Das  Champions-League-Aus des FC Bayern:Schon wieder dieser ganze Schmarrn

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Das ewige Anrennen in der Champions League ist inzwischen zum Kerngeschäft des FC Bayern geworden. Nach dem 2:2 in Madrid erkennen die Münchner ihr klassisches Muster wieder: Sie begehen in entscheidenden Momenten zu viele Fehler.

Von Claudio Catuogno, Madrid

Dieses Mal sind hinterher alle ganz höflich und freundlich und gefasst geblieben, aber das heißt ja nicht, dass es deshalb weniger wehgetan hat. Letztes Mal war es anders: Da musste eine Gruppe Bayern-Spieler vor der Schiedsrichterkabine am Randalieren gehindert werden, da fauchte Karl-Heinz Rummenigge, man sei "beschissen worden". Letztes Mal lag ein explosiver Zorn in der Luft.

Dieses Mal stand Mats Hummels ruhig bei den Kameras und Mikrofonen und sagte: "Es tut mehr weh als letztes Jahr. Und es wird in zehn Jahren noch wehtun."

Der bayerische Phantomschmerz ist wieder ausgebrochen im Estadio Santiago Bernabéu. Etwas brennt und sticht ganz fürchterlich: die unerfüllte Sehnsucht nach dem Henkelpokal, der einzigen Trophäe, die die in der Bundesliga überlegenen Bayern nicht im Vorübergehen abgreifen können. Doch am Dienstagabend haben sie auch im fünften Versuch seit dem Triple 2013 das Finale der Champions League verpasst: Nach dem 1:2 im Hinspiel gegen Real Madrid ist das 2:2 (1:1) im Rückspiel um ein Tor zu niedrig ausgefallen.

Ein Spiel, das allen Beteiligten alles abverlangte. Allerdings werden die Münchner deutlich länger am Ergebnis zu knabbern haben. (Foto: Bernd Feil/M.i.S.)

Doch diesmal war da kein Schiedsrichter, den die Münchner verantwortlich machen wollten wie nach den späten Abseitstoren für Real im Vorjahr im Viertelfinale. Diesmal war da nur die Erkenntnis, Teil einer berauschenden Nacht gewesen zu sein, vielleicht "des besten Spiels, das ich in den letzten fünf Jahren mit Bayern München erlebt habe", wie der Vorstandschef Rummenigge in seiner Bankettrede schwärmte. Diesmal war da die Erkenntnis, "dass wir Real am Abgrund hatten" - bloß hineingestoßen in den Abgrund haben sie den Titelverteidiger halt nicht. Und je länger die Bayern nach den Gründen fahndeten, desto klarer landeten sie: bei sich selbst.

Selbsterkenntnis tut oft besonders weh.

In einem Gang unter den steil aufragenden Tribünen stand Thomas Müller, dem an diesem Abend der Ball auch nicht immer gehorcht hatte, und fand das Ergebnis "extrem bitter". Und "wenn man in die letzten Jahre zurückschaut, verbessert das nicht die Laune", sagte er. "Was sich wiederholt, ist, dass wir in den Spielen, in denen wir ausscheiden, zu viele individuelle Fehler machen - ob es verschossene Elfmeter oder rote Karten sind."

Kleiner Ausflug in die neuere und neueste Geschichte: Vor zwei Jahren, im Halbfinale gegen Atlético, verschoss Müller einen Elfmeter. Vor einem Jahr, im Viertelfinale gegen Real, sahen Javi Martínez und Arturo Vidal Rot, Vidal vergab einen Strafstoß. Dieses Jahr stehen - unter anderem - auf der Mängelliste: ein Ballverlust von Rafinha im Hinspiel, der zu Reals 2:1 führte. Und am Dienstag stand beim 1:1 durch Karim Benzema (11.), der Joshua Kimmichs Führungstor (3.) früh egalisierte, David Alaba zu weit weg vom Geschehen.

Wenn es aber wieder und wieder ganz knapp nicht klappt: Wie lange kann man da von Pech reden? Ab wann ist es mehr?

