Brasiliens Ronaldinho:Epoche des Lächelns

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Ronaldinho - Weltmeister mit Brasilien 2002, aktueller Weltfußballer des Jahres und mit 25 Jahren doch erst am Anfang - wird auch während des Konföderationen-Pokals Dinge vollbringen, zu denen niemandem eine andere Beschreibung einfällt als: Das ist Kunst.

Von Ronald Reng

Barcelona - Zunächst sah Ronaldinho nur eine nackte Frau. Er war an einem seiner freien Tage von Barcelona nach Figueres ins Salvador Dalí Museum gefahren und stand nun vor dem Gemälde "Gala betrachtet das Mittelmeer".

Ronaldinho (Foto: Foto: AFP)

Ein Porträt, in dem die Ehefrau Dalís unbekleidet auf die See blickt - das zumindest sieht man auf den ersten Blick. Ronaldinho trat zurück, man muss ungefähr 20 Meter von dem Gemälde zurücktreten: Und das Bild verwandelt sich in das Gesicht des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln.

"Welche Fantasie brauchst du, um solch ein Kunstwerk zu kreieren?" , fragte sich Ronaldinho. "Und ich dachte mir: Ja, das ist es, was ich machen will. Ich kann meine Fantasie nur mit einem Ball ausleben. Aber ich will etwas wie Dalí schaffen: Etwas, was völlig neu ist."

Ronaldinho - Weltmeister mit Brasilien 2002, aktueller Weltfußballer des Jahres und mit 25 Jahren doch erst am Anfang - wird auch während des Konföderationen-Pokals Dinge vollbringen, zu denen niemandem eine andere Beschreibung einfällt als: Das ist Kunst.

Ein beliebiger Tag, irgendein Training seines Klubs FC Barcelona genügt, um eine Ahnung von seiner Kreativität zu bekommen. Ein Pass kommt auf ihn zugeflogen, zu fest, halbhoch, was soll er damit anfangen?

Ronaldinho verwandelt diesen Bastard von einem Pass in ein Meisterwerk. Er leitet den Ball direkt und exakt über acht Meter weiter - mit der Brust. Er passt den Ball mit der Brust so weit und hart wie andere mit dem Fuß.

Erfindung des Fußballs

Stürmer, Mittelfeldspieler, Torjäger, Passgeber - er entzieht sich den Kategorien des Sports. Er ist alles und mehr: Ronaldinho spielt keinen Fußball. Er erfindet ihn. Etwa "den Kaugummi".

So taufte Argentiniens Nationaltrainer José Pekerman Ronaldinhos Eigenart zu dribbeln: Während er rennt, passt er sich den Ball zigmal zwischen den eigenen Füßen hin und her; so schnell, dass der Gegner nicht mehr weiß, an welchem Fuß der Ball gerade klebt.

Wer hätte gedacht, dass ein Turnier mit beschränktem Prestige wie der Konföderationen-Pokal für einen wie ihn eine spezielle Angelegenheit wird?

Doch zum ersten Mal ist er der erste Name der Canarinha, Brasiliens kanarienvogelgelber Auswahl. Bislang war er zumindest in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit immer nur ein Juniorpartner, etwa bei der WM 2002 in einem Sturm neben Ronaldo und Rivaldo.

Rivaldo ist nun Geschichte, Ronaldo sagte das Turnier ab, um sich auszuruhen von der Vereinssaison und dem Stress mit der Ex-Freundin. So soll am Donnerstag in Leipzig mit Brasiliens Auftaktspiel gegen Griechenland die Zeit einer Elf kommen, die einmal Ronaldinhos Brasilien heißen könnte. "Ich bin kein Kind mehr, aber ich habe noch immer Kinderträume", sagt er: "Ich möchte eine Ära prägen."

Es wird die Epoche des Lächelns. Ronaldinho hört nie damit auf, nicht, wenn gerade böse gefoult wurde, auch nicht während er dribbelt - er lächelt.

Es mag ein antrainierter Reflex sein, weil er wegen seiner Hasenzähne den Mund kaum schließen kann und das dauerhafte Lächeln seine Entstellung übertüncht. Das Lächeln jedoch kommt längst von innen. "Ich trage das Glück über den Platz", sagt er.

Alles in seinem Spiel scheint Leichtigkeit, Fröhlichkeit zu sein, obwohl er auch sehr von seiner Kraft, Explosivität und Kondition zehrt. Doch das wird übersehen.

Er hat einen Ghettoblaster gekauft, Minuten vor dem Anpfiff läuft in der Umkleidekabine nun öfter noch Sambamusik. "In meiner Familie war immer Musik, Musik", sagt er.

Mit 25 lebt er immer noch zuhause - obwohl nun in Spanien. Er hat sein Zuhause einfach mitgenommen. Die Schwester Deisie als seine Sekretärin, der Bruder Roberto als sein Agent leben fast ständig bei ihm am Meer nahe Barcelona, ebenso "meine Freundin". Seit wann hat er eine Freundin? "Der Ball ist meine Freundin."

Die Mutter kommt oft für Wochen aus Porto Alegre, nur der Vater nicht mehr. Als Roberto 1989 seinen 18. Geburtstag feierte, stieg der Vater in den Swimmingpool ihrer Villa.

Kostbares Gut

Alle dachten, er mache einen Scherz, als er