Darmstädter 2:1-Sieg:Immer wieder Wagner

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"Das ist das achte Weltwunder": Der SV Darmstadt 98 jubelt nach dem Erfolg in Berlin über den Klassenerhalt. Zum Matchwinner wird einmal mehr Stürmer Sandro Wagner - und dann provoziert er die Hertha-Fans.

Von Javier Cáceres, Berlin

In den vergangenen Wochen hat sich Sandro Wagner das Image eines Klassenkämpfers erarbeitet. Fußballprofis würden zu wenig Geld verdienen, lautete eine These, die der Stürmer von Darmstadt vor 14 Tagen in die Welt setzte; angesichts der Millionensummen, die im professionellen Fußball umgesetzt werden, kam das in der breiten Öffentlichkeit eher nicht so gut an. Es half nichts, dass er die Solidarität mit der Gilde der Profifußballer relativierte: Er habe weniger die Spieler aus dem Segment gemeint, die zu den höchstbezahlten Fußballern des Landes zählen. Sondern die unterklassigen Berufskicker.

Nun darf sich Wagner in anderer Weise als Klassenkämpfer fühlen. Denn die Partie bei Hertha BSC Berlin hielt eine besondere Pointe bereit: Der im vergangenen Sommer von Herthas Hof gejagte Wagner erzielte im Berliner Olympiastadion den Treffer zum 2:1-Endstand, der den Verbleib des Aufsteigers Darmstadt 98 in der Bundesliga sicherte - und die Träume seines Ex-Klubs Hertha, im kommenden Jahr in der Champions League zu spielen, endgültig beerdigte. All das in seinem "möglicherweise letzten Spiel" für Darmstadt, wie er selbst nach dem Spiel mit Tränen in den Augen sagte: "Das waren heute brutale Emotionen."

Sandro Wagner mit seiner Botschaft an die Fans der Berliner, deren Trikot er in der letzten Saison noch trug. (Foto: imago)

Ob er weg wolle? "Diese Frage beantworte ich nicht"

Der Grund dafür, dass er womöglich das letzte Spiel bei Darmstadt gespielt hat: Wegen einer Gelb-Roten Karte, die er in der Schlussphase der Partie sah, ist Wagner für die letzte, belanglose Partie der Darmstädter gegen Borussia Mönchengladbach gesperrt. Und weil er mit insgesamt 14 Toren in 32 Spielen - und einer direkten Beteiligung an der Hälfte aller 38 Darmstädter Treffer - nicht nur einen entscheidenden Beitrag zum Klassenerhalt seines Klubs geleistet hat, sondern auch jenseits deutscher Grenzen Interessen geweckt hat, dürfte Wagner weiterziehen, nach nur einer Saison bei den Lilien. Ob er weg wolle? "Diese Frage beantworte ich nicht", sagte Wagner nach dem Sieg.

Dass Wagner Gelb-Rot sah, hatte auch mit seiner Berliner Vergangenheit zu tun, drei Jahre lang war er in der Bundeshauptstadt tätig und dann im Unfrieden geschieden. Als er nach Vorlage von Marcel Heller den Ball in der 83. Minute zum 2:1 über die Linie drückte, sprang er über die Bande und lief in Richtung Ostkurve - dorthin also, wo die meisten und fanatischsten Hertha-Anhänger stehen. Es war ein ganzes Sammelsurium an Gesten, die Wagner zeigte. Er legte sich den Finger auf die Lippen, schlug sich immer wieder auf die Lilie auf seiner Brust.Es flogen Bierbecher und dann Verbalinjurien. Auch der Schiedsrichter empfand Wagners Jubel als unzulässig aufreizend - und bestrafte den Stürmer mit einer gelben Karte.

"Ich habe das gar nicht richtig mitbekommen", sagte Darmstadts Trainer Dirk Schuster später und erzählte, wie verwundert er war, als ihn sein Assistent fragte, ob man Wagner nicht besser runternehmen solle. "Nee, da passiert gar nichts", habe seine eigene, Schusters Antwort gelautet. Unmittelbar danach passierte doch was: Wagner sah, weil er zu risikoreich gegen Herthas Rechtsverteidiger Mitchell Weiser einstieg (und obwohl er den Berliner nicht traf), die zweite gelbe Karte.

Auch in Berlin überzeugt wieder Darmstadts Defensivkunst

Es war der erste Platzverweis in der kurzen Darmstädter Bundesliga-Geschichte. Es folgte eine hektische Schlussphase, mit einer fünfminütigen Nachspielzeit und verzweifelten Angriffsversuchen der Berliner. Doch sie verpufften angesichts der Defensivkunst, die Darmstadt in der Liga gehalten hat. Und die von 5000 mitgereisten Darmstädter Fans ausgiebig gefeiert wurde - auch mit Wagner, der dann beim Marsch in die Kabine erneut von Hertha-Fans bepöbelt wurde.

Hertha war nach 14 Minuten durch Vladimir Darida in Führung gegangen, doch nur zehn Minuten später glich Darmstadt aus: Wagner schickte Heller auf der rechten Seite steil, der schnelle Außenbahnspieler überlief Mittelstädt, erwischte den Ball vor der Grundlinie und legte ihn so Jerome Gondorf vor, der aus zentraler Position kühlen Kopf und Präzision bewahrte.

Die Berliner verausgabten sich mit ihrem Passspiel an der Doppel-Viererkette der Darmstädter. Nach einer Stunde kam Darmstadt in weniger als drei Minuten zu zwei Großchancen - durch Wagner, immer wieder Wagner. Erst parierte Torwart Rune Jarstein einen Schuss Wagners, der sich im Anschluss an einen Freistoß mit rudernden Armen gegen zwei Herthaner durchgesetzt hatte. In der 66. scheiterte Wagner nach einer Ecke - er beförderte den Ball per Kopf nur knapp übers Tor. Doch das war alles nur die Generalprobe für den Treffer, der Darmstadt in der Liga hielt. "Das ist das achte Weltwunder", sagte Heller. "Dafür hätten wir am Anfang der Saison alles Geld, was wir nicht haben, rausgehauen."

© SZ vom 08.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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