DFB-Junioren verlieren 0:5 :Das Debakel von Olmütz: Im falschen Film  

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Welch eine Demütigung für Horst Hrubeschs Auswahl im Halbfinale gegen Portugal. Nie verlor ein deutsches U21-Team höher. DFB-Präsident Niersbach fordert: "Jeder muss sich überprüfen."

Von Matthias Schmid, Olmütz

Als die Vorführung im doppelten Sinne vorüber war, wirkte Horst Hrubesch im ersten Moment fast erleichtert. Er stand beim Schlusspfiff in seiner Coaching Zone, die Hände lässig vor seiner Brust verschränkt und blickte auf den Rasen, stoisch, irgendwie entrückt. Wenn der Blick auf die Anzeigetafel nicht freigewesen wäre, hätte man glauben können, dass jetzt gleich die Verlängerung beginnt im Halbfinale bei der U-21-Europameisterschaft gegen Portugal. Doch der Schlusspfiff in Olmütz dokumentierte für die deutsche Mannschaft das Ende des Turniers, das letzte Spiel - und die höchste Pflichtspielniederlage der Mannschaft überhaupt.

Es war eine Demütigung, die Hrubesch und seine Spieler erleben mussten, Portugal gewann 5:0 (3:0) und steht erstmals nach 21 Jahren wieder im Endspiel dieses Wettbewerbs. "Ich bin heilfroh, dass wir am Ende nur fünf Stück bekommen haben", gestand der Trainer.

Aussicht auf Olympia kein Trost

Er konnte sich nach seiner ersten Pflichtspielniederlage als U-21-Trainer wenigstens damit trösten, die Mannschaft zu den Sommerspielen im nächsten Jahr nach Rio geführt zu haben. Doch ob das beim Abpfiff wirklich tröstlich war? An Olympia dürfte er in diesem Moment wohl am wenigsten gedacht haben, schon eher an seine Aufstellung. "Wir haben heute jede Aggressivität vermissen lassen und sind zu Recht dafür bestraft worden", sagte Hrubesch.

Der Respekt vor den spielstarken Portugiesen um William Carvalho und Bernardo Silva hatte sich der Startelf bemerkbar gemacht. Hrubesch baute seine Anfangsformation so gravierend um wie noch nie bei diesem Turnier, wie nie zuvor in seiner zweiten Amtszeit, nachdem der 64-Jährige den Job im Herbst 2013 fünf Jahre nach dem EM-Sieg ein zweites Mal übernommen hatte. Er wollte mit einem für die Spieler ungewohnten, aber fast zu vorsichtigen 4-1-4-1 vor allem das Zentrum mit wuchtigen, aber zugleich technisch hochbegabten Spielern besetzen und ließ den bisher als Spielmacher eher glücklosen Max Meyer auf der Bank. Hinter der einzige Spitze Kevin Volland bot er mit Emre Can und Joshua Kimmich im offensiven Mittelfeld gleich zwei Spieler auf, die bisher die Doppelsechs besetzt hatten. Ihr bisheriges Arbeitsfeld übernahm in dem künftigen Schalker Johannes Geis nur ein einzelner Profi. "Wir müssen die Mitte zumachen und aggressiv gegen sie spielen und ihnen auch mal wehtun", hatte Can vor dem Spiel forsch angekündigt, "wir wollen unser Spiel durchsetzen."

Subtile, kunstvolle Kombinationen

Aber die Zuschauer merkten schnell, dass nicht die Deutschen den Portugiesen wehtun würden, sondern die Portugiesen den Deutschen. Und zwar nicht körperlich, sondern subtiler, mit schnellen, kunstvollen Kombinationen über die flinken Außenstürmer. Bereits nach einer Viertelstunde hätte die Mannschaft des früheren Nationalspielers Rui Jorge folgerichtig in Führung gehen müssen, doch der Flachschuss von Kapitän Sergio Oliveira landete am Pfosten. Die Portugiesen wirkten frischer, irgendwie schneller in Kopf und Beinen. Die deutschen Spieler liefen meistens nur hinterher, spielten seltsam gehemmt und konnten schon gar keine Dynamik nach vorne entwickeln. Wie man in Höchstgeschwindigkeit, aber dennoch strukturiert und präzise Fußball spielt, demonstrierten die Portugiesen. Einer dieser Angriffe endete in der 25. Minute schließlich beim 1:0, als Bernardo Silva vom AS Monaco den Ball an Marc-André ter Stegen vorbeischoss, nachdem er herrlich von Ivan Cavaleiro freigespielt worden war. Und es dauerte nur sieben Minuten, bis die Portugiesen auf 2:0 erhöht hatten, nach einem Eckball von Silva verlängerte Oliveira mit dem Kopf, am langen Ecke stand Ricardo, der den Ball nur noch einzuschieben brauchte.

