Bundesliga-Trainer:48 Stunden

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Hektisch wurde nach dem 28. Spieltag eine prominent besetzte Trainergeschichte komplett neu geschrieben: Thomas Tuchel lässt sich vom HSV nicht drängen - und könnte Jürgen Klopp beim BVB nachfolgen.

Von Christof Kneer

Er freue sich, dass der Hamburger SV sich jetzt für Bruno Labbadia als Trainer entschieden habe, hat Felix Magath am Mittwoch über Facebook mitgeteilt. Felix Magath hätte sich vermutlich noch mehr gefreut, wenn der HSV sich für Felix Magath entschieden hätte, aber dann hätte sich halt jemand anderes über Facebook gemeldet. Zum Beispiel hat sich Reiner Calmund zuletzt erstaunlich oft zum HSV vernehmen lassen, ebenso Bruno Labbadia, der diesen Verein gerne und oft eine "Herzensangelegenheit" nannte.

"Niemand muss mir dankbar sein. Ich habe viel investiert, aber auch viel zurückbekommen", sagt BVB-Trainer Jürgen Klopp (r.). (Foto: Martin Meissner/AP)

Dortmund wäre eine große Herausforderung für den immer noch jungen Trainer Tuchel

Der HSV hat sehr viele Herzen und Bäuche bewegt in den vergangenen Tagen, zu viele, wie Thomas Tuchel findet. Wer Tuchel kennt, der ahnt, dass die zahlreichen Wortmeldungen aus dem Off auch dazu beigetragen haben, dass er nun doch nicht das wird, was er eigentlich werden wollte: Bauleiter auf der größten Baustelle der Fußball-Bundesliga.

Es ist viel passiert in den vergangenen 48 Stunden. In diesen zwei Tagen hat der Fußballgott wieder einmal seinen Sinn für Ironie bewiesen. Er hat sich erlaubt, eine Geschichte, die so schön ausgedacht war, einfach noch mal umzuschreiben. Die Geschichte sollte so gehen: Thomas Tuchel spielt in Hamburg die BVB-Geschichte von Jürgen Klopp nach. Klopp hatte den Traditionsklub aus Dortmund einst am tiefsten Tiefpunkt übernommen und mit langem Atem zu einem Herausforderer des FC Bayern hochgecoacht. Das war auch Tuchels Plan: Er hat ja eine sozial-romantische Ader, ihn hat die Tradition des HSV gereizt, er hat unter all dem Schotter und Geröll das verborgene Potenzial blinken und glänzen sehen. Er wollte rein in diese Geschichte, und er war auch kurz davor, einen möglichen Umweg über die zweite Liga zu akzeptieren. Das war am Sonntagabend. Aber dann kam der Montag, und nach dem Montag kam der Dienstag.

Jetzt sieht es so aus, als würde Tuchel die Klopp-Story am Original-Schauplatz nachspielen. In Dortmund.

Der BVB wäre eine Herausforderung für diesen immer noch jungen Trainer, vor allem, weil es ein paar entscheidende Änderungen im Drehbuch gibt. Der Plot ist anders als damals bei Klopp, der BVB spielt zwar eine ernüchternde Saison, aber von einem Tiefpunkt ist dieser Verein so weit entfernt wie Reiner Calmund von einem Job als Co-Trainer von Bruno Labbadia. Tuchel hat einen gewaltigen Respekt vor dem BVB, und er hat Vertrauten gegenüber nie einen Zweifel daran gelassen, dass er den Job in Dortmund nicht machen würde, falls der BVB sich irgendwann mal von Klopp trennen würde. Tuchel wäre dann der, der den Heiligen vom Borsigplatz verdrängt hat, er könnte da nur verlieren. Klopps Rücktritt aber hat dieses Szenario entschärft, über diese Brücke könnte Tuchel nun guten Gewissens nach Dortmund gelangen. Noch halten sich die Parteien bedeckt, die Dortmunder prüfen auch noch mal die eine oder andere Option, sie finden ja zum Beispiel auch den Gladbacher Lucien Favre gut. Aber längst haben die Parteien Kontakt aufgenommen, und die Insider auf beiden Seiten gehen schon davon aus, dass das jetzt ganz schnell was werden könnte mit Tuchel und dem BVB - wenn nicht alles schiefläuft. Wenn nicht alles so schief läuft wie mit dem Hamburger SV.

Eine Eigenheit der Branche: Klopp hört auf ähnliche Ratgeber wie Labbadia

Die Geschichte dieser turbulenten 48 Stunden begann eigentlich schon am Sonntagnachmittag, als Tuchel in seinem Kurzurlaub am Gardasee erstaunt feststellen musste, dass die Hamburger Kabinenkeilerei öffentlich wurde, kaum dass die Raufbolde Djourou und Behrami voneinander abgelassen hatten. Die Schwatzhaftigkeit dieses Großvereins war immer einer der Aspekte, der Tuchel an seinem sozial-romantischen Plan hat zweifeln lassen, und im Laufe der folgenden Stunden hat Tuchel offenbar einsehen müssen, dass dieser Verein zu groß und zu mächtig ist, um sich von einem jungen Trainer aus Mainz eines Besseren belehren zu lassen.

Aus Hamburg hört man, dass es sich die HSV-Verantwortlichen unter dem Druck der Ereignisse nicht mehr leisten konnten, den verabredeten Zeitplan einzuhalten. Am Montagabend habe man gesehen, dass man mit Tuchel nicht zusammenkomme, sagt Vorstandschef Beiersdorfer - eine sanfte Formulierung für die wuchtigen Debatten, die es offenkundig im Verein und mit dem Wunschtrainer gab. Nach der öffentlich gewordenen Kabinen-Haue und der ebenso öffentlichen Dekonstruktion der Fußball-Mannschaft durch den VfL Wolfsburg haben die Funktionäre um Aufsichtsratschef Karl Gernandt ein kraftvolles Aufbruchssignal und blitzschnelles Verhandlungsergebnis gebraucht - aber Tuchel war wohl der Meinung, dass er nicht ein Jahr planvoll pausieren muss, um dann plötzlich hektisch zu werden. Er wollte sich nicht drängen lassen von einem Klub, der sich zuletzt darauf spezialisiert hat, Trainerkarrieren zu ruinieren. Die Frage, wer am Ende wem abgesagt hat, bleibt in dieser Geschichte eine akademische Spitzfindigkeit. Offenbar wollten die Hamburger Tuchels Zusage plötzlich sofort, am Montag oder Dienstag, und Tuchel wollte sie am Montag oder Dienstag offenbar nicht geben - zumindest nicht ohne die schriftlich zugesicherten Garantien, was die Planungen für die kommenden Jahre, den Finanzrahmen und die Zusammenstellung der Mannschaft betrifft.

Wie nun Klopps jähe Ankündigung seines Rücktritts in diese Chronologie passt, ist eine spannende Frage, die tief hineinführt in die Netzwerkereien der Branche. Jedenfalls hat Klopp, der zum Teil auf ähnliche Ratgeber hört wie Bruno Labbadia, schnell auf die Wendungen in Hamburg reagieren können und die Deutungshoheit über sein Karriere-Ende beim BVB behalten. Er ist jetzt nicht geschwächt, falls beim BVB jemand nach Tuchel fragt. Die Fragen kommen jetzt nur, weil er proaktiv seine Vertragsauflösung bekannt gegeben hat.

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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