Der Fall "Ian Thorpe":Die Bösen sind immer die anderen

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Zwei Hormonwerte des Ausnahme-Schwimmers waren bei einem unangekündigten Urintest im Mai 2006 erhöht: Der Umgang mit dem Fall Thorpe offenbart die Bigotterie im Anti-Doping-Kampf.

René Hofmann

Tanzende Kinder, Wasserspiele und ein zufriedener Präsident. ,,Eure WM'', lobte Mustapha Larfaoui die Australier auf der Abschlussfeier der zwölften Welttitelkämpfe im Schwimmen, ,,war die bisher größte und beste.'' Mehr Nationen und mehr Athleten als je zuvor waren in Melbourne angetreten, 14Weltrekorde waren verbessert worden, und keiner der 360 Dopingtests, die bis Samstag gesammelt worden waren, hatte einen Betrüger enthüllt. Larfaoui konnte gelassen in den Flieger steigen. Oberflächlich betrachtet liegt sein Reich wohlgeordnet da. Und genauer schaut ja kaum einer hin.

Bei der Schwimm-WM ließ sich abermals ein Phänomen beobachten, das bei internationalen Sportereignissen weit verbreitet ist. Bevor es losgeht, ist die Öffentlichkeit hellwach. Wie war das früher, wird dann gerne gefragt: Gab es nicht schon viele Sieger, die nachher als Betrüger entlarvt wurden? Vor allem die deutschen und die chinesischen Schwimmer mussten sich das vor der WM fragen lassen. Zu Recht. Beide Länder haben eine unrühmliche Doping-Vergangenheit. Kaum aber beginnen die Wettbewerbe und die ersten Sieger werden gekürt, sind alle Zweifel verschwunden. Der Glanz von Gold, Silber und Bronze überstrahlt dann alles.

Nationalheiligtum Thorpe

Ian Thorpe hat in seiner Karriere viele Medaillen gesammelt. An dem Umgang mit ihm lässt sich die Bigotterie besonders gut studieren. Zwei Hormonwerte des Ausnahme-Schwimmers waren bei einem unangekündigten Urintest im Mai 2006 erhöht. Dass Thorpe gedopt hat, ist damit noch nicht bewiesen. Aber er hat eindeutig eine verdächtige Probe abgegeben, zu der er sich erklären muss. Die australische Anti-Doping-Agentur verschleppte den Fall zehn Monate lang und wurde dafür vom Welt-Schwimm-Verband sogar vor den Internationalen Sportgerichtshof zitiert. Ein besseres Beispiel für ein Versagen im Anti-Doping-Kampf ist kaum vorstellbar.

Statt aber kritische Fragen zu stellen, scharen sich die australischen Medien, die vor Beginn der Wettkämpfe noch mit inquisitorischem Eifer Deutschen und Chinesen nachjagten, hinter ihrem Nationalheiligtum. Für den Australian war am Dienstag die dringlichste Frage, welcher Schuft Thorpe an die französische Sportzeitung L'Equipe verraten hat, die die Affäre als erste öffentlich gemacht hat. Das australische Blatt The Age hatte sich in der Frage nach Schuld oder Unschuld bereits am Montag festgelegt. ,,Er bleibt ein Held'' stand dort über einem Kommentar zu Thorpe. Die populäre Herald Sun, 2005 und 2006 ,,Zeitung des Jahres'', schrieb: ,,Thorpe einen Doping-Betrüger zu nennen, ist so absurd, wie Saddam Hussein als Pazifisten zu bezeichnen.'' Die Bösen sind immer nur die anderen.

In der Woche vor der WM gab es in Melbourne eine lustige Vortragsreihe. Jeden Tag trat eine andere Nation auf und behauptete: Wir sind die größten Doping-Bekämpfer! Er könne nicht beurteilen, was die anderen täten, sagte der australische Cheftrainer Alan Thompson, aber seine Athleten seien ,,ordentlich getestet''. Zwei Tage später sagte Örjan Madsen, der Sportdirektor des Deutschen Schwimm-Verbandes: ,,Wir haben nichts zu verstecken.'' Wie oft er denn in den vergangenen zwölf Monaten getestet worden sei - bei Wettkämpfen, angemeldet und unangemeldet -, und wie oft er dabei eine Urin und/oder eine Blutprobe habe abgeben müssen, wurde der amerikanische Schwimmer Michael Phelps gefragt. Seine Antwort: ,,Wir US-Athleten sind stolz auf unser Anti-Doping-Programm. Wir sind bestimmt die mit am häufigsten kontrollierten Athleten der Welt.''

Innerhalb von acht Tagen trat Phelps in Melbourne 16 Mal an. Er gewann sieben Goldmedaillen und verbesserte fünf Weltrekorde. Über 200 Meter Schmetterling blieb er 1,62 Sekunden unter der vorherigen Bestzeit. Einen solch gewaltigen Sprung hat die Rekordmarke seit 48 Jahren nicht mehr gemacht. Eine kritische Frage zu dem Thema fiel den Vertretern der US-Medien trotzdem nicht ein. Auch einige andere Ergebnisse der WM machen stutzig. Erst behaupten alle Experten: Die Weltspitze ist enger zusammengerückt. Dann aber dominieren die USA wie nie zuvor, und die Australierin Lisbeth Lenton gewinnt fünf WM-Goldmedaillen - so viel wie keine andere Frau in den vergangenen 19 Jahren.

Wellenbrecher-Leinen, schräger gestellte Startblöcke, geschicktere Wenden, besseres Training - für die vielen auffallend guten Zeiten werden viele Erklärungen angeführt. Fakt ist aber auch: 14 Weltrekorde gab es bei einer WM zuletzt 1978 in West-Berlin. Mehr, nämlich 18, gab es nur einmal: 1973 in Belgrad. Dass damals nicht alles mit legalen Mitteln zuging, ist heute unbestritten.

Der Zweifel badet deshalb mit, auch, weil Präsident Mustapha Larfaoui und die anderen alten Männer an der Spitze des Weltschwimmverbandes Fina nicht alles tun, um ihn zu vertreiben. So wurden bei den Wettbewerben in Melbourne nur die Sieger automatisch zum Doping-Test gebeten. Blut mussten sie dabei allerdings keines lassen. ,,Nur Urin-Tests sind gerichtsverwertbar'', behauptet Andrew Pipe, der Vorsitzende der Anti-Doping-Kommission der Fina. Andere Verbänden sehen das offenbar anders - oder warum sonst gibt es in so vielen Ausdauersportarten Schutzsperren wegen gefährlich hoher Epo-Werte?

© SZ vom 3.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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