Breitensport:Gute Nachbarn

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Der preisgekrönte TSV Wandsetal aus Hamburg setzt Zeichen für das fruchtbare Verhältnis zwischen Flüchtlingen und Sport.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Im Klubheim des TSV Wandsetal zieht so etwas wie Goldmedaillen-Stimmung auf, denn Sportvorstand Jürgen Meins und der Integrationsbeauftragte Gerd Seraphin erzählen vom Triumph neulich in Brüssel. Sie waren dort als Gast der Europäischen Union beim sogenannten Flagship Event der Europäischen Sportwoche, nachdem der Deutsche Olympische Sportbund den TSV Wandsetal wegen seiner Flüchtlingsarbeit für den BeActive Grassroots Project Award nominiert hatte. Ein offizieller Akt war das. Claus Müller vom Hanse-Office, der Vertretung Hamburgs und Schleswig-Holsteins in der EU, drückte die Daumen. Meins und Seraphin warteten gespannt, als EU-Bildungskommissar Tibor Navracsics die Preisträger verkündete. Platz drei für Belgien. Platz zwei für Estland. Platz eins: TSV Wandsetal, Germany. "Der Dr. Müller hat den Herrn Meins richtig umarmt", sagt Seraphin. "In die Seite hat er mir gehauen", sagt Meins. Und beide lächeln über ihr Glück, prämierte Toleranzarbeiter zu sein.

Die Flüchtlinge und der Sport. Das ist eine lange, fruchtbare Beziehung, in der jeder von jedem profitiert. Wer seine Heimat wegen Unterdrückung und Krieg verlassen hat, braucht eine Beschäftigung, um leichter in die Fremde hineinzufinden. Sport hilft da sehr, denn: "Sport kennt keine Sprache", wie Jürgen Meins immer wieder gerne sagt. Schon vor 20 Jahren haben Flüchtlingsbetreuer diesen Gedanken aufgegriffen, die Straßenfußball-Liga "Bunt kickt gut" ist zum Beispiel so entstanden.

Wenn die Mädchen an der Reihe sind, darf kein Mann zuschauen

Der Sport wiederum gewinnt neue Mitspieler und Leistungsträger. Wenn sich der FC Bayern mit Trainingscamps und Geld in die Flüchtlingshilfe einklinkt, kann er dabei vielleicht auch das eine oder andere Talent finden. Längst bessern ehemalige Flüchtlinge die Medaillenbilanzen europäischer Leichtathletik-Verbände auf. Und auch sonst bringt diese Zeit der großen Flucht neues Leben in die Klubs. Zumindest sieht man das beim TSV Wandsetal so, der das sogenannte Flüchtlingsproblem gar nicht als Problem betrachtet, sondern als eine Facette der Wirklichkeit, der durchaus auch ein Zauber innewohnt. "Das ist eine Chance", sagt Meins.

Der TSV Wandsetal ist ein Breitensportverein mit gesundem Ehrgeiz. 1600 Mitglieder, elf Abteilungen. Es geht ihm gut, er besitzt ein hübsches Stadion zwischen den Bäumen des Eichtalparks. Trotzdem ist die Ausstattung ausbaufähig; Kunst- rasen und Leichtathletikbahn sind erst in Planung. Und innerhalb Hamburgs liegt der Verein etwas abseits, mitten in Wandsbek, dem größten Stadtteil mit 450 000 Einwohnern und großem sozialen Gefälle. Ideelle Aspekte waren im TSV immer wichtig. Als vor zwei Jahren eine Erstaufnahme-Einrichtung in der nahen Litzowstraße öffnete, war es für den Sportvorstand Jürgen Meins und seine Mitstreiter deshalb nichts Besonderes, den Flüchtlingen Unterstützung und kostenloses Mitspielen anzubieten. Davon erfuhr der Hamburger Sportbund und fragte, "ob ich Interesse hätte an einer völlig neuen Art der Kooperation", sagt Meins. Seither ist der TSV Partner des HSB und des Landesbetriebs für Erziehung und Beratung bei der Flüchtlingsbetreuung. "Durch die Kooperation verpflichten wir uns, dass die Einrichtungen die Leute zu uns schicken und wir sie kostenlos besporten", sagt Meins.

Besporten. Ein seltsames Wort, aber es passt zu dieser Flüchtlingshilfe im TSV, die im Grunde gar keine Hilfe ist, sondern ein Angebot zur gegenseitigen Stärkung. Um die 40 Flüchtlinge sind derzeit im Verein, unter anderen Mansour Ghalami, ein früherer Nationaltorwart des Iran, der aus der Litzowstraße kam und nun als Integrationstrainer beim TSV tätig ist. Es gibt eine Fußball-Gruppe für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge. Und es gibt eine internationale Gruppe mit muslimischen Mädchen, welche Maria Ali, eine Tochter afghanischer Eltern, mit Respekt vor deren Glauben in der Halle an der Walddörferstraße 91 abhält. Männer müssen draußen bleiben, damit die Mädchen ohne Kopftücher und in kurzen Hosen Sport treiben können, und Maria Ali achtet aufmerksam darauf, dass kein falscher Blick durch das kleine Fenster in der Tür fällt.

Die Eltern von Maria Ali, 32, sind einst selbst Flüchtlinge gewesen. Sie kennt den Islam, ohne je nach ihm gelebt zu haben. Sie spricht sieben Sprachen, unter anderem Persisch und Türkisch, und hat sich im Rahmen eines Projekts des europäischen Sozialfonds zur Sportbotschafterin des HSB ausbilden lassen. Sie ist eine wichtige Stütze der preisgekrönten Wandsetaler Integration. Sie strahlt viel Energie und Freude an der Selbstlosigkeit aus. Vor allem aber eine Haltung, die Menschen nicht mit Etiketten versieht. "Ich sage nicht Flüchtlinge oder Asylbewerber", sagt sie, "für mich sind das gute Nachbarn."

Die Nachbarn bleiben nicht immer. Sie werden versetzt im Rahmen ihres Asylverfahrens. Manche entdecken einen anderen Verein. Einmal kam eine komplette Mannschaft von Jugendfußballern zum TSV. "Dann haben sie gesehen, dass da noch bessere Vereine mit Kunstrasen sind. Schon waren sie verschwunden", erzählt Seraphin. "Das kann mal passieren", sagt Meins, "aber da muss man nicht böse sein. Hauptsache, Sie sind untergebracht." Nur neulich hat er kurz geschluckt. Als die Nachricht kam, die Stadt werde 350 Flüchtlinge in der ehemaligen Schule an der Walddörferstraße unterbringen. Auch in der Sporthalle, in der Maria Alis Mädchensport und andere Angebote des TSV stattfinden? Dass die Kommunen Flüchtlinge in Turnhallen unterbringen, bedrängt Vereine und Schulsport. Aber für Jürgen Meins kam bald die Entwarnung. "Unsere Zeiten sind gesichert", sagt er und freut sich schon auf die Neuankömmlinge. Er hat jedenfalls Platz für sie im Preisträgerverein TSV Wandsetal.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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