Die Turniermannschaft Rumänien:Immer den Gefühlen folgen

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Sankt Gallen - Deutschland hat sich über die Jahre den Ruf erarbeitet, über eine Turniermannschaft zu verfügen. Mit Abstrichen trifft das wohl auch auf Italien zu, doch gibt es noch eine kleine Fußballnation aus dem Südosten Europas, die dieses Attribut ebenfalls verdient: Rumänien. Eine Turnier-Vorrundenmannschaft, sollte man vielleicht präziser sagen. Sieben Mal nahmen die Rumänen an einer Weltmeisterschaft teil, nur einmal, 1934, sind sie in der Gruppenphase ausgeschieden. Prominente Konkurrenten störten Rumänen noch nie.

Argentinien, Deutschland oder England landeten in Vorrunden schon hinter den Überlebenskünstlern aus den Karparten. Unvergessen ist die Euro 2000 als Rumänien und Portugal sowohl England als auch die deutsche Auswahl von Erich Ribbeck aus dem Turnier bugsierten. "Draculas Söhne" titelte Bild damals, und hinter solchen Wortschöpfungen steckte ein Gefühl, das die Rumänen noch heute verbreiten. Sie sind unbekannt, geheimnisvoll. Der Exot dieser Europameisterschaft, deren Teilnehmerfeld dominiert wird von Nachbarn und vertrauten Urlaubsländern.

Rumänien ist ein Land, in dem es gerade einmal zwei Autobahnen für 21 Millionen Menschen gibt, richtig groß ist hier nur eins: der pompöse Palast des ehemaligen Staatschefs Nicolae Ceausescu, das angeblich zweitgrößte Gebäude der Welt. Nur das Pentagon, das Verteidigungsministerium der USA, nimmt eine größere Fläche ein. Bukarest boomt zwar, doch die Walachei, die Karpaten und Transsylvanien sind noch so wie sie sich anhören: ländlich und fremd. "Es ist schon eine gewaltige Leistung, dass so ein Land sich in den letzten 20 Jahren öfter für Turniere qualifiziert hat als Ungarn oder Österreich", sagt Ioan Lupescu, der Generaldirektor des Verbandes. Zumal der Klubfußball von Korruptionsgerüchten überschattet und von zwielichtigen Mäzenen dominiert wird. Lupescu ist daher in diesen Tagen sehr zufrieden, Rumänien ist noch ungeschlagen und kann an diesem Dienstagabend gegen Holland mit einem Sieg aus eigener Kraft das Viertelfinale erreichen.

Heimlicher Anführer Chivu

Nach einer Phase von acht Jahren ohne Turnierteilnahme ist die Fußballnation zu alter Stärke zurückgekehrt, doch so richtig schlau ist noch niemand geworden aus den neuen Rumänen. Nach dem abschreckenden 0:0 gegen Frankreich zum Auftakt und einer Defensivstrategie, wie sie wohl nicht einmal Otto Rehhagel wagen würde, kündigten sie fröhlich an, weiterhin so spielen zu wollen. Dann kam die Partie gegen die Italiener mit wunderbar offensiv agierenden Rumänen. Gegen Holland werde das wieder anders, so Lupescu: "Die Holländer besitzen die besten Stürmer der Welt", was heißt, dass erst mal Vorsicht geboten ist.

Wie in den beiden EM-Qualifikationsspielen der Gruppe G. Da gelang den Niederländern in beiden Partien kein Tor, am Ende waren die Rumänen Gruppensieger. Besonders beeindruckend war das 0:0 von Rotterdam im März 2007, als Snejder und van der Vaart nicht eine Lücke für ihre Pässe fanden. Holland blieb 90 Minuten lang ohne Torchance, und die Nation begann an Marco van Basten zu zweifeln. Eine echte Strategie ist diese Neigung zur Defensive aber nicht. Das rumänische Fußballgemüt ist wechselhaft, sie spielen intuitiv. "Wenn man auf dem Platz steht, folgt man seinen Gefühlen", sagt Christian Chivu von Inter Mailand. "Gegen Frankreich fühlten wir, dass wir erstmal verteidigen, sollten, gegen Italien war das anders", sagt der Kapitän. Er ist eine Art Gegengewicht zu Adrian Mutu, so etwas wie der Anführer hinter dem Helden der Schlagzeilen. Diese Kombination gilt als Erfolgsgeheimnis dieser Mannschaft. Denn bei all der Hysterie, die um Mutu herrscht - der Stürmer ist umwölkt von Wechselgerüchten, Geschichten über die Trauer um eine verstorbene Großmutter und einer möglichen Schadensersatzzahlung an den FC Chelsea: Chivu ist der ruhende Pol.

Es ist eine in westeuropäischen Teams fast schon ausgestorbene Partnerschaft: der Verrückte, der Exaltierte auf der einen Seite und der stille Begleiter als ausgleichendes Gegengewicht. Heraus kommt eine Mannschaft, die als steter Produzent von Überraschungen gelten muss. Bei Europameisterschaften sind sie übrigens auch schon zweimal in einer Gruppenphase ausgeschieden: 1984 und 1996, dann aber konsequenterweise sieglos auf dem letzten Platz. Es ist diese Unberechenbarkeit, welche die Rumänen zu so einem komplizierten Gegner werden lässt.Daniel Theweleit

© SZ vom 17.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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