Doping-Affären:Olympia ohne Sieger?

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Kein Ende im Balco-Fall: Das IOC weiß nicht, wohin mit den Medaillen von Sydney. Ein vakanter Goldplatz wäre ein Novum in der Olympia-Geschichte.

Michael Gernandt

Spätestens bis zum 1. Oktober 2008, wenn die Verjährungsfrist für Dopingfälle während Olympia 2000 abgelaufen ist, muss sich das IOC entscheiden, ob es nach der Disqualifikation der 100-Meter-Siegerin Marion Jones (USA) eine Nachrückerin benennt. Erste Anwärterin ist die Griechin Ekaterini Thanou, die Zweite von Sydney. Doch die Herren der Ringe zögern, die Medaille an die 2005/2006 wegen dreier verpasster Dopingkontrollen gesperrt gewesene Sprinterin weiterzureichen. Der IOC-Vorstand wird den Verdacht nicht los, dass Thanou die Regeln schon früher missachtete. Erhärten kann er ihn (vorerst) nicht.

Opfer neidischer Rivalen? Der britsche Sprinter Dwain Chambers. (Foto: Foto: Reuters)

Das IOC wartet noch immer auf Informationen aus den USA. Dort ist die fünf Jahre alte Affäre um das kalifornische Dopingzentrum Balco juristisch noch nicht aufgearbeitet. Thanou und ihre Trainingsgruppe sollen zu Balco-Chef Victor Conte Kontakt gehabt haben; entdeckt worden sei die Verbindung bei der Razzia im Herbst 2003 im Hause Balco. Griechische Behörden indes entlasteten Thanou nach Durchsicht von Beweismaterial aus Kalifornien, auch der internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) sah keine juristische Möglichkeit, Thanou zu belangen, erklärte sie deshalb jüngst nach dem Ausschluss von Jones zur 100-Meter-Zweiten der WM 2001.

Wenn das IOC nun nicht wie die IAAF vorschnell aufgibt, kann das bedeuten, dass noch was im Busch ist. Dafür gibt es zwei Indizien: zum einen ein Gespräch, das im Dezember stattfand zwischen Dick Pound, damals noch Vorsitzender der Weltantidopingagentur Wada, und Victor Conte, der zuvor wegen der Weitergabe von Drogen vier Monate im Gefängnis saß; zum anderen der bevorstehende Prozess wegen uneidlicher Falschaussage gegen den früheren Jones-Trainer Trevor Graham - ein Schlüsselereignis im Balco-Fall aus Leichtathletik-Sicht.

Unbekannte Schadstoffe in der Luft

Vor dem Treffen mit Pound hatte Conte gesagt: "Einige Gegner von Jones können auch gedopt haben, es ist deshalb wichtig, dass das was ich mitzuteilen habe, berücksichtigt wird, bevor das IOC die Medaillen weitergibt." Nach dem Gedankenaustausch bestritt Conte zwar gegenüber Medien, dem Kanadier Athletennamen genannt zu haben (öffentlich stellte Conte bisher nur einen seiner Klienten bloß: Marion Jones), was aber nicht heißen muss, dass Pound nicht doch verwertbare Informationen an das IOC, dessen Mitglied er ist, weitergeben konnte. Und wenn es nur der Rat war, bei der Balco-Aufklärung Geduld zu haben.

Ein Beleg dafür, dass immer noch eine Menge unbekannter Schadstoffe in der Luft liegen, deren Identifizierung auch dem IOC weiterhelfen kann, ist der Fall des Angel Guillermo Heredia, 33, des Hauptzeugen der US-Strafverfolger im Graham-Prozess. Der frühere Diskuswerfer aus Mexiko behauptet, Chemiker, Wissenschaftler und Ernährungsfachmann zu sein, scheint aber hauptberuflich, wie ehedem Conte, illegale Drogen an Sportler weiterzugeben.

Auf der nächsten Seite: Warum "IOC und IAAF aufwachen müssen" und das Rätsel um die Weitergabe der Jones-Medaillen.

Inzwischen kooperiert er - auch, um den Wechsel von der Zeugen- auf die Anklagebank zu vermeiden - mit der US-Justiz. Zwei Dutzend Namen aus seinem Kundenstamm, so die New York Times am Sonntag, habe er den Ermittlern genannt, darunter zwölf Medaillengewinner, von denen vier bereits wegen Dopings gesperrt wurden. An der Spitze der Liste stehe der 100-Meter-Olympiasieger von 2000 und fünfmalige Weltmeister, Maurice Greene (USA). Beweise für seine Behauptungen legte Heredia der Justiz bereits 2006 und jetzt der Times vor. Dass Greene, 33, vor wenigen Wochen zurückgetreten und nun der IAAF "nach einem sofortigen Check durch unser Dopingdepartment" (IAAF-Sprecher Nick Davies) als "Botschafter" zu Diensten, umgehend dementierte (SZ vom 15. April), gehört zum Geschäft.

"Der Balco-Fall ist zurück an seinen Wurzeln"

Dem Daily Telegraph in London sagte er: "Ich habe mich wohl mit Heredia getroffen, ihm aber gesagt, dass ich nicht an seinen Stoff glaube." Eine Überweisung von 10.000 Dollar von seinem Konto auf das des Dealers bestätigte Greene: "Ich tat das für Jungs aus unserer Trainingsgruppe, ohne zu wissen, wofür es ist." 2003/2004 sollen insgesamt 40.000 Dollar überwiesen worden sein.

Victor Conte begrüßte die neueste Entwicklung: "Der Balco-Fall ist zurück an seinen Wurzeln." Am Dienstag gab er in der Londoner Times erstmals seine Version von der Aufdeckung des Balco-Falles im Jahr 2003 preis: In Absprache mit Greene-Coach John Smith habe Graham als Trainer von Weltrekordler Tim Montgomery anonym auf die Machenschaften von Conte aufmerksam gemacht, um den von Balco versorgten britischen Montgomery/Greene-Rivalen Dwain Chambers kalt zu stellen. "IOC und IAAF werden aufhorchen müssen", orakelte Conte und befand: "Das ist riesig."

Wie riesig, wird sich herausstellen, wenn am 19. Mai in San Francisco der Graham-Prozess beginnt; und ob er das IOC voranbringt in der Frage, an wen es die Jones-Medaillen weiterreichen kann. Es geht ja nicht nur um Thanou, insgesamt sind fast drei Dutzend Athletinnen aus drei Einzel- und zwei Staffelwettbewerben in den Plakettentausch involviert. Im Fall der 100 Meter ist auch diese Überlegung im Gespräch: Der Goldplatz bleibt vakant - ein Novum in der Olympiageschichte.

© SZ vom 16.04.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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