Branche auf, auch im Skandal um die damalige Festina-Mannschaft spielte das Wundermittel Epo eine Hauptrolle.

Der Verdacht, ein Begleiter

Der Frankreichrundfahrt kam das Märchenstück vom geheilten Krebspatienten, der zum Tour-Champion aufsteigt, gerade recht. Wahrscheinlich haben die Organisatoren und der Weltverband schon damals sehr lange geschwiegen. Denn bereits im Juli 1999 wurde eine positive Dopingprobe des Amerikaners publik: Nach der ersten Etappe fanden sich Kortikoide in Armstrongs Urin, dieses Resultat veröffentlicht zwei Wochen später die Zeitung Le Monde. Armstrong ließ rasch eine Pressekonferenz organisieren und versicherte, er habe nie kortikoidhaltige Medikamente benutzt, besitze dafür auch kein Attest.

Drei Tage später eilt der Internationale Radsportverband UCI seinem neuen Helden zur Hilfe: Armstrong habe wegen Sitzbeschwerden eine Salbe benutzt und den Gebrauch auch angezeigt. Armstrong wird nicht belangt, aber er hat seitdem einen Begleiter. Den Verdacht.

Wie umfangreich sein so genanntes Gesundheitsbuch ist, das ist bis heute ein Geheimnis. In dem UCI-Pass sind jene Medikamente aufgelistet, deren Einnahme den Profis laut ärztlichen Attesten gestattet sind. Armstrong hätte seine Akte offenlegen können. Doch einen offensiven Stil pflegte er ja nur im Rennen. Dagegen verheimlichte Armstrong bis zum Jahr 2001, dass zu seinem Betreuerstab auch der italienische Sportarzt Michele Ferrari zählte. Der Mediziner aus Ferrara hat nachweislich Sportler mit Epo versorgt. Von ihm stammt das Zitat, Epo sei "so harmlos wie ein Glas Orangensaft".

Dabei sind in den achtziger Jahren, als das Mittel von den sportiven Betrügern entdeckt wurde, Sportler am zügellosen Gebrauch gestorben. Armstrong nannte Ferrari stets einen "Freund und Ehrenmann". Im vergangenen Jahr wurde Dottore Epo in Bologna wegen Sportbetrugs zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Lance Armstrong hat sich bislang nicht von Ferrari distanziert, er arbeitete bis zuletzt mit ihm zusammen. Diesen Juli wurde Armstrong gefragt, ob sich seit Ferraris Verurteilung etwas an seinem Vorbereitungsprogramm geändert habe. "Nein", entgegnete er knapp. Armstrong schaute in diesem Moment, als habe jemand seine Mutter beleidigt.

Den Verdacht hat Armstrong nicht mehr abschütteln können. Erst in diesem April behauptete sein ehemaliger Angestellter Mike Anderson vor einem Gericht in Austin per eidesstattlicher Erklärung, er habe Anfang Januar 2004 in Armstrongs spanischem Domizil in Girona eine weiße Packung mit der Aufschrift "Androstetine oder so ähnlich" gefunden.

Leere Spritzen be- und entsorgt

Das Prohormon Androstendion steht auf der Dopingliste. Armstrongs Trainer Chris Carmichael wurde zudem von einem Nachwuchsfahrer der Dopinggabe beschuldigt. Und bereits im vergangenen Jahr hatten Armstrongs ehemalige Masseurin Emma O'Reilly und ein früherer Teamkollege behauptet, ihr Chef habe ihnen gegenüber Epo-Doping eingestanden.

Miss O'Reilly, die Armstrong zwischen 1998 und 2001 betreute, ist Kronzeugin des Enthüllungsbuchs "L.A. Confidental- die Geheimnisse des Lance Armstrong". Die rothaarige Irin berichtet darin, wie sie Injektions-Hämatome mit Make-up abdeckte, wie sie Medikamente be- und leere Spritzen entsorgte. Und dass Lance Armstrong irgendwann zu ihr gesagt habe: "Jetzt, Emma, weißt du genug, um mich zu Fall zu bringen."

In dem Buch wird auch ein Telefonat Armstrongs mit seinem Landsmann Greg LeMond wiedergegeben, der 1986 als erster Amerikaner die Tour gewann. LeMonds Frau Kathy saß angeblich während des Telefonats neben ihrem Mann im Auto, sie gab das Gespräch wieder:

"Greg, ich dachte, wir wären Freunde", sagte Armstrong.

"Dachte ich auch (...) Weißt du, ich bin enttäuscht, dass du jemanden wie Ferrari siehst. Mit Ärzten wie ihm habe ich Probleme. Ich habe einen Teamkollegen sterben sehen, miterlebt, wie saubere Fahrer ihre Karriere ruinierten (...).

"Ist ja gut, Greg. Und Epo hast du natürlich auch nie genommen!"

"Wieso glaubst du, ich hätte Epo genommen!?"

"Komm schon, alle nehmen Epo (...)."

Armstrong scheiterte mit seinem Versuch, in dem Buch eine Gegendarstellung zu platzieren. Mit der Familie LeMond redet er kein Wort mehr.

Zwei Freunde aus Texas

Das alles konnte Lance Armstrong bisher wenig anhaben. Mit einer Armada von Anwälten kontrollierte er seine Gegner; die Androhungen von Schadensersatzklagen zeigten Wirkung. In den Staaten hörten ohnehin die wenigsten hin, wenn jemand am Saubermann-Image ihres Idols kratzte. Und Armstrong arbeitete mit derselben Professionalität an seiner Außendarstellung, wie sie ihn auch als Sportler auszeichnete. Er gründete eine Krebsstiftung, und nach der Tour brachte er dem Präsidenten stets ein Rennrad oder ein Maillot Jaune mit zur Audienz im Weißen Haus. Mit Präsident George Bush verbindet ihn eine langjährige Freundschaft, beide stammen ja aus Texas.

Doch selbst der mächtigste Mann der Welt vermag Lance Armstrong jetzt wohl kaum noch zu helfen. Zwar wird Armstrong nicht mehr belangt werden können. 1999 waren die Epo-Tests noch nicht ausgereift, sie wurden erst bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney eingeführt. Doch zumindest seine Stellung als unantastbarer Souverän und Rekordmann hat Armstrong verloren.

Zur Zeit befindet sich der gestrauchelte Held in Amerika, er macht Ferien. Auf seiner Internetseite ließ er am Montag eintragen, gegen ihn sei die übliche "Hexenjagd" im Gange. Und er versicherte erneut, niemals betrogen zu haben.

Doch wer mag der Maschine jetzt noch glauben.

(SZ vom 24.8.2005)

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