DFB-Frauen im Halbfinale:"Wir sind alle fix und fertig!"

Lesezeit: 4 min

6:5 nach Elfmeterschießen gegen Frankreich: Deutschland erreicht das WM-Halbfinale. Trainerin Neid schwärmt vom "großen Charakter" und hofft: "Vielleicht geht da noch mehr."

Von Kathrin Steinbichler, Montréal

Die 90 regulären Spielminuten in Montréal waren längst um. Auch die 30-minütige Verlängerung war längst abgepfiffen worden, und noch immer hatte dieses intensive Viertelfinalspiel zwischen Deutschland und Frankreich nach Treffern von Louisa Necib (64.) und Célia Sasic (84.) keinen Sieger gefunden. Auch nicht durch die nun schon neun Elfmeter, die nach und nach im Tornetz zappelten. Eine um die andere Spielerin der Deutschen und der Französinnen war im gelblichen Licht unter der geschlossenen Hallendecke des Stade Olympique an den Punkt getreten, eine um die andere hatte ihre Aufgabe mit einer Präzision und Entschlossenheit erledigt, die den Zuschauern Respekt und spitze Schreie der Aufregung abrangen. Bis es zum zehnten, zum letzten Duell aus elf Metern kam. Claire Lavogez lief an. Und Nadine Angerer hielt.

Auf dem Kunstrasen von Montréal brach daraufhin eine menschliche Stampede los, vom Mittelkreis und von der Bank aus stürmten die deutschen Fußballerinnen samt Bundestrainerin Silvia Neid auf ihre Torhüterin zu, schrien um sich und feierten den Einzug ins WM-Halbfinale. "Dieser Moment, das war ja Wahnsinn", sagte die ausgewechselte Anja Mittag anschließend, "ich bin fix und fertig. Wir alle sind fix und fertig. Aber Natze ist halt eine coole Sau, unglaublich."

Die "coole Sau" ist "einfach nur platt, total ausgepumpt"

Mit einem 6:5 (1:1, 0:0) nach Elfmeterschießen steht die deutsche Mannschaft bei der Frauenfußball-Weltmeisterschaft in Kanada jetzt im Halbfinale. Dort warten in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch (1 Uhr MESZ/ARD und Eurosport) in Montréal die Olympiasiegerinnen aus den USA, die ihrerseits durch ein 1:0 über China in die Runde der letzten Vier eingezogen sind. Aber "an den nächsten Gegner kann ich jetzt noch nicht denken", sagte Torhüterin Angerer, die anschließend zur wertvollsten Spielerin des Abends gewählt wurde. "Ich bin jetzt einfach nur platt, total ausgepumpt. Das Spiel war sehr intensiv."

Auch Philippe Bergeroo tat sich schwer, den Kopf stolz aufrecht zu halten, als er nach dem Spielende im Bauch der Arena auftauchte. 7,89 Millionen Fernsehzuschauer in Deutschland hatten das Duell dieser beiden europäischen Spitzenmannschaften verfolgt, die mit ihrer Klasse als berechtigte Titelanwärter gelten. Auch in Frankreich hatten sich daher 4,1 Millionen Menschen und damit so viele wie noch nie zuvor in ein Frauenfußball-Länderspiel zugeschaltet. Dieses WM-Viertelfinale, es war, wie Bergeroo sagte, "eine große Chance" für den französischen Frauenfußball, der 2019 die nächste Weltmeisterschaft ausrichtet. "Es ist bitter, die Spielerinnen jetzt so am Boden zu sehen." Nach so einem Spiel, in dem Frankreich lange wie der Sieger aussah.

Vor vier Jahren noch waren die Französinnen im WM-Halbfinale gescheitert, diesmal waren sie gereifter und noch besser. Und sie begannen das Spiel so stark und schnell, wie Deutschland es befürchtet hatte. Schlimmer noch: Frankreich zeigte sich fraglos besser als Deutschland, der abgefälschte Schuss von Necib zum 1:0 war viel zu wenig Ertrag für den offensiven Wirbel der Französinnen (64,). "Wir haben nicht gut in dieses Spiel gefunden, in der ersten Halbzeit standen wir viel zu weit weg. Frankreich war uns überlegen in der ersten Halbzeit", gestand Bundestrainerin Neid. "Aber wir haben uns in dieses Spiel rein gekämpft. Ich finde, dass die Mannschaft großen Charakter gezeigt hat." Der war auch nötig in diesem Kräftemessen, das der deutschen Elf alles abverlangte - und noch mehr.

Wenn jede für jede läuft...

"Wir mussten heute über uns hinauswachsen", sagte Außenverteidigerin Leonie Maier, "die Französinnen haben uns in Grund und Boden gerannt, ich weiß nicht, wie wir das überstanden haben. Ich weiß nur, dass jede für jede gelaufen ist, und am Ende war es auch das Vertrauen, das wir hatten." Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten - und in Nadine Angerer, die Elfmeterspezialistin.

Kurz vor dem Ende der regulären Partie war Maier, das 22-jährige Laufwunder des FC Bayern München, noch einmal in Richtung Strafraum gezogen, ihr Zuspiel ging an die Hand von Frankreichs Amel Majri. Stürmerin Celia Sasic zögerte am Vorabend ihres 27. Geburtstags nicht, verwandelte den fälligen Strafstoß und brachte die Deutschen so zurück in die Partie (84.). "Die Aussicht, mit dem Ausgleich wieder im Spiel zu sein und wieder alle Chancen zu haben, war so groß, dass da kein Platz für Zweifel war", beschrieb sie ihren Elfmeter. In der Verlängerung dann hatte Gaetane Thiney kurz vor dem Abpfiff die große Chance, Frankreich endgültig zum Sieger zu machen, doch sie verpasste aus nur wenigen Metern das Tor (117.). "Wir sind sehr enttäuscht. Wir waren nicht in der Lage, unsere Chancen zu verwerten", sagte Bergeroo mit gedämpfter Stimme. Also musste das Elfmeterschießen entscheiden, und da begann erst recht das Drama.

"Was ist mit Dzseni, die liegt da hinten?"

"Ich habe die Spielerinnen gefragt, wer schießen will", erzählte Neid. "Einige haben sich gemeldet, manche haben zu Boden geschaut. Wir hatten dann vier, eine hat also noch gefehlt, und Dzseni (Marozsan, Anm. d. Red.) lag noch am Strafraum. Da meinte ich: Was ist mit Dzseni, die liegt da hinten? Lena Goeßling ist dann zu ihr und hat sie gefragt, und sie hat ja gesagt." Die eingewechselte Marozsan war mit der letzten Aktion des Spiels liegen geblieben, sie hatte sich erneut an ihrem lädierten linken Knöchel verletzt und wurde behandelt. Doch auch sie zögerte nicht, als es an den Punkt ging. "Ich schieße gerne Elfmeter, das war für mich keine Frage."

Behringer, Laudehr, Peter, Marozsan und erneut Sasic trafen eiskalt für Deutschland, dann musste die eingewechselte Claire Lavogez als letzte antreten. Angerer wehrte Lavogez' halbhohen Schuss im Sprung mit dem Knie ab - und ballte danach mit einem Schrei die Fäuste. "Das war, soweit ich mich erinnern kann, das intensivste Spiel", sagte Bundestrainerin Neid. Vor allem die Erholung steht jetzt im Vordergrund bis zum Halbfinale gegen die USA. Was dann noch möglich ist? "Wenn man so ein Spiel, das so auf der Kippe steht, gewinnt, ist das natürlich gut für das Selbstvertrauen", sagte Neid. " Wir wissen, dass wir besser spielen können, und wir gehören jetzt zu den vier besten Mannschaften bei dieser WM. Vielleicht geht da noch mehr."

© SZ vom 28.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: