Die Klinsmann-Strategie:Nach englischem Muster

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Fitnessgurus, Psychologen, Viererkettenversteher: Der Chefstratege Klinsmann lässt Spezialisten arbeiten.

Moritz Kielbassa

Der Stürmer Jürgen Klinsmann kam 1964 in Göppingen auf die Welt, der Geburtsort des Trainers und Fußball-Projektleiters Klinsmann war die Sportschule Hennef. In der Stadt der hundert Dörfer, südostlich von Köln zwischen Westerwald und Bergischem Land, erwarb der weltmännische Schwabe im Sommer 2000 die Fußballlehrer-Lizenz, im Sonderlehrgang für verdiente Profis. Auf der Hennefer Schulbank fand Klinsmann Gefallen daran, die Komplexität des Spiels anderen Menschen verständlich zu vermitteln. Besonders prägend wirkte eine Praxisvorführung seines Lehrgangskameraden Joachim Löw, der in nur zwei Minuten das Wesen einer Abwehr-Viererkette erklärte. "Ich war 18 Jahre Profi", sagte Klinsmann damals zu seinem Banknachbarn Guido Buchwald, "aber kein einziger meiner Trainer konnte mir das so vermitteln."

Der Teamchef und seine Helfer: Jürgen Klinsmann und der Betreuerstab der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. (Foto: Foto: dpa)

Wie Rijkaard, Ferguson und Mourinho

Diese Kennenlerngeschichte wurde oft erzählt, als die beiden Protagonisten, Klinsmann und Löw, später beim DFB ein perfektes Doppel bildeten, für das Projekt WM 2006. Und es ist anzunehmen, dass Klinsmann auch seine neue Aufgabe beim FC Bayern als tiefgreifendes Unternehmen versteht, für das er, der leitende Stratege, wieder einen hochkarätigen Zirkel von Spezialisten verschiedenster Fachgebiete um sich scharen wird. "Jürgens große Stärke ist: Er hört fachlichen Topleuten zu und nutzt deren Inputs. Das wird er auch bei Bayern wieder so handhaben", glaubt Stefan Reuter, 1990 Weltmeister mit Klinsmann, vor sieben Jahren Lehrgangs-Mitschüler in Hennef und heute Manager beim Lokalrivalen 1860 München.

Schnell, vertikal, attraktiv

Klinsmann, der das ganze Leben als Lernprozess begreift, orientiert sich an den Vorbildern der Trainer-Hautevolee Europas. Er macht es wie Rijkaard in Barcelona, wie Ferguson in Manchester, wie Mourinho zuletzt in Chelsea - er lässt andere arbeiten. Er brachte die amerikanischen Fitnessgurus um Mark Verstegen zum DFB, die mit individueller Leistungsdiagnostik erstaunliche körperliche Ressourcen freilegten; Klinsmann ließ den Viererkettenversteher Löw die taktische Basisarbeit auf dem Platz vollziehen, er schwor auf die Scouting-Erkenntnisse seines Schweizer Chefanalytikers Urs Siegenthaler, er hörte auf die sportartübergreifenden Ratschläge des früheren Hockey-Bundestrainers Bernhard Peters und beauftragte den Psychologen Hans-Dieter-Hermann mit der Seelenpflege der Nationalkicker.

Und jetzt, bei Bayern? Lothar Matthäus ist "gespannt, wer für den Teamchef Klinsmann die Trainingsarbeit machen wird". Der smarte Moderierer und heißblütige Motivator Klinsmann, der zum sportlichen Gelingen vor allem den emotionalen Kitzel beiträgt, will ohne Zeitdruck "in den nächsten Monaten ein Team aufbauen, das mich begleitet." Er wird sich einen neuen Jogi ausgucken, einen mündigen Assistenten, der den Stars das Verschieben und die Laufwege beibringt. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass Nationalmannschafts-Physiotherapeut Oliver Schmidtlein, den Klinsmann einst zum DFB holte, künftig wieder im Betreuerstab der Bayern auftaucht. Im Sommer 2007 hatte er sein Arbeitsverhältnis mit den Münchnern beendet.

Der nachhaltige Einfluss des DFB-Pioniers Klinsmann auf den deutschen Fußballs ist an vielen Stellen belegbar: Größere Trainerstäbe bei fast allen Bundesligisten stehen beispielhaft dafür, ebenso neue Ausbildungskonzepte, die ein ganzheitliches Fußballverständnis lehren: "Wir unterrichten Taktik, Technik und Kondition nicht mehr einzeln, sondern als Ganzes", erklärte einmal Klinsmanns Mastermind Siegenthaler - in Holland, Frankreich oder Schweiz war das schon Jahre vorher usus. Auch Persönlichkeitsbildung und soziale Intelligenz sind nun verstärkt erschlossene Themenfelder.

Fünf Thesen

An Klinsmanns Spielidee - schnell, vertikal, offensiv - dürfte sich während seiner 18 schöpferischen Ruhemonate in Kalifornien nichts geändert haben. In seiner Stürmerkarriere war der neue Bayern-Trainer nur an einem Ort restlos glückselig - bei Tottenham Hotspur, auf der Insel. Klinsmann liebt den laufintensiven, angriffsfreudigen Powerfußball der Briten, an Defensivfanatikern wie seinem früheren Trainer Trapattoni rieb er sich. Uli Hoeneß sieht Klinsmann wohl auch deshalb gerne bei Bayern. Der Manager hat seit Jahren Bauchschmerzen wegen der schwärmerischen öffentlichen Lobpreisungen für attraktiven Fußball, die immer nur andere ernten: mal die Bremer, mal die Leverkusener , mal die heldenverehrten Nationalkicker, die sogar mit Freundschaftsspielen in Weißgottwo dem Fernsehpublikum zuletzt wieder Freude machten. Die Bayern hingegen? Haben das Image der nüchternen Ergebnisverwalter, die selbst mit ihren sündteuren Stars - nach elanvollem Start im vergangenen Sommer - zuletzt wieder in Breitbandfußball verfielen, oft abhängig vom individuellen Glanz Riberys. Insofern ist es nur konsequent, den Spaßbringer Klinsmann nun als Intendanten des Circus Bavariae zu verpflichten.

Klinsmanns möchte "jeden Spieler individuell besser machen". Seine progressive Spielphilosophie fußt auf fünf Thesen: Steil statt quer! Agieren statt reagieren! Optimale takitsche Organisation! Schnelles Umschalten! Teamgeist! Er bevorzugt ein einheitliches System (4-4-2 oder 4-2-3-1), Automatismen im Spielaufbau, variable Flügelangriffe, scharfe flache Pässe, präzise Ballverarbeitung in hohem Tempo, und bei Ballbesitz des Gegners: Pressing im kompakten Teamverbund. Bei der WM 2006 lieferte die Klinsmann-Entourage ihr fachliches Meisterstück, als man nach dem Gute-Laune-Fußball der Vorrunde im Viertelfinal die spielerisch übermächtigen Argentinier mit straffer taktischer Disziplin in die Knie zwang. Kommunikation ist Klinsmanns Schlüssel. Jeder Spieler erhält klare Handlungsanweisungen für seine Position, vom Steilpassgebot für die Innenverteidiger (erster Pass nach vorne!) bis zur Verpflichtung des Mittelfeldsechsers, in Strafraumnähe keinen Ball mit dem Gesicht zum eigenen Tor anzunehmen. Fußball ist einfach - sofern ihn jemand erklärt.

© SZ vom 12.1.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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