Sven Ulreich, der Torhüter, saß nach dem Abpfiff allein auf dem Rasen, ein menschlicher Farbtupfer in einer großen Arena, wie ein Marienkäfer in der Mitte eines Blatts. Ulreich war kurz nach der Pause der gravierendste Patzer unterlaufen, als er bei einem riskanten Rückpass von Corentin Tolisso kurios den Überblick verlor und Benzema das 2:1 schenkte. Da sei er wohl "konfus geworden", sagte der Trainer Jupp Heynckes: "Bitter, aber wir hatten danach ja noch eigene Chancen." Eine davon verwandelte James Rodríguez (63.), dann parierte Reals Torwart Keylor Navas mehrmals beachtlich. Je weniger Chancen reingehen, desto früher ist ein Fehler der entscheidende Fehler zu viel. 20:9 Torschüsse, 57 Prozent Ballbesitz - das waren die Zahlen, die für Bayern sprachen. Tatsächlich gehört es zu einem Spitzenteam aber auch, nicht nur vieles richtig zu machen, sondern weniger falsch als der Gegner.

Einer der Schlüsselmomente: das 2:1, als Bayern-Torwart Sven Ulreich (am Boden) der Ball durchrutschte, was Karim Benzema (links daneben) ausnutzte. (Foto: Carlos Lopez Alvarez/dpa)

Das sagt sich allerdings leichter, als es in einer wilden Partie wie dieser ist, wild manchmal bis an den Rand der Kopflosigkeit. Heynckes berichtete, dass er sich extra von seinen Führungsspielern das Okay geholt hatte für den Plan, im defensiven Mittelfeld statt auf Javi Martínez auf den jungen Tolisso zu setzen, von dem er sich mehr offensive Impulse versprach. Reals Trainer Zinédine Zidane verzichtete auf den Abräumer Casemiro. Ohne diese stabilisierenden Mittelfeldautoritäten entwickelte sich eine Partie, die Fehler heraufbeschwor, mit Großchancen hüben wie drüben - und dem besseren Ausgang für Real.

Dass die Bayern immerhin Meister sind, dass sie auch den DFB-Pokal gewinnen können, das gehört ebenfalls zur Bilanz, es waren aber nicht die Botschaften, die sie jetzt hören wollten. Das ewige Anrennen in der Champions League, das ist ihr Kerngeschäft, ihre Definitionsebene geworden. "Und da geht der ganze Schmarrn jetzt wieder von vorne los", sagte Müller.

Der traurige Torwart Ulreich meldete sich erst am nächsten Tag zu Wort, bei Instagram: "Worte können nicht beschreiben, wie enttäuscht ich (...) bin", schrieb Ulreich dort, "wir wollten unbedingt ins Finale (...) und dann passiert mir dieser unnötige Fehler. Ich kann es mir nicht erklären."

Tränen eines Torschützen: Joshua Kimmich nach dem Abpfiff. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Einer der Kommentare stammt von Javi Martínez, kurz und bündig: "U saved our ass many times Ulle!"

Tatsächlich können Worte sehr viel beschreiben. Im Stadionbauch neben Müller stand am Dienstag Toni Kroos, der jetzt mit Real schon wieder ins Finale einzieht, und Kroos erklärte dieses Phänomen so: "Die Erfolge der letzten Jahre, die geben dir so ein Grundbewusstsein während des Spiels. Man kann sagen, dass Bayern über beide Spiele die bessere Mannschaft war, trotzdem hab ich keine Zweifel gehabt, dass wir ins Finale kommen, ich hatte immer das Gefühl, wir können in jeder Sekunde ein Tor schießen. Das ist ein Gefühl, das kommt mit dem Erfolg."

So gesehen müssen die Bayern einfach mal wieder die Champions League gewinnen, um mal wieder die Champions League zu gewinnen. Man ahnt allerdings, dass sie wohl auch etwas Geld in die Hand nehmen müssen, um diesem Plan zumindest ein bisschen Nachdruck zu verleihen.

Als Toni Kroos später um die Ecke bog, stellte sich ihm ein älterer Herr in den Weg, aber auch hier: alles friedlich. Hermann Gerland, der Co-Trainer der Bayern, hatte ein Real-Trikot dabei, Kroos unterschrieb, Gerland ließ das Teil rasch in seinem Rollkoffer verschwinden. Irgendwas muss man ja mitbringen von so einer Dienstreise, außer Phantomschmerz.

© SZ vom 03.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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