Prestige-Duell:Wales schockt die Engländer

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Dem Gastgeber droht das vorzeitige Aus bei der Heim-WM. Englands Rugby-Team verspielt beim 25:28 einen Zehn-Punkte-Vorsprung. Die Bilanz der ersten WM-Woche.

Von Tobias Schächter, London/München

Ende vergangenen Jahres besuchte Eddie Jones die Säbener Straße in München. Der Trainer der Rugby-Nationalmannschaft Japans nahm Anschauungsunterricht bei den Fußballern des FC Bayern und deren Trainer Pep Guardiola. Rugby und Fußball seien sich sehr ähnlich, findet Jones, ein in Tasmanien geborener Sohn einer japanischen Mutter und eines australischen Vaters. In beiden Sportarten sei es neben allen Unterschieden besonders wichtig, den Ball in den freien Raum zu befördern, findet Jones. Und Bayern und Barcelona, die Teams des Fußballdenkers Pep Guardiola, hätten das phantastischste Passspiel aller Zeiten.

Jones hat also genau zugeschaut beim Training von Guardiola mit den Bayern-Profis und sogar ein Treffen mit dem Passspielguru aus Katalonien gehabt. Ob Guardiola ein Dreivierteljahr später einen Anteil an der "größten Sensation in der Geschichte der Rugby-WM" (so titelten quasi alle Zeitungen und Agenturen weltweit über Japans 34:32-Erfolg gegen Titelmitfavorit Südafrika) seit deren Erfindung im Jahr 1987 hat? Pep Guardiola erklärte am Freitag, Jones sei ganz alleine für diesen Triumph verantwortlich. Und außerdem habe, er, Guardiola, überhaupt keine Ahnung von Rugby. Mit Jones habe er sich damals über Fußball, Rugby und Kaffee unterhalten, erzählte Guardiola.

Wie auch immer: Die Rugby-Auswahl Japans und ihr Trainer Eddi Jones drängten, hakelten, tackelten und kickten sich schon am dritten Tag dieser aktuellen Rugby-Weltspiele in England in die Geschichtsbücher. Bis zum Finale am 31. Oktober im Londoner Rugby-Tempel "Twickenham Stadium", kurz "Twickers" genannt, konkurrieren seit zehn Tagen im Vereinigten Königreich 20 Mannschaften in fünf Vierergruppen um den Titel, nur die besten zwei jeder Gruppe schaffen es ins Viertelfinale.

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(Foto: Glyn Kirk/AFP)

Eine Waliser Übermacht rauscht heran, Englands Robshaw ist am Boden. "Es ist meine Schuld", nimmt er nach der Niederlage die Schuld auf sich.

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(Foto: Dylan Martinez/Reuters)

Schlachtengemälde: Der Waliser Jamie Roberts umklammert das Ei, obwohl er schon ahnt, dass es ihm gleich entrissen wird.

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(Foto: Dylan Martinez/Reuters)

Hakenschlagend auf der Flucht: Jonny May punktet für England. Am Ende dreht Wales vor über 85 000 Zuschauer einen Zehnpunkte-Rückstand.

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(Foto: Dylan Martinez/Reuters)

Der Mann des Spiels beim entscheidenden Kick: Dan Biggar glücken 23 Punkte für Wales - hier die letzten und entscheidenden.

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(Foto: David Rogers/Getty Images)

Hebefigur: Geoff Parling (l.) streckt die Finger nach dem Ei aus, doch der Waliser Bradley Davies schraubt sich von unten hoch.

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(Foto: Dylan Martinez/Reuters)

Gehetzt: Liam Williams vermutet die Meute der englischen Verfolger hinter sich. Und hat wohl recht damit.

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(Foto: Facundo Arrizabalaga/dpa)

Endstation: Gleich kommt der Schmerz.

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(Foto: David Rogers/Getty Images)

Scott Williams (Wales) kann das Feld nicht mehr aus eigener Kraft verlassen. Die medizinische Abteilung ist im Dauereinsatz.

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(Foto: Stefan Wermuth/Reuters)

Loslassen: Der Engländer Richard Wigglesworth greift Dan Lydiate ins Gesicht.

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(Foto: Andrew Winning/Reuters)

Royals Vergnügen: Prinz William und Herzogin Kate applaudieren den Sportlern auf dem Rasen.

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(Foto: David Rogers/Getty Images)

"Der Sieg bedeutet sehr viel. Für mich persönlich und für die Spieler", sagt Wales-Coach Warren Gatland.

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(Foto: David Rogers/Getty Images)

England muss um den Einzug ins Viertelfinale bangen. Gegen den zweifachen Weltmeister Australien ist ein Sieg nun Pflicht, um nicht früh zu scheitern.

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(Foto: Michael Steele/Getty Images)

Der zweimalige Weltmeister Südafrika bezwang zuvor im Villa Park von Birmingham Samoa mit 46:6, JP Pietersen war mit einem Hattrick der Matchwinner.

Das Sensationsteam aus Japan und ihr Trainer sind aber schon wieder in der Realität gelandet, gegen Schottland setzte es nach großem Kampf vergangenen Mittwoch in Gloucester am Ende doch eine klare 10:45-Niederlage. Während die Japaner nach dem weltweit beachteten Erfolg ihres Nationalteams zum Auftakt plötzlich Interesse an dem Spiel der 15 furchtlosen Männer mit dem Rugby-Ei finden, stürzte in Südafrika ein ganzes Land in Ungläubigkeit.

