Deutschland ist Handball-Weltmeister:Ihr größtes Spiel

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Die Deutschen gewinnen mit einem 29:24 gegen Polen den Titel - am Ende sogar ohne den verletzten Henning Fritz.

Christian Zaschke

Sie trugen Kronen aus Pappe und vor allen Dingen trugen sie Bärte, und dereart gewandet marschierten sie ein in die Kölnarena wie Triumphatoren. Eben hatten die deutschen Handballer Polen im Endspiel der WM 29:24 (17:13) besiegt, und nun schritten sie zur Siegerehrung.

Torwart Henning Fritz ging an Krücken, er hatte sich im Spiel verletzt, und so kam er nun als humpelnder König. Christian Schwarzer hatte die Rührung die Tränen in die Augen getrieben, er kam als weinender König, und nachdem Markus Baur dem Bundestrainer Heiner Brand einen schönen Schuss Champagner ins Haar geschüttet hatte, stand dieser als begossener König in der tosenden Halle.

Nach dem Abpfiff hatte er kurz allein im Siebenmeterkreis gestanden und den Blick schweifen lassen, und in diesem Moment erinnerte er an Franz Beckenbauer, der nach dem Sieg bei der Fußball-WM 1990 allein über den Rasen des Römer Olympiastadions gelaufen war. Brand hat nun das gleiche geschafft, er war 1978 Weltmeister als Spieler und nun ist er auch Weltmeister als Trainer. Als der Champagner aus seinem Haar troff, griff er sich kurz ans Herz, wie um sich zu vergewissern, dass alles noch am rechten Fleck liegt.

Die Spieler präsentierten ihre zwar angeklebten, aber dennoch prächtigen Bärte. Vor drei Jahren, nach dem EM-Sieg in Slowenien, hatte Brand sich seinen Schnäuzer abrasiert. Diesmal war es also an den Spielern, etwas zu tun, und sie verbeugten sich vor ihrem Trainer, indem sie nun ihrerseits mit Gesichtsschmuck herumliefen. Manchen stand der Bart richtig gut, Florian Kehrmann zum Beispiel entpuppte sich als Naturtalent im Schnurrbarttragen. Und auch Torsten Jansen - der beste Mann dieses Finales - trug den Bart mit einiger Anmut, bis er ihm einfach aus dem Gesicht fiel.

Der Weg bis zu dem Punkt, an dem die Spieler sich Bärte ins Gesicht kleben konnten, war sehr weit. Schwierige Spiele liegen hinter dem Team, und auch das gegen Polen war eines, obwohl es so fulminant begann, dass der polnische Trainer Bogdan Wenta seine erste Auszeit nach zehn Minuten genommen hatte, weil er sah, dass es so nicht weiterging. Erst lief alles wie erwartet: Die Polen trafen aus dem Rückraum, die Deutschen erspielten sich geduldig eine Lücke oder kamen per Tempogegenstoß zum Erfolg.

Gleich der erste Treffer war ein kleines Spektakel, als Torsten Jansen zwar im Flug gerammt wurde, den Ball aber dennoch in Rücklage im Tor unterbrachte. Nachdem die Polen 3:2 in Führung gegangen waren, schien es, als habe sich die deutsche Mannschaft gesagt: bis hierhin und nicht weiter. Zwischen der siebten und der elften Minute erzielten die Deutschen sechs Tore hintereinander, es war wie ein plötzlicher Rausch im Spiel, der die Mannschaft zu einer Führung von 8:3 brachte. Bei 6:3 hatte Wenta seine Auszeit genommen, und normalerweise kommt eine Mannschaft anschließend besser ins Spiel. Die Polen kassierten jedoch schnell zwei Tore.

Der exzellente Hamburger

Anschließend beruhigte sich die Partie etwas, sie war ausgeglichener und wurde geprägt von vielen vergebenen Chancen. Christian Zeitz verwarf mehrmals frei vor dem Tor, sonst wäre der deutsche Vorsprung früh sehr groß geworden. So blieben die Polen im Spiel, und nach 25 Minuten hatten sie ihren Rückstand plötzlich auf zwei Treffer verkürzt. So etwas kann schnell gehen im Handball, und Bogdan Wenta sorgte nun zusätzlich für Stimmung.

Er legte sich mit Zuschauern an, einem bedeutete er, dass er sich nach dem Spiel mit ihm unterhalten wolle. Die Zuschauer reagierten mit den üblichen Schmähungen, und auf dem Spielfeld reagierte die deutsche Mannschaft, indem sie konzentrierter zu Werke ging. Drei der letzten vier Treffer der ersten Halbzeit fielen auf polnischer Seite, mit einer 17:13-Führung gingen die Deutschen in die Pause, begleitet von der Anfeuerung der Kölner.

Die zweite Halbzeit begann, wie die erste geendet hatte: mit einem Tor von Torsten Jansen. Der Hamburger hat eine exzellente WM gespielt, in der Abwehr stellte er diesmal den rechten Rückraum der Polen kalt. In der Offensive agierte er gewohnt souverän, er ist in diesem Turnier eine der Leitfiguren des Teams geworden. Als nach einem Gegentreffer Michael Kraus und erneut Jansen auf 20:14 erhöhten, schien die Partie so gut wie gelaufen. Doch dann passierte das aus deutscher Sicht Schlimmste: Henning Fritz knickte um.

Bitter muss ran

Der Torwart hat ein sensationelles Turnier gespielt, er hat die Mannschaft mit seinen Paraden in dieses Finale gebracht, und nun zeigte die Uhr 34:37 und Fritz lag am Boden. Minutenlang wurde er behandelt, das Publikum skandiert seinen Namen, es rief "Henning", immer wieder, als könnten die Rufe die Verletzung des Torwarts heilen lassen. Doch Fritz wurde vom Platz getragen, Johannes Bitter stützte ihn, der zweite Torwart, der nun seinen Platz einnahm.

Die Frage war, wie die Mannschaft das verkraften würde, und sie verkraftete es zunächst sehr schlecht. Obwohl die Polen nach zwei Zeitstrafen in Unterzahl spielen mussten, vier gegen sechs, gelang es ihnen, den Rückstand zu verkürzen. Sie erzielten vier Tore hintereinander, die Deutschen wirkten nun fahrig und nervös, sie wirkten, als hätten sie Angst. Sie trafen nicht mehr, und plötzlich stand es, eine Viertelstunde vor Schluss, nur noch 22:21. Sieben polnische Tore standen einem deutschen Treffer gegenüber, und nun sah es so aus, als würden die Deutschen dieses Spiel, das sie schon gewonne hatten, doch noch verlieren. Das Momentum war auf Seiten der Polen.

Es dauerte bis zur 49. Minute, bis Pascal Hens diese Phase beenden konnte, indem er den Ball zweimal mit Wucht ins Tor jagte. Dann tat sein Hamburger Klubkollege Torsten Jansen es ihm gleich und erzielte ebenfalls zwei Tore. Danach wurden die Deutschen wieder ruhiger, sie behielten nun die Nerven in der vor Freude tosenden Halle, und sie spielten ihren Vorsprung in ihrem größten Spiel so lange über die Zeit, bis sie Weltmeister waren.

© SZ vom 5.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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