Diskuswerfen der Frauen:Bronze und ein paar Tränen

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Die von Verletzungen geplagte Nadine Müller meldet sich als WM-Dritte zurück. Es ist der vierte deutsche Medaillengewinn, Verbandschef Prokop findet: "Das Team ist auf Kurs."

Von Johannes Knuth, Peking

Die Diskuswerferin Nadine Müller schaut jetzt auf die Jahre, die hinter ihr liegen, und man kann nicht unbedingt sagen, dass der Blick zurück besonders angenehm ist. Müller schaut auf 2013, als die Hüfte schmerzte, als sie bei der WM in Moskau noch Vierte wurde. Sie blickt noch einmal auf die Schulteroperation nach jener Saison, auf 2014, als sich ihre Patellasehnen entzündeten und sie frühzeitig aus der Saison ausstieg. Sie sagt: "Man verliert dauernd den Rhythmus und kommt nie so richtig auf sein altes Niveau."

Im vergangenen Dezember tastete sich Müller langsam wieder rein in ihre Disziplin. "Es war schon hart, sich ran zu kämpfen", sagt die 29-Jährige. Sie redet von "viel Schweiß und vielen Tränen", und wenn man ihr so zuhört, verstärkt sich wieder mal der Eindruck, dass man im Scheitern mehr lernen kann als im Erfolg.

Wenn die deutschen Leichtathleten in diesen Tagen der WM in Peking ein Wurf-, Stoß- oder Sprunggerät in die Hand nehmen, kommt dabei oft etwas Vorzeigbares heraus. Die Kugelstoßer Christina Schwanitz und David Storl gewannen am Wochenende Gold und Silber, Raphael Holzdeppe produzierte eine Silbermedaille mit dem Stab, am Dienstag brachte Nadine Müller nun eine Bronzemedaille in die Wertung ein, mit 65,53 Metern im ersten Versuch.

"Eigentlich war der nur als Sicherheitswurf gedacht", sagte sie. Die Weite wurde zunächst nur von der Kubanerin Denia Caballero übertroffen (69,28); Sandra Perkovic, die unzufriedene Favoritin aus Kroatien, rutschte erst im letzten Versuch mit 67,39 Metern auf Rang zwei vor.

An Müller ist zu sehen, dass es einige Jahre dauern kann, bis es endlich mal richtig klappt

"Das Team ist auf Kurs", findet Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Er verweist auf die vier DLV-Medaillen an den ersten vier Wettkampftagen. Zwar blieben ein paar Junge (und wenige Arrivierte) unglücklich in ihren Qualifikationswettkämpfen hängen: Den Weitspringer Fabian Heinle trennten bloß drei Zentimeter von der Endkampf-Teilnahme, die Sprinterin Rebekka Haase sogar nur Tausendstelsekunden vom Weiterkommen - die war ihr eine Konkurrentin im Vorlauf über 100 Meter voraus; auch bei Robin Erewa fehlte am Dienstag als Vierter über 200 Meter (20,67 Sekunden) nicht viel, um bei seinem ersten Einzelstart bei einer WM ins Halbfinale vorzurücken. Allerdings reüssieren die wenigsten Debütanten im ersten Versuch, die deutsche Mannschaft in Peking soll ja nicht nur eine Auswahl fürs Heute, sondern auch eine für übermorgen sein, für die Heim-EM 2018 in Berlin. Und so taugte Nadine Müller am Dienstag ganz gut als Beispiel für die Jüngeren, dass man im Sport auch mal ein paar Niederlagen einstecken darf.

Müller musste etliche Wettkampfjahre hinter sich bringen, ehe es bei ihr zum ersten Mal richtig klappte. 2007, bei der WM in Osaka, hatte sie sich hinter Franka Dietzsch respektvoll als Elfte angestellt. 2009 in Berlin war sie schon Sechste, 2010 dann Achte bei der EM in Barcelona, es war ein Jahr, in dem sie "sehr viel gelernt hat", wie ihr Trainer René Sack sagt. Müller hatte sich damals früh in der Saison die Weltjahresbestleistung geschnappt, sie war nicht bloß eine Hoffnung, sondern eine Gold-Hoffnung. Diese Erwartung ließ sie offenbar etwas zu nahe an sich heran.

2011 dann krempelte sie den Saisonverlauf um, arbeitete an ihrer Schnelligkeit, um ihren 1,96 Meter großen Körper flinker durch den Ring bewegen und ihre guten Leistungen über die gesamte Saison stabilisieren zu können. Ihren besten Wettkampf zeigte sie in Daegu/Südkorea, sie gewann WM-Silber. Und auch jetzt, "nach zwei Seuchenjahren", wie sie sagt, fühlte sie sich ziemlich wohl in der Rolle der Außenseiterin, in die sie zurück gefallen war. "Natürlich gehst du mit einem lockereren Gefühl in die WM, wenn du schon mal auf dem Podium standest", sagte sie in Peking. Manchmal kann es ganz gut sein, ein entspanntes Verhältnis zu einem großen Moment, einem großen Wettkampf zu pflegen.

Das Niveau im Diskuswerfen sei derart geklettert, sagte Müllers Teamkollegin Julia Fischer noch vor der WM, "da gewinnt der, der mit dem Kopf am stärksten ist". Julia Fischer wurde Fünfte (63,88), Shanice Craft aus Mannheim Siebte (63,10), in der Mannschaftswertung hätte das locker für Platz eins gereicht, aber diesen Wettbewerb gibt es nicht. Fischer kam etwas verschnupft in die Mixed Zone, war sie doch als deutsche Meisterin angereist. "Ich heule nicht", sagte sie, "ich bin aus Stahl", dann lachte sie. Sie hat auch schon einige Lehren aus Enttäuschungen gezogen, beispielsweise als sie bei Olympia 2012 in der Qualifikation hängen blieb.

Auch Julia Fischer hat ihre Formkurve unter Kontrolle gehabt in diesem Jahr. Auch sie warf schon im Frühjahr stabil, jedoch nicht gleich Bestleistung. "Da sieht man, dass das Training anschlägt, gerade das Mentaltraining", findet sie. Die Berlinerin hat gelernt, ihren Kopf ebenso intensiv zu trainieren wie ihren Körper, sie packt das Ergebnis in einen Vergleich: "Seitdem fahren die beiden nicht mehr in zwei verschiedenen Autos in zwei verschiedene Richtungen." Und weil auch Shanice Craft, 22, wie selbstverständlich in diesem WM-Finale mitwirkte, weil Anna Rüh, die deutsche Jahresbeste, es nach einer Formdelle gar nicht erst nach Peking geschafft hat, können sie im DLV ganz zuversichtlich sein, dass die Produktion ihrer zuverlässigsten Medaillenschmiede in den kommenden Jahren noch einiges ausstößt.

"Wir haben das Know-How im Trainerbereich", sagt Fischer, "wir haben eine unheimlich gute junge Garde, die heiß ist, die will." Fischer sortiert sich mit ihren 25 Jahren durchaus noch bei den Jüngeren ein, sie war wirklich sehr zufrieden mit ihrem fünften Platz am Dienstag. Undankbar? "Ich habe mich total gefreut", versicherte sie. Man kann vierte und fünfte Plätze ja auch ganz anders deuten: dass nicht mehr allzu viel fehlt bis zur Spitze.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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