Cricket-WM:"Du sitzt da und wartest auf jemanden, der eine Granate wirft"

Lesezeit: 3 min

Der Tod von Pakistans Nationaltrainer Bob Woolmer mahnt die politisierende Cricket-Gemeinde, ihren Sport weniger ernst zu nehmen.

Thomas Hahn

In einer anderen Welt, eine ganze Sport-Galaxie entfernt von Biathlon-Folklore und Fußball-Begeisterung, bebte kurz die Erde. Und dann gingen die Spiele weiter. Die gastgebende Auswahl der Westindischen Inseln besiegte in Kingston/Jamaika Zimbabwe und zog in die nächste Runde der Cricket-WM ein. Indien fertigte in Port of Spain/Trinidad die Mannschaft Bermudas mit einem Rekordsieg ab: um 257 Runs, das hat es in der Geschichte der internationalen Ein-Tages-Spiele noch nie gegeben. Englands Team musste noch ein bisschen den Skandal um Vize-Kapitän Andrew Flintoff aufarbeiten, der am Wochenende im Suff eine nächtliche Tretbootfahrt unternommen hatte und vor dem Mannschaftshotel in Seenot geraten war. Flintoff zeigte Reue, am Samstag gegen Kenia darf er wieder mitspielen. Alles wird gut.

(Foto: Foto:)

Und Pakistan? Pakistans Spieler müssen auch noch einmal aufs Feld, diesen Mittwoch in Kingston gegen Zimbabwe. Aber bei ihnen wird nichts wieder gut. Eine Tragödie überlagert ihre sportliche Katastrophe. Nationaltrainer Bob Woolmer ist gestorben. An einem gebrochenem Herzen nach der Niederlage des früheren Weltmeisters gegen Irlands Amateure, die das vorzeitige Vorrunden-Aus bedeutete.

Zumindest wollen viele Fans es so sehen, wenn man die Zitate richtig versteht, welche Zeitungen und Agenturen sammelten, nachdem Bob Woolmer, 58, am Sonntag bewusstlos in seinem Hotelzimmer aufgefunden worden war. Selbst mancher Kommentator hat Woolmers Ableben als Zeichen für dessen Hingabe gedeutet. ,,Nach der schmählichen Niederlage des Nationalteams fiel Bob Woolmer in tiefen Schock und starb'', schrieb die Zeitung Daily Jang.

Und wenn man bedenkt, wie Pakistans Cricket-Anhänger vor wenigen Tagen noch zürnten, sich auf den Straßen zu Protestkundgebungen versammelten, Poster der Mannschaft mit Füßen traten, Schmähgesänge anstimmten, Gefängnisstrafen forderten und Puppen von Kapitän Inzamam-ul-Haq und Woolmer anzündeten, wirkt es fast so, als habe der Trainer nur durch seinen Tod Gnade vor diesen vermeintlichen Sportfreunden finden können.

Der Gedanke ist makaber, und zum Glück hat er sich im Chor der Kondolenzen wieder ein bisschen ins Verhältnis rücken lassen. Als sich die Nachricht von Woolmers Tod verbreitete, haben die meisten sehr wohl unterscheiden können zwischen dem Luxusproblem eines frühen WM-Ausscheidens und den Härten des Lebens. Selbst Präsident Pervez Musharraf entbot sein Beileid.

In den Nachrufen war der Engländer wieder der beseelte Menschenfreund Woolmer, der Cricketgelehrte, der den Traditionssport mit seinen Ansichten und Computeranalysen auf ein neues Niveau gehoben habe. Und der erfolgreich war als Trainer des Warwickshire Country Cricket Clubs sowie des südafrikanischen Nationalteams (1994 bis 1999), ehe er 2004 nach Pakistan ging, um der zerstrittenen Auswahl eine neue Konstanz beizubringen.

Ihre martialischen Ausfälle schienen vielen Pakistanis plötzlich peinlich zu sein. ,,Pakistanis sind emotionale Leute'', entschuldigte sich ein Fan. Australiens Kapitän Ricky Ponting schien für viele zu sprechen, als er sagte: ,,Wir haben Cricket gespielt. Aber es gibt viele größere Dinge, die in der Welt passieren. Immer. Manchmal heben wir ein bisschen ab durch das, was wir im Sport machen.''

Bob Woolmer selbst soll immer wieder daran erinnert haben, dass es sich bei Cricket um ein Spiel handle und dass man dieses Spiel nicht zu ernst nehmen dürfe, weil es sonst sein Wesen verliere. Er war ein leidenschaftlicher Cricketer - gestorben wäre er nicht für den Sport. Und wenn man nun wirklich eine Verbindung sehen will zwischen dem Tod des Trainers und seiner Leidenschaft, dann darf man wohl davon ausgehen, dass er nicht am Sport selbst gestorben ist, sondern allenfalls an der Aufregung, die von seinem überhöhten Stellenwert in der Öffentlichkeit mancher Länder herrührt.

Die Todesursache ist noch nicht klar, Woolmers Frau Gill hat seine Leiche erst zur Obduktion freigegeben. Diabetiker soll er gewesen sein und über Atemnot geklagt haben. Aber Gill Woolmer und ihr Sohn Russell vermuten einen Herzinfarkt infolge des Stresses, der von Bob Woolmers Job ausging. Auch Richard Pybus hat sich gemeldet. Pybus war bis 2003 selbst pakistanischer Nationaltrainer, er sagt in der Times: ,,Es ist der härteste Job im Cricket heutzutage. Es ist eine sehr turbulente Gesellschaft und ein sehr politisches Umfeld, in dem man da arbeitet.''

Dieses wichtigste Traineramt eines Verbands, auf den die höchsten Männer der pakistanischen Präsidialdiktatur Einfluss nehmen, ,,verlangt seinen Preis'', sagt Pybus, ,,und manchmal unterschätzen die Leute, wie teuer dieser Preis ist''. Über die Pakistanis sagt er: ,,Sie haben die erstaunliche Fähigkeit, sich selbst ein Bein zu stellen und keinen Raum zu lassen, in dem ein Trainer einfach mal in Ruhe arbeiten kann. Du sitzt da immer und wartest auf jemanden, der eine Granate wirft.''

Zwei Dopingfälle im Team hat es in Woolmers Amtszeit gegeben, den Vorwurf, Pakistan spiele mit manipulierten Bällen, was im Sommer 2006 gegen England zum ersten Abbruch eines internationalen Spiels in der Cricketgeschichte führte. Schließlich die Misserfolge, die Kritik, der Volkszorn. Das ist ein bisschen viel für einen Trainer, der seinen Sport liebt.

Nach dem Irland-Spiel wollte er über seine Zukunft nichts sagen, aber viele ahnten, dass er seinen bis Juni datierten Vertrag nicht verlängern würde. ,,Ich bin tief verletzt und kann Ihnen nicht sagen, wie mich das trifft'', sagte er der Agentur AFP, später wolle er Fragen per Email beantworten. Dann ging er traurig davon und dachte wohl immer noch, dass diese Niederlage nicht das Ende der Welt sei.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: