Bremen-Frankfurt (15.30 Uhr):Drei Ecken wie Elfer

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Erstaunlich oft sind es Eckstöße, die Werder Bremens Toren vorausgehen. Hier schlägt Max Kruse Anfang Februar einen Eckball gegen Schalke 04. (Foto: imago/Revierfoto)

In der Bundesliga waren Standardsituationen seit Jahren nicht mehr so wichtig wie in dieser Saison. Werder Bremen hat sich auch durch seine Stärke nach Eckstößen von Abstiegs-Sorgen befreit.

Von Sebastian Fischer, Bremen/München

Am Osterdeich lagert ein Schatz. Wie es so ist mit Schätzen, umweht ihn etwas Geheimnisvolles, niemand darf genau wissen, wie er aussieht. Sollte sein Inhalt öffentlich werden, würde er sehr viel von seinem Wert für seinen Besitzer verlieren, die Profimannschaft des SV Werder Bremen. Bekannt ist so viel: Dass es sich um eine Art Katalog handelt, in dem verschiedene Varianten für Standardsituationen aufgezeichnet sind; und dass dieser Katalog Werder Bremen entscheidende Vorteile verschafft hat.

Wenn Bremen an diesem Sonntag auf Eintracht Frankfurt trifft, dann zwar immer noch als Mannschaft in latenter Abstiegsgefahr, aber auch als eines der derzeit heißesten Teams der Bundesliga. Der Trend spricht für Werder, seit vier Spielen ist Bremen ungeschlagen. Und in den vergangenen sechs Spielen führte dreimal eine einstudierte Eckball-Variation zum Tor.

Standardsituationen galten im Fußball lange als Stilmittel der Außenseiter, mit ihrer Hilfe gewannen die Kleinen auch mal gegen die Großen, in der Spitze wurde es dagegen oft für überflüssig gehalten, sie einzustudieren. Bundestrainer Joachim Löw ließ erst vor der WM 2014 intensiv Standards trainieren - doch dann fanden die Spieler großen Gefallen daran, Varianten zu erfinden. Das berühmteste Beispiel war der inzwischen ikonische, beabsichtigte Stolperer von Thomas Müller im Achtelfinale gegen Algerien.

In der Bundesliga, in der sich die Spielsysteme in ihrem Fokus auf Überfallfußball immer mehr gleichen und das Herausspielen von Torchancen damit schwieriger wird, waren Standards lange nicht mehr so bedeutend wie in diesem Jahr, das zeigen die Zahlen. Im Schnitt fällt ein Tor pro Spiel nach einem Eckball, einem Freistoß oder Elfmeter - der höchste Wert der vergangenen vier Jahre. Am erfolgreichsten ist der SC Freiburg, der 15 seiner 26 Tore nach Standards erzielte. Freiburgs Assistenztrainer Lars Voßler, der die Varianten austüftelt, diente 2014 auch dem DFB als Ratgeber. Bremen hat elf von 30 Toren nach Standards erzielt, acht davon nach Ecken, gemeinsam mit dem FC Bayern und dem FC Augsburg vor diesem Spieltag Ligaspitze. Neun von elf Standard-Toren fielen nach dem Trainerwechsel von Alexander Nouri zu Florian Kohfeldt, der beim Hinspiel gegen Frankfurt debütierte.

Für die Standardsituationen sind in Bremen der Co-Trainer und die Analysten zuständig

Kohfeldt, 35, wird bereits nach einem halben Jahr als Bundesligatrainer zu den großen Talenten der Branche gezählt, er gilt als besonders akribisch. Es passt ins Bild, dass er dem unter Nouri eher nachrangig behandelten Thema Standardsituationen große Beachtung schenkt. Nach dem 3:1 gegen Köln Mitte März, als Milos Veljkovic nach einem Eckball getroffen hatte, erklärte er, dass Werder jede Eckball-Variante einmal im Training gespielt und dabei auf Video aufgenommen habe; gar nicht oft - einmal im Trainingslager, ein paar Mal in Bremen - aber dafür umso intensiver und natürlich geheim. Die Spieler bekamen Ausdrucke der Varianten mit auf den Rasen. "Den Jungs gebührt ein Lob dafür, dass sie das auch mitnehmen und umsetzen", sagte Kohfeldt. Und er lobte seine Assistenztrainer Tim Borowski und Thomas Horsch samt Bremens Spiel-Analysten, die für das Training der Standards zuständig sind.

Veljkovics Treffer war exemplarisch. Zlatko Junuzovic hatte den Ball weit in den Strafraum hineingetreten, auf Höhe von Elfmeterpunkt und zweiten Pfosten. Thomas Delaney blockte den Laufweg von Kölns wichtigstem Verteidiger Dominique Heintz, Veljkovic lief sich frei und traf, ohne bedrängt zu werden. Wer sich die Bremer Ecken seit dem Trainerwechsel anschaut, sieht ein erstaunliches Repertoire: Manchmal laufen mehrere Spieler zum ersten Pfosten, nur als Ablenkungsmanöver; oft schaut mindestens ein Spieler gar nicht zum Ball, sondern stellt nur einen Block, wie beim Pick and roll im Basketball. Es gibt Varianten für Deckungen im Raum und Mann gegen Mann, für Bälle mit Effet zum Tor hin und vom Tor weg.

Werder dürfte in der Spielvorbereitung zu den fortschrittlichsten Teams der Liga zählen, fast jedes Training wird aufgenommen und teilweise stundenlang nachbereitet. Als neulich das internationale Regel-Gremium Ifab beschloss, technische Hilfsmittel auf der Trainerbank zuzulassen, war die Freude in Bremen besonders groß - demnächst können die Beobachtungen der Analysten auf der Tribüne so noch besser live den Matchplan beeinflussen. Und niemand sollte sich wundern, wenn die Bremer ihre Standardsituationen in Zukunft noch etwas kreativer ausführen. Sie haben sich nämlich schon mit dem nächsten Trend beschäftigt: Einwurf-Varianten, heißt es, seien das nächste große Ding.

© SZ vom 01.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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