Deutsches Talent:In Deckung vor den Monstern

Lesezeit: 3 min

Steigt nicht in sein Auto: Pascal Wehrlein hat seine Teilnahme am Grand Prix abgesagt. (Foto: Laci Perenyi/imago)

Pascal Wehrlein verzichtet wegen mangelnder Fitness auf den Start in Melbourne. Dabei sollte dieser der Anfang einer zweiten Chance sein - es könnte seine letzte sein.

Von Elmar Brümmer, Melbourne

Pascal Wehrlein hat das Fahrerlager im Albert Park von Melbourne schon längst in Freizeitklamotten verlassen, da bekommt er ein großes Kompliment gemacht, vom obersten Rennfahrer-Ausbildungsleiter des Daimler-Konzerns. "Es war eine sehr erwachsene Entscheidung, die allein Pascal getroffen hat", sagte Toto Wolff. Am Vorabend der Qualifikation zum Großen Preis von Australien hatte Mercedes-Junior Wehrlein beim Schweizer Sauber-Team darum gebeten, auf den Start in Melbourne verzichten zu dürfen - er fühle sich nicht fit genug für die 58 Runden mit jenen neuen Rennwagen, die von den Grand-Prix-Piloten gern als "brutale Monster" bezeichnet werden.

Es war eine sehr ungewöhnliche, wahrscheinlich vernünftige, vor allem eine mutige Entscheidung. Pascal Wehrlein, 22, der dritte deutsche Formel-1-Pilot neben Sebastian Vettel und Nico Hülkenberg, fährt in seiner zweiten Saison in der Königsklasse. Der Sitz im Sauber-Cockpit ist seine zweite Chance. Vielleicht ist er auch schon seine letzte.

Die Formel 1 ist gerade für Nachwuchsfahrer ein brutaler Verdrängungswettbewerb. Wehrlein, der aus dem Süden Baden-Württembergs stammt, war im Vorjahr als Champion der DTM in die Königsklasse gekommen und musste dort als Lehrling beim Hinterbänkler Manor neuanfangen. Er holte den Ehrenpunkt für das britische Team, das inzwischen pleite ist. In so einem Umfeld ist es schwierig, die fahrerischen Leistungen zu bewerten, aber irgendwie konnte Wehrlein nicht überzeugen. Offenbar auch seinen Chef Toto Wolff nicht.

Force India wäre das perfekte Team gewesen, doch der Transfer scheiterte

Wolff musste jedoch im Winter versuchen, das Talent sicher unterzubringen. Force India, ein ordentliches Mittelklasseteam, dazu mit Mercedes-Leasingmotoren unterwegs, wäre ein Platz mit Perspektive gewesen. Doch dort wollte man lieber Esteban Ocon, einen 19 Jahre alten Franzosen, ebenfalls Mercedes-Junior, den Wehrlein in der gemeinsamen zweiten Saisonhälfte bei Manor im Trainingsduell klar geschlagen hatte. Angeblich sollen zwischenmenschliche Gründe den Ausschlag gegeben haben. Blieb Sauber, mit dem Ruf des Talentschuppens, als letzte Alternative. Man war sich im Dezember bereits über den Transfer einig, dann verkündete Weltmeister Nico Rosberg seinen Rücktritt, und die Hängepartie begann. Zwar war schnell klar, dass Wolff Wehrlein den Sprung in den Werksrennstall nicht zutrauen würde, aber mit der Befürchtung im Hinterkopf, auf dem Fahrermarkt am Ende leer auszugehen, spielte Mercedes auf Zeit. Erst im Januar ging der Transfer dann über die Bühne, Wehrlein freute sich über den Neuanfang, das finanziell genesene Sauber-Team auch über die neuen Beziehungen zum Stuttgarter Konzern.

Fröhlich machte sich der Rennfahrer auf zum Race of Champions, einer Jux-Veranstaltung in Miami, wo viele Top-Piloten in einem Stadionrund mit unterschiedlichen Gefährten gegeneinander eine Art Weltmeisterschaft ausfahren. Wehrlein verunglückte bei einer Showrunde in einem Renn-Buggy, und erlitt nicht näher spezifizierte Rückenverletzungen. Diese waren immerhin so schwer, dass er die erste von nur zwei Testwochen verpasste und durch den Ferrari-Ersatzmann Antonio Giovinazzi vertreten werden musste. Erst Anfang März schrieben die Ärzte Wehrlein gesund, der nahm an der zweiten Testwoche ohne Probleme teil. Aber der Trainingsrückstand ist groß, die Erfahrung mit den neuen Autos noch gering. Nun, in Melbourne, übernimmt wieder Giovinazzi.

Zwar bestand Wehrlein den Check-Up bei den Rennärzten am Donnerstag, doch die 52 Trainingsrunden vom Freitag mit den schwereren, schnelleren und anstrengender zu fahrenden Formel-1-Neuwagen verlangten ihm offenbar doch mehr ab, als sein derzeitiges Fitnesslevel zulässt: "Ich fühle mich mit meinem Trainingsrückstand noch nicht fit genug für eine komplette Renndistanz, und das habe ich dem Team am Freitagabend mitgeteilt." Teamchefin Monisha Kaltenborn ordnete den Fahrerwechsel nach Rücksprache auch mit Mercedes-Mann Wolff angeordnet. Man wolle kein Risiko eingehen, hieß es. "Schade", sagt Wehrlein, "aber besser für alle."

Nun trainiert er für Shanghai - der Druck wird nicht geringer

Mit der Verletzung habe die Entscheidung nichts zu tun, erklärte er: "Man merkt erst bei längeren Fahrten am Stück, ob die Fitness gut genug ist. Momentan fühle mich nicht fit genug, eineinhalb oder zwei Stunden mit bester Leistung zu absolvieren. Wer weiß, wie ehrgeizig ich bin, wird wissen, wie schwer mir die Entscheidung gefallen ist. Aber wenn ich mich nach einer gewissen Rundenanzahl nicht mehr allein aufs Fahren konzentriere, sondern Gedanken an meine Kraft verschwende, dann ist das nicht gut für mich und nicht gut für das Team." Eine Woche Intensivtraining vor dem Saisonstart mit dem Sauber-Physiotherapeuten Josef Leberer, dem ehemaligen Betreuer von Ayrton Senna, reichten offenbar nicht aus, die für den Dauerstress hinter dem Lenkrad nötige Muskelkraft komplett wiederherzustellen.

So plausibel die Erklärung klingt, so ungewöhnlich ist trotzdem dieser Schritt. Denn für Sauber gilt es gerade in den ersten Rennen, jede Chance auf Punkte zu nutzen. Als einziger Rennstall setzt man auf Vorjahresmotoren und dürfte es mit fortschreitender Weiterentwicklung der Konkurrenz zunehmend schwerer haben. "Wir haben großen Respekt vor der Offenheit und Professionalität von Pascal", sagt Managerin Kaltenborn, "diese Entscheidung ist ihm nicht leichtgefallen. Das unterstreicht seine Qualitäten als Teamplayer."

Doch hilft dieses Lob dem Rennfahrer Wehrlein, der seine Chance nutzen wollte? Er wird nach der Rückkehr aus Australien wieder intensiv trainieren, er soll beim nächsten Rennen in Schanghai am 9. April an den Start gehen. Das will das Team, das will vor allem er. Wehrlein hatte sich gute Chancen ausgerechnet gegen den schwedischen Stammfahrer Marcus Ericsson. Jetzt sitzt ihm auch noch Giovinazzi im Nacken. Der Druck auf Pascal Wehrlein hat sich erhöht, bevor er einen einzigen Kilometer gefahren ist.

© SZ vom 26.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: