Debatte über Dopingopfer:"Dieser Konjunktiv ist eine Frechheit"

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Der Sport spricht von Moral, aber er meint damit Weiterbeschäftigung und will ehemalige DDR-Dopingtrainer aus kollektivem Kalkül reinwaschen. Dopingopfer reagieren entsetzt.

Claudio Catuogno

Was Andreas Krieger besonders empört: dass sie nun sogar die Moral ins Feld führen. Dass sie sich das trauen, die Herren Bach, Prokop, Schäuble, "wie plump wollen sie die Öffentlichkeit eigentlich noch hinters Licht führen?". Andererseits, das weiß auch Andreas Krieger, 43, geboren als Heidi Krieger 1965 in Ost-Berlin, Europameisterin 1986 im Kugelstoßen, zwangsweise vollgestopft mit "unterstützenden Mitteln", heute staatlich anerkanntes Dopingopfer und - wohl mitausgelöst durch das viele Testosteron - mit neuer, männlicher Identität: "Das Gerede von Ethik und Moral gehört zu so einer Inszenierung wohl dazu."

Frühjahr 2009, die DDR ist seit fast 20 Jahren abgeschafft - aber am Horizont des Sports hängt sie noch wie eine Gewitterwolke. Man diskutiert die Frage, ob die Dopingtrainer von damals heute noch mitmachen dürfen im gesamtdeutschen, mit viel Steuergeld alimentierten Hochleistungsbetrieb. Fünf Leichtathletik-Trainer haben eine Erklärung aufgesetzt: Ja, wir waren "im Einzelfall am Einsatz unterstützender pharmazeutischer Substanzen (Dopingmittel) beteiligt", damals im Zwangssystem Ost. Ja, wir wussten "dass dies den Regeln des Sports widersprach, doch fühlten wir uns durch die Vorgaben des Staates legitimiert". Eine Art abstraktes Geständnis, nach 20 Jahren Schweigen, nach stapelweise "Ehrenerklärungen", in denen die Trainer das Gegenteil schworen.

Die Folge? Eine vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) eingesetzte, auffällig oft als "unabhängig" bezeichnete Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo Steiner nennt die Erklärung einen "hilfreichen sportethischen Schritt" und hat folglich "keine Bedenken" gegen eine Weiterbeschäftigung der fünf durch den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV).

Eine Empfehlung, der sich das DOSB-Präsidium gerne anschließt, wie auch der fürs schwarz-rot-goldene Medaillenzählen zuständige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Geständnisse "begrüßt". Die Sportler von heute? Wollen in Ruhe trainieren und sind allenfalls darüber erbost, dass zwanzig Jahre nach der Wende noch immer keine Lösung gefunden ist, nichts aufgearbeitet, dass die Gewitterwolke immer noch über ihnen hängt. Kollektives Versagen von Staat und Sport sei das, sagen viele. Dabei ist es wohl eher: kollektives Kalkül.

Wie formulieren es die Trainer selbst? "Bei einer Weigerung, diese Mittel weiterzugeben, hätten uns der Ausschluss aus dem Leistungssport und damit erhebliche berufliche Nachteile gedroht." So waren damals die Zeiten, manche habe ihnen widerstanden und wechselten lieber in den Schuldienst, als Pillen zu verteilen. Andere nicht. Heute sind die Zeiten so, dass eine WM in Berlin vor der Tür steht, in deren Vorfeld man eines zuletzt brauchen kann: dass immer neue Dopingopfer Details erzählen über ihre Trainer von früher, die oft noch die Trainer von heute sind.

Gut gebrauchen kann man hingegen: Ruhe an der Medaillenfront. Vermutlich wäre es am ehrlichsten gewesen, unter das 18-Zeilen-Papier noch einen Zusatz zu setzen: "Bei einer Weigerung, diese Erklärung zu formulieren, hätten uns der Ausschluss aus dem Leistungssport und erhebliche berufliche Nachteile gedroht." Das Geständnis als Fortsetzung des Opportunismus mit anderen Mitteln. Der deutsche Sport hat es nicht anders gewollt.

