Chelsea:Stiller Schreck

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N'Golo Kanté zeigt im Pokal gegen ManUnited, warum er der aufregendste Spieler in England ist - José Mourinho polarisiert mal wieder.

Von Sven Haist, London

Es war heimelig geworden im Stadion an der Stamford Bridge, und Gary Cahill konnte sich eine gewisse Süffisanz jetzt nicht verkneifen. Freundlich wies er seinen Gesprächspartner darauf hin, dass er seinen Mitspieler N'Golo Kanté doch erst vor ein paar Tagen ausgiebig gelobt hatte. In seiner Funktion als Kapitän gehört Cahill derzeit zu den gefragtesten Gesprächspartnern beim FC Chelsea. Das stellt er auch gerne zur Schau, und so gab der Stellvertreter des altersmüden John Terry am Montagabend doch noch einmal den Weg zu seinen Gedanken frei. Cahill weiß ja, dass die Reporter von Kanté selbst selten etwas zu hören bekommen.

"N'Golo ist fantastisch und so wichtig für unsere Defensive", referierte Cahill also, während Kanté, 25, den honorigen Worten seines Kollegen mit leicht gesenktem Blick lauschte - als ginge es gar nicht um ihn. Der 35 Millionen Euro teure Zugang von Leicester City kann mit dem schrillen englischen Fußballzirkus wenig anfangen. Dabei hatte er sich das Lob verdient nach diesen drei Ballberührungen der Extraklasse. Er hatte einen Querpass in zentraler Position aufgenommen, hatte sich den Ball kurz vorgelegt, um ihn aus 25 Metern ins untere Toreck zu befördern (51.).

Kanté war bei der Ablöse dreimal so billig wie Pogba - und ist nun doppelt so wertvoll für sein Team

Der Siegtreffer beim 1:0 im FA-Cup über Titelverteidiger Manchester United brachte Kanté dann noch ein Küsschen auf die Stirn ein - und Chelsea die Versetzung ins Halbfinale. In sechs Wochen treffen die Blues in Wembley auf den Londoner Rivalen Tottenham Hotspur, das Parallelspiel bestreiten der FC Arsenal und Manchester City. Die beiden Ansetzungen versprechen mehr Aufregung, als die Premier League derzeit bieten kann. Mit zehn Punkten Vorsprung thront Chelsea an der Tabellenspitze über der Konkurrenz, was Trainer Antonio Conte die Chance auf zwei Trophäen in seiner Debütsaison auf der Insel bietet. Das gelang zuletzt Contes italienischem Landsmann Carlo Ancelotti in der Spielzeit 2009/10.

Die neue Stabilität Chelseas hat viel mit Kanté zu tun, der kaum dabei erwischt wird, einen Stellungsfehler zu begehen oder einen Zweikampf zu verlieren. Seine kleine Statur verschafft ihm einen tiefen Schwerpunkt, dazu kommt seine Stabilität im Oberkörper. Am Mittelkreis prallte Kanté bei einem Konter mit Marcus Rashford zusammen, die Balance verlor aber nur der junge Engländer. Solche Balleroberungen sind es, die Kanté bekannt gemacht haben. Innerhalb von anderthalb Jahren hat er sich zum vermeintlich bedeutsamsten Profi der Premier League entwickelt. Und zum Schreck von United. Seine einzigen beiden Saisontore erzielte er in den Duellen gegen die Red Devils. Die Sun titelte am nächsten Tag: "N'Goalo."

Kantés Distanzschuss hatte auch die Strategie von José Mourinho ausgehebelt. Der wollte bei seiner Rückkehr zum alten Arbeitgeber einen Stillstand auf dem Platz erwirken. Deshalb agierte Mourinho in der Defensive mit einer Sechserkette, davor wies er Paul Pogba und Ander Herrera im zentralen Mittelfeld an, ihre Gegenspieler in Manndeckung zu nehmen. Schön anzusehen war das nicht, aber die Maßnahme brachte Chelsea aus dem Rhythmus. Parallel dazu bekämpften sich die beiden Trainer am Seitenrand. Mourinho versuchte seinen Widersacher zu einer unüberlegten Handlung hinzureißen. Einmal schoss er absichtlich einen Ball auf den wild gestikulierenden Conte, der sich benahm, als wäre er im eigenen Wohnzimmer. Aufgeheizt wurde die Atmosphäre zusätzlich von der Tribüne aus. Chelseas Anhang empfing den ehemaligen Trainer mit "Judas"-Sprechchören. Mourinhos Antwort: Drei ausgestreckte Finger, einer für jeden Meisterschaftstitel, den er mit Chelsea holte. Später sagte Mourinho süffisant: "Bis sie einen Manager haben, mit dem sie vier Meistertitel gewinnen, bin ich die Nummer eins. Bis dahin ist Judas die Nummer eins."

Die Nummer eins auf dem Spielfeld war neben Kanté Chelseas Feingeist Eden Hazard. Weit kam Hazard meistens aber nicht, weil die Gäste ihn sofort foulten. "Anfangs war es unmöglich für ihn, Fußball zu spielen", klagte Conte, "weil er so viele Tritte abbekommen hat. Eine Taktik, den Gegner zu treten, ist für mich kein Fußball." Zur Hilfe kam Chelsea der Schiedsrichter Michael Oliver, der Herrera im Übereifer wegen wiederholten Foulspiels an Hazard des Feldes verwies (35.). Noch im Fallen schaute Hazard auf die Reaktion des Unparteiischen. "Bis dahin habe ich ein Spiel gesehen, bei dem ich das Gefühl hatte, dass ich es gewinnen werde", sagte Mourinho. In Unterzahl sowie in Abwesenheit von Zlatan Ibrahimovic, Wayne Rooney und Anthony Martial (die in der aktuellen Saison bislang 20 von 39 Ligatoren erzielt haben) fehlte United letztlich die offensive Schaffenskraft, um die Verlängerung zu erreichen. Lediglich 28 Prozent Ballbesitz konnte der englische Rekordmeister verzeichnen - weniger hatte Manchester noch nie in dieser Spielzeit. Die Gäste waren also auf eine Einzelaktion von Pogba angewiesen, dem teuersten Profi auf dem Platz. Und der entschied tatsächlich die Partie: für Chelsea. Bei Kantés Treffer griff er zu spät ins Geschehen ein. Seines Fehlers bewusst hielt er sich die Hände vors Gesicht. Die meisten Zuschauer an der Bridge grölten: "Was für eine Geldverschwendung." Pogba war im Sommer für die Rekordsumme von 105 Millionen Euro vom AS Monaco nach Manchester umgezogen. Das ist etwa dreimal so viel Geld, wie Chelsea für Kanté bezahlt hat. Und trotzdem ist Pogba momentan nur halb so wertvoll für sein Team, mindestens.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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