Deutscher Rückraum:Rückkehr der Kämpferin

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Dynamisch und erfolgreich: Friederike Gubernatis in der Partie gegen Südkorea. (Foto: Jan Kaefer/imago)

Friederike Gubernatis hatte ihre Karriere in der Nationalmannschaft nach sechs Jahren ohne Einsatz schon abgehakt - dann bekam sie einen Anruf. Nun ist sie eine Schlüsselspielerin bei der Heim-WM.

Von Saskia Aleythe, Leipzig

Bei unbekannten Nummern geht Friederike Gubernatis normalerweise gar nicht ans Telefon. Warum sie es dann doch tat, an diesem Abend im Oktober, weiß sie heute nicht mehr, doch sie sagt: "Im Nachhinein bereue ich es nicht." Es knurrte am anderen Ende der Leitung, Bundestrainer Michael Biegler war dran, es fielen die Worte "Nationalmannschaftslehrgang" und "WM", das klang fremd und unglaublich. Sechs Jahre nachdem sie zuletzt für Deutschland gespielt hatte, dachte die 29-Jährige so pragmatisch, wie sie eben ist: "Mal gucken, ob ich der Mannschaft helfen kann."

Sechs Wochen ist das Ganze erst her und nach den ersten beiden Spielen bei dieser Handball-Weltmeisterschaft am Vorrundenspielort Leipzig lässt sich gefahrlos bilanzieren: Das kann sie. Schon gegen Kamerun wurde Gubernatis als beste Spielerin der Partie ausgezeichnet, gegen Südkorea schoss sie dann sieben Tore und wurde neuerdings geehrt. "Ich bin ein bisschen von mir selber überrascht", sagt sie und strahlt, und das ist auch so eine Eigenart von ihr: Understatement demonstrieren und trotzdem alles genießen können, was ihr dieses Turnier gerade bietet. Sie schreibt die ungewöhnlichste Geschichte der bisherigen WM.

Zwischen dem elften und dem zwölften Länderspiel der Friederike Gubernatis liegen 2229 Tage. Sechs Jahre, ein Monat und sechs Tage, in der sie noch immer Handballerin war, auch eine gute, aber eben nicht mehr im Nationaltrikot. 2008 wurde sie Weltmeisterin mit der U20, 2011 spielten sich andere in den Vordergrund und unter dem damaligen Trainer Heine Jensen war für Gubernatis kein Platz mehr. Mit dem Buxtehuder SV wurde sie 2015 und 2017 Pokalsiegerin mit entscheidendem Anteil, das war jetzt ihr neuer Fokus. Vor Bieglers Anruf "habe ich mit keiner Sekunde daran gedacht, dass die WM für mich noch eine Rolle spielen würde", sagt sie. Dann verletzte sich Anne Hubinger vom Thüringer HC schwer, der Platz im Rückraum war neu zu vergeben. "Ich habe gewusst, dass Friederike uns helfen kann mit ihrer Deckungsqualität und ihrem Zug zum Tor", sagt Biegler nun, es offenbarte sich aber auch bei ihm ein gewisses Erstaunen: "Es freut mich natürlich, dass sie so schnell Fuß gefasst hat."

"Sie hat uns geweckt", sagt Kollegin Nadja Mansson: "Das war ganz wertvoll."

Was ihre Geschichte so beeindruckend macht, ist ja nicht nur die Anzahl an Toren, ihr ganzes Auftreten ist ungewöhnlich für eine, die so lange keine Rolle gespielt hat im Team. Wer Gubernatis auf dem Spielfeld sieht, entdeckt eine Anführerin, sie breitet die Arme aus und kreist engagiert mit den Händen, wenn sie die Mannschaft mitreißen will. Gegen Südkorea erwischten die deutschen Frauen einen miserablen Start in der Abwehr, 2:5 stand es nach sechs Minuten. Dann drängte Gubernatis ihre Gegnerin in einer Abwehraktion bis ins Seitenaus, der Schiedsrichter ermahnte sie, was ein deutliches Zeichen war: Die deutsche Defensive hatte es nun auch auf die Platte geschafft. "Sie hat uns geweckt", fand schließlich Kollegin Nadja Mansson, "sie hat dieses 'Wir sind jetzt da' initiiert. Das war ganz wertvoll". Und so gewannen die Deutschen vor allem wegen ihrer starken Defensive mit 23:18. Schon am Dienstag gegen Serbien könnte der Sprung ins Achtelfinale gelingen.

Den Beinamen "Kampfschwein" hat Gubernatis von einem früheren Trainer bekommen, "danke noch mal dafür", sagt sie nun und lacht, es gibt ja charmantere Bezeichnungen. Aber sie trifft ihre größten Stärken ganz gut: "Kampfschwein, das passt zu mir. In der Abwehr packe ich zu, im Angriff gehe ich auch dahin, wo es weh tut." Dass Biegler sie in der zweiten Hälfte gegen Südkorea sogar in der Abwehr schonte und nur noch im Angriff einsetzte, ist auch erstaunlich: Fürs Torewerfen war sie gar nicht unbedingt geholt worden. "Die nächsten Gegnerinnen werden sich sicher besser auf mich einstellen", meint sie, die anderen hätten sie halt noch nicht so gekannt. Mehr Bescheidenheit geht nicht.

Gubernatis beweist, dass man mit 29 Jahren eine bessere Handballerin sein kann als mit 23. Die Erfahrung macht aus ihr nun eine bessere Angreiferin als je zuvor. "Man hat die gewisse Ruhe mehr im Spiel, wo man jünger viel hektischer reagieren würde", sagt Gubernatis, "man hat auch ganz andere Perspektiven und sieht, da kommt ein Ball und dort steht die Abwehrspielerin". Ihre vielen Schlagwürfe zeugen von einem geschulten Blick - und Selbstbewusstsein. Das beeindruckt selbst Kapitänin Anna Loerper: "Mit welcher Coolness und Abgezocktheit und auch welcher Selbstverständlichkeit sie auftritt und ihre Dinger macht - Wahnsinn".

Was Gubernatis in all den Jahren gelernt hat, ist auch: "Wenn man anfängt nachzudenken, passieren meistens Fehler." Nicht nachdenken, das kann schon der Schlüssel sein. Oder einfach mal intuitiv ans Telefon gehen.

© SZ vom 05.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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