Deutschland-Tour:Androhung der Apokalypse

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Die Radprofis müssen während der Deutschland-Tour damit leben, dass sie äußerst skeptisch betrachtet werden.

Ulrich Hartmann

"Ruben, wer ist dein Lieblingsfahrer?", fragte der Moderator auf einer großen Bühne am Düsseldorfer Burgplatz, und Ruben, ein Jugendlicher von vielleicht zwölf Jahren, sagte: "Jan Ullrich nicht mehr!"

Levi Leipheimer vom Team Gerolsteiner: Die Fans werden das Spektakel mit mehr Skepsis verfolgen. (Foto: Foto: AP)

Der Moderator stellte dann noch ein paar Wissensfragen, verschenkte Werbeartikel und redete den Zuschauern vor der Bühne gut zu.

Der Radsport sei ein toller Sport und grundsätzlich sicherlich auch sauber.

Anschließend stellten die Teams auf der Bühne ihre Fahrer vor. 176 Radler aus 22 Teams starteten am Dienstag mit einem Einzelzeitfahren durch die Düsseldorfer Innenstadt in die Deutschlandtour - 176 Fahrer, unter denen viele Radsportfans vorerst keinen Lieblingsfahrer mehr auszumachen vermögen.

Was die Fans am Dienstag sahen: Der Russe Wladimir Gusew gewann den Prolog. Der 24-Jährige vom Discovery-Team holte sich auf den 5,5 km langen Kurs in 6:42 Minuten den Sieg und war dabei nur neun Hundertstelsekunden schneller als T-Mobile-Profi Linus Gerdemann (Köln). Dritter wurde der deutsche Zeitfahrmeister Sebastian Lang (6:43). Am Mittwoch wird die Tour mit der ersten Etappe von Düsseldorf nach Bielefeld fortgesetzt. Über 198,2 km ist überwiegend flaches Terrain zu bewältigen, so dass sich die Sprinter Hoffnungen auf eine Massenankunft machen.

Bis zum 9. August rollt die Karawane dann 1400 Kilometer durch Deutschland, ehe sie in Karlsruhe ihren Gesamtsieger kürt. Die Menschen am Straßenrand werden mit Begeisterung, aber auch mit deutlich mehr Skepsis beobachten was passiert, und der Tourdirektor Kai Rapp wird hoffen, dass sein Radrennen von Skandalen verschont bleibt. Sonst wird es nämlich ein schwieriger Weg.

"Die Chancen auf Übertragung 2007 liegen bei 50 Prozent"

Rapp, 40, ist Direktor der Deutschlandtour, seit sie im Jahr 1999 neu aufgelegt wurde. Die Rundfahrt sollte sich eigentlich in den kommenden Jahren weiterentwickeln, sie sollte an Bedeutung gewinnen, aber jetzt, da der Gegenwind im Radsport immer schärfer wird, ist plötzlich alles anders. Hagen Boßdorf als Sportkoordinator der ARD, die die Deutschlandtour jeden Nachmittag live überträgt, äußert sich dieser Tage ziemlich nachdenklich über die Zukunft der Liveübertragung.

"Die Quoten werden entscheidend sein", sagt Boßdorf, "die Chancen auf eine Übertragung 2007 liegen bei 50 Prozent." Solch eine Entweder-Oder-Situation hätte sich Rapp vor ein paar Wochen nicht vorstellen mögen, und obwohl er das Verhältnis zur ARD und zu Boßdorf als gut beschreibt, seien die Aussagen "natürlich eine massive Bedrohung für die Deutschlandtour".

Am Dienstag, als jeder der 176 Fahrer binnen weniger Minuten das 5,5 Kilometer kurze Zeitfahren durch Düsseldorfs City absolvierte, erhielt Rapp tröstlichen Besuch aus Frankreich. Der Tour-de-France-Direktor Christian Prudhomme war den ganzen Tag da und gab Tipps und Beistand in dieser schwierigen Zeit. Prudhomme hatte vor der Frankreich-Rundfahrt ein paar Entscheidungen forcieren müssen, durch die etliche verdächtige Fahrer nicht an der Tour teilnehmen durften. Rapp hingegen konnte und wollte keine Suspendierungen aussprechen.

"Unsere Möglichkeit der Einflussnahme ist aufgrund der Richtlinien des Weltverbands UCI begrenzt", sagt er. Es stand also gar nicht erst zur Debatte, das Phonak-Team des als Dopingsünder enttarnten Toursiegers Floyd Landis in Düsseldorf möglicherweise nicht an den Start gehen zu lassen, und kein Thema war auch ein Ausschluss des Teams Astana, das in Frankreich nicht starten konnte, weil fünf seiner Fahrer zu den Suspendierten gehörten und das Team dadurch zu klein war, um mitfahren zu können.

"Wir sitzen alle auf einer Eisscholle"

Mit Alexander Winokurow gehört der Kapitän des Astana-Teams bei der Deutschlandtour nun zu den Favoriten, und darüber mag sich Tourdirektor Rapp auch gar nicht aufregen. "Hätte ich Astana ausgeschlossen, wenn ich gekonnt hätte?", fragt er in den Raum, "oder hätte ich andere populistische Maßnahmen ergriffen?"

Er neige nicht zur Hexenjagd, sagt Rapp und suggeriert damit eine öffentliche Übertreibung der Dopingdebatte. Dabei mag er das Problem gar nicht herunterspielen. Im Gegenteil. Rapp sitzt mit am Runden Tisch, wenn am 5. August nach dem Zieleinlauf in Bad Tölz die Diskussion über die Reformierung des Radsports fortgesetzt wird. Rapp sieht den Radsport am Beginn eines radikalen Wandels, "jetzt müssen wirklich alle die Hosen runter lassen", sagt er forsch, wohlwissend, dass solche Parolen eine Aufbruchstimmung auch zum Wohle der Deutschlandtour schüren sollen.

Konkret ist ihm allerdings nichts anderes übrig geblieben, als an alle teilnehmenden Teams vor der Deutschlandtour einen Brief zu schreiben "und die Situation deutlich aufzuzeigen". Er habe in den Brief hineingeschrieben, erzählt Rapp, "dass wir alle auf einer Eisscholle sitzen", und die Fahrer und Teamchefs müssten selbst entscheiden, ob diese Eisscholle schmilzt oder nicht.

Unter Androhung der Apokalypse will in den kommenden Jahren die Deutschlandtour ein wichtiger Bestandteil der Reform des Radsports sein. Am Ende könnte dann irgendwann wieder ein Jugendlicher auf irgendeiner Bühne stehen und mit glänzenden Augen den Namen seines Lieblingsfahrers nennen. Im Moment gelingt das nicht.

© SZ vom 02.08.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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