Die Beste der Welt:Heiße Nummer

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Seit Montag führt Angelique Kerber die Tennis- Weltrangliste an. Nicht alle Vorgängerinnen wurden in der Rolle glücklich.

Von René Hofmann

Computer sind genau. Erst seit Montagmorgen 0.01 Uhr darf sich Angelique Kerber wirklich als die Nummer eins der Tenniswelt fühlen. Seit dem 3. November 1975 veröffentlicht die Frauentennis-Organisation WTA an jedem Montag eine Liste, welche Spielerin die Beste ist, welche am meisten Weltranglisten-Punkte gesammelt hat, wer sich die "Nummer eins" nennen darf. Die Erste, die ganz oben geführt wurde, war Chris Evert; die Amerikanerin war bei ihrer Krönung 20 Jahre alt und hielt sich ein knappes halbes Jahr lang an der Spitze.

Wie schnell es jemand hinaufschafft, wie lange er sich dort hält - das sind Geschichten, die nicht nur Statistik-Freunde freuen: Inzwischen ist die Geschichte der Nummer eins so lang, dass sie selbst einiges erzählt. Drei Frauen ragen heraus, weil sie es geschafft haben, sich mehr als dreihundert Wochen lang ganz oben zu halten: Steffi Graf (377 Wochen als Nr. 1), Martina Navratilova (332 Wochen) und Serena Williams (309 Wochen). Von Graf und Williams ist in den vergangenen Wochen viel die Rede gewesen. Die inzwischen 34-jährige Amerikanerin ist diejenige, die von Kerber nun abgelöst wurde - und die inzwischen 47 Jahre alte Graf war vor Kerber die einzige Deutsche, die an der Spitze der Tenniswelt stand (zuletzt am 30. März 1997). Am besten darüber erzählen, was die besondere Nummer bedeutet, kann aber vermutlich Navratilova.

Vor einigen Jahren schon verriet die inzwischen 59-Jährige dem Daily Telegraph, wie zerrissen sie ihre Zeit an der Spitze erlebt hat. Einerseits war sie natürlich glücklich, als die Beste in dem zu gelten, was sie am liebsten tat. Aber da war auch eine unerfüllte Sehnsucht: der Wunsch nach der wärmenden Zuneigung des Publikums, die ihr lange verwehrt blieb. "Die habe ich mir so sehr gewünscht. Vielleicht ist das der Grund, wieso ich sie nicht bekommen habe", hat Navratilova damals gesagt und ausgeführt: "Ich war groß. Ich war stark. Ich habe mich für nichts entschuldigt. Ich kam aus einem kommunistischen Land, war aber ein echter Kapitalist. Ich war auf viele Arten so anders. Und zu all dem war ich auch noch lesbisch."

Jüngst hat Navratilova, die aus der Tschechoslowakei stammte und 1981 die US-Staatsbürgerschaft annahm, die Aussagen in einem Interview noch einmal variiert. Das Thema - es beschäftigt sie noch immer. Sechs Jahre lang war sie staatenlos, sie hatte also nie ein Heimspiel. Zwischen 1982 und 1987, als sie viele Erfolge feierte, war das Publikum gegen sie, weil es lieber zu den Außenseitern hielt. "Bis in die Neunziger habe ich nie die Sahne bekommen", sagt Navratilova, "ich habe die Leute erst begeistert, als ich nicht mehr gewonnen habe." Die Nummer eins ist die Gejagte - und nicht immer die Gefeierte.

In den ersten elf Jahren spuckte der Computer lediglich vier unterschiedliche Namen an erster Stelle aus: Neben Evert und Navratilova waren das Evonne Goolagong und Tracy Austin. Goolagong, eine Repräsentantin des Aborigine-Stamms der Wiradjuri, hielt sich lediglich zwei Wochen an der Spitze, Austin etwa zehn Mal so lang. Das Besondere an ihr: Sie war erst 17, als sie zum ersten Mal die Nummer eins wurde. Mit noch nicht einmal 23 Jahren beendete sie später ihre Karriere. Austin war das erste Wunderkind, das ganz nach oben gespült wurde. 17 Jahre später sollte ihr ein Mädchen folgen, dessen Weg zum Tennis schon bei der Geburt schraffiert worden war: Martina Hingis heißt Martina mit Vornamen, weil ihre Mutter Martina Navratilova verehrte.

Weil auch Hingis früh ausgebrannt war und zeitig ihren ersten Rücktritt erklärte, wurden die Regeln geändert: Talente dürfen heute weit weniger Turniere bestreiten als einst. Der Weg nach ganz oben ist den ganz jungen seitdem verbaut. Wunderkinder finden sich in der Nummer-eins-Liste seit der Jahrtausendwende keine mehr. Aber es finden sich Phasen, die andere Phänomene dokumentieren.

Zwischen Mai 2008 und Februar 2013 hielt sich keine Spielerin 50 Wochen lang durchgehend auf dem begehrten Platz. Die Nummer eins begab sich auf eine unstete Wanderschaft. Der Serbin Jelena Jankovic, der Russin Dinara Safina und der Dänin Caroline Wozniacki glückte es in dieser Zeit, die gefragte Nummer ohne einen Grand-Slam-Titel zu erobern - was die Frage aufkommen ließ, wie sinnvoll der Nummer-eins-Status noch sei: Wenn die angeblich Beste bei den größten Turnieren chancenlos ist, erschüttert das den Nimbus doch arg.

Angelique Kerber ist in dem Punkt wenig vorzuwerfen: Sie hat in diesem Jahr die Australian und die US Open gewonnen und in Wimbledon erst im Finale verloren. Sie ist eine würdige Nummer eins. Auch wenn sie schon 28 ist. So erfahren war bisher noch keine neue Spitzenkraft.

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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