Mandela sorgte einst auch im Rugby für die Versöhnung

Immerhin, sie haben sich vom Schock erholt: Am Samstag gewann Südafrika im Wiedergutmachungsspiel gegen Samoa deutlich mit 46:6. Trotzdem: Trainer Heyneke Meyer wird vorgeworfen, zu viele alte und verletzungsanfällige weiße Spieler aufgeboten zu haben und zu wenig Schwarze. Die Debatte über die angebliche Benachteiligung schwarzer Spieler bei der Nominierung wird in Südafrika hart geführt. Während der Apartheid galt Rugby als Sport der Weißen, das Springbok-Trikot symbolisierte deren Herrschaft. Als aber Nelson Mandela 1995 im Springbok-Shirt Francois Piennar, dem Kapitän der südafrikanischen Nationalmannschaft, den WM-Siegerpokal im Stadion in Johannesburg übergab, stand dieser Sport auch für Versöhnung und eine mögliche Überwindung der Kluft zwischen Schwarz und Weiß. Am Kap ist Rugby mehr als ein Sport.

Das gilt auch für Neuseeland, alle männlichen Kinder und Jugendlichen im Land träumen davon, ein "All Black" zu werden - ein Spieler des Rugby-Nationalteams also, das in schwarzem Trikot, schwarzen Hosen, schwarzen Stutzen und schwarzen Schuhen antritt und vor jedem Anpfiff den sogenannten "Haka", einen Ritual-Tanz der Maori aufführt, um den Gegner einzuschüchtern und sich der eigenen Stärke zu vergewissern.

Wer im Inselstaat im Pazifik zu schlecht für die "All Blacks" ist, versucht es woanders, in Japans Überraschungsteam gegen Südafrika standen sechs Spieler mit neuseeländischen Wurzeln. Titelverteidiger Neuseeland ist erneut der große Favorit und gewann die ersten beiden Spiele souverän. Die Gruppenphase nutzt Trainer Steve Hansen noch zum Experimentieren. Nach dem hart erkämpften Auftaktsieg gegen starke Argentinier (26: 16) setzte Hansen am Donnerstag vor 80.000 Zuschauern im Londoner Olympiastadion gegen die vorwiegend aus Amateuren zusammengesetzte Auswahl Namibias elf neue Profis in der Start-15 ein. Selten hat sich eine Mannschaft mehr über eine hohe Pleite gefreut wie die Namibier am Donnerstag. Beim 14:58 gelang dem Underdog ein sogenannter Versuch - der liegt dann vor, wenn ein Spieler das Spielgerät hinter die Linie ins Malfeld des Gegners mit den Händen auf den Boden legt. Man muss sich das Glücksgefühl der Namibier ungefähr so vorstellen, wie wenn im deutschen Fußball einem Oberligateam im Pokalspiel ein Tor gegen die Guardiola-Bayern gelingt. Namibia hatte bei der WM 2003 in England ja noch mit 0:142 gegen Australien die höchste WM-Niederlage aller Zeiten kassiert. Australien startete übrigens wie die von Experten mit Titelchancen dekorierten europäischen Teams aus Irland und Frankreich mit Siegen. Die beiden anderen Favoriten, England und Wales, trafen am späten Samstagabend in Twickenham aufeinander.

Japans Ayumu Goromaru versucht, das Ei über den Burgturm in Warwick zu treten. (Foto: Darren Staples/Reuters)

"Einen der größten Siege meiner Laufbahn", sagt der Kapitän von Wales

In einem epischen Match vor über 85 000 Zuschauern drehten die Waliser einen Zehnpunkte-Rückstand in der zweiten Halbzeit noch in einen 28:25 -Erfolg durch einen Versuch von Gareth Davis, der neun Minuten vor dem Ende und einer Erhöhung von Dan Biggar, der alle seine sieben Kicks verwandelte. "Das ist definitiv einer der größten Siege meiner Laufbahn, ein großartiges Ereignis", sagte Sam Warbuton, der Kapitän von Wales, Die Waliser verloren in diesem harten Kampf zweier gleichwertiger Mannschaften aber auch einige Spieler durch Verletzung. Man darf gespannt sein, wie schnell sich diese Mannschaft für das nächste Spiel in fünf Tagen gegen Fidschi regenerieren kann.

Für Gastgeber England bedeutet diese Niederlage einen harten Rückschlag auf dem Weg ins Viertelfinale. Da ja nur zwei Teams aus jeder der vier Fünfergruppen den Weg ins dorthin schaffen, droht England das vorzeitige Aus in dieser sogenannten Todesgruppe. In Wales, England und Australien treten in Gruppe A drei Teams an, die das Potenzial für den Titelgewinn haben. Die Australier spielen diese Sonntag gegen Uruguay. Das Spiel zwischen England und Australien am Samstag in einer Woche ist für England bereits ein Endspiel - verlieren sie auch das, wird die WM ohne den Gastgeber in die K.O.-Phase gehen.....

Großer Turnierfavorit bleiben nach zehn Tagen mit vollen Stadien und mitunter großem Sport die "All Blacks". Aber es gibt einen Haken: Noch nie konnten die Neuseeländer den Titel außerhalb der eigenen Landesgrenzen gewinnen.

© SZ vom 27.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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