"Man braucht diese Leute einfach", klagt der Heidelberger Doping-Experte Werner Franke an, "denn sie wissen, wie man Medaillen macht." Deshalb habe sich der vereinigte Sport schon Anfang der 90er Jahre über Empfehlungen hinweggesetzt "und wissentlich Täter eingestellt". Gerichtsakten, die über die konkrete Schuld einzelner hätten Auskunft geben können, habe man ignoriert. Später mussten die Betroffenen dann in "Ehrenerklärungen" versichern, nie mit Doping zu tun gehabt zu haben, für den Fall von Falschaussagen drohte man Konsequenzen an. Von denen man nun, womöglich betört von dem "sportethischen Schritt", schon nichts mehr wissen will.

Dopingopfer reagieren entsetzt, sie wurden nicht beteiligt und fühlen sich nicht angesprochen. "Ein universaler Entschuldungstext", heißt es in einer Erklärung, die Andreas Krieger ebenso mit verfasst hat wie seine Frau Ute Krieger-Krause, eine einst zwangsgedopte Schwimmerin, "meint niemanden und respektiert niemanden." Zumal die Trainer nach geleisteter Unterschrift jetzt gerne ihre Ruhe hätten und die Konfrontation mit den Opfern scheuen. Aber das hat ja auch niemand von ihnen verlangt. DLV-Präsident Clemens Prokop hatte noch im Februar gefordert, jeder Trainer müsse seine Fehler auch individuell "beschreiben".

Nun gibt er sich mit weit weniger zufrieden. Der Steiner-Kommission genügt die Erklärung ebenfalls als Indiz für Reue und Neuanfang. "Soweit die Sportler durch den Einsatz von Dopingmitteln gesundheitliche Schäden davon getragen haben sollten, sind wir tief betroffen und bedauern dies sehr", schreiben die Trainer. Ute Krieger-Krause könnte viel erzählen über die Spätfolgen des Dopings, Psyche, Gelenke, Organe, "die Trainer haben nicht nur vermutlich ihren Sportlern geschadet", sagt sie. "Dieser Konjunktiv ist eine Frechheit."

DOSB-Präsident Thomas Bach bewertet das naturgemäß anders, er sieht die "entscheidenden Bedingungen" für eine "zweite Chance" erfüllt: bekennen, bedauern - und eine "saubere" Trainertätigkeit im neuen System (wobei letzteres kaum überprüfbar ist angesichts der bekannt unzulänglichen Dopingtests). Und Bach stellt die Erklärungen in den Kontext eines vom DOSB initiierten Forschungsprojekts, das Doping in Ost und West gleichermaßen aufarbeiten soll. Glaubt Bach an echte Reue? "Unsere unabhängige Kommission hat das geprüft." Das muss reichen.

Was von dieser Unabhängigkeit zu halten ist, wird in den nächsten Tagen der Umgang mit dem Berliner Trainer Werner Goldmann zeigen. Goldmann wird, anders als die fünf schon rehabilitierten Kollegen, derzeit konkret bezichtigt: Er soll seinem ehemaligen Schützling Gerd Jacobs, einem DDR-Kugelstoßer, Oral-Turinabol verabreicht haben, den Klassiker der DDR-Schnellmacher. Der DLV ließ Goldmanns Vertrag deshalb auslaufen, der Trainer klagt auf Wiedereinstellung.

Und nun kommt Steffen Reiche, 48, ins Spiel, SPD-Bundestagsabgeordneter und eines von drei Mitgliedern der Steiner-Kommission. Reiche hat Goldmann persönlich davon überzeugt, ebenfalls eine Erklärung aufzusetzen, samt Zusatz-Entschuldigung an Gerd Jacobs. Der DLV habe dies "so erbeten, um auf diese Weise die Weiterbeschäftigung des sehr erfolgreichen Trainers zu ermöglichen".

Die Aufgabe einer unabhängigen Kommission wäre es, Erklärungen zu beurteilen, nicht, sie ihren Verfassern fast schon abzutrotzen. Weil der Vorgang ruchbar wurde, verzichtet Reiche vorübergehend auf seinen Posten. Wie die Kommission entscheiden wird, hat er indes schon ausgeplaudert. Goldmann habe "lange mit sich gerungen", was nun aber wohl "geklärt" sei. Wie unabhängig Reiche ist? So unabhängig man eben sein kann als Sachwalter des Sports. Steffen Reiche ist auch Präsident des Leichtathletikverbandes Brandenburg.

© SZ vom 23.04.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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