Die taktische Korrektur, die Hrubesch nach dem 0:1 vorgenommen hatte, blieb wirkungslos. Der deutsche Cheftrainer hatte Can auf die Zehn gezogen, Kimmich versuchte nun, neben Geis die Räume gegen die heranstürmenden Portugiesen zu verdichten. Die deutsche Elf kam dann auch tatsächlich zu ihrer ersten Torchance, doch nachdem Portugals Torhüter Jose Sa einen Schuss von Kimmich hatte abwehren können, drosch Nico Schulz den Ball weit über das Tor (37.). Es war die bis dato beste Phase der deutschen Mannschaft, auch weil Portugal seine Intensität ein wenig verringerte und sich ein wenig ausruhte. Der rechte Außenstürmer Amin Younes dribbelte sich in den Strafraum (44.), er verzögerte, er dribbelte weiter, er zog mit links ab, als er eine günstige Gelegenheit sah, doch Sa parierte glänzend. Der Eckball der deutschen Mannschaft verhalf Portugal zu einem Konter, den jeder Fußballlehrerausbilder in sein Lehrprogramm aufnehmen sollte, es war ein Lehrbeispiel dafür, wie man eine noch nicht wieder formierte Abwehr mit drei schnellen Pässen ausspielt. Nutznießer war Cavaleiro, der den Ball mit so viel Wucht zum 3:0 über die Linie bugsierte, dass das Tornetz sich fast bis zur Tribüne wölbte.

Nach dem 0:4 ist Hrubsch klar: "Jetzt ist es durch"

Es hatte seinen Stresstest mit Bravour bestanden, das galt nicht für die deutsche Mannschaft, die gleich in ihrem ersten K.o.-Spiel bei der EM ihre spielerischen Grenzen erfahren musste. Und die Demütigung sollte noch schlimmer kommen. Nur 45 Sekunden benötigten die Portugiesen nach dem Seitenwechsel, um das 4:0 zu erzielen. Innenverteidiger Dominique Heintz hatte einen Schuss von Joao Mario so unglücklich abgefälscht, dass ter Stegen den Ball nur noch aus dem Tor holen konnte. "Ich dachte, ich bin im falschen Film", sagte Hrubesch. In der Pause hatte er seine Aufstellung ein zweites Mal korrigiert - und Meyer für Geis eingewechselt. Einem Tor waren die Deutschen trotzdem nicht näher gekommen, im Gegenteil. "Nach dem vierten Tor war mir klar, dass das Spiel spätestens jetzt durch ist", sagte Hrubesch. Den schon dramatisch überlegenen Portugiesen gelang durch den eingewechselten Ricardo Horta dann sogar noch ein fünftes Tor (71). Die deutsche Mannschaft konnte wenigstens bei den Platzverweisen in Führung gehen, als Leonardo Bittencourt, erst 25 Minuten auf dem Platz, in der 75. Minute gelb-rot sah.

Portugal spielt nun am Dienstag im Finale in voller Mannschaftsstärke gegen Schweden, das im zweiten Halbfinale Dänemark mit 4:1 schlug. Für Deutschland endete das Turnier am Boden.

Wolfgang Niersbach wollte sich nach dem Schlusspfiff mit dem Erlebten nicht so einfach zufrieden geben. Er wollte gleich nach Spielende von den Spielern erfahren, warum sie dem Gegner fast demütig, ohne jede Wucht gegenübertraten. "Jeder einzelne muss sich nach der Enttäuschung überprüfen", sagte der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes: "Das war deprimierend." Horst Hrubesch dagegen wollte nicht gleich alles schlechtreden. Er hatte seinen Spielern in der Kabine gesagt, "dass wir keine Schuldzuweisungen suchen dürfen. Sie sollen es so nehmen wie es ist." Er war tatsächlich erleichtert, als der Abend vorbei.

© SZ vom 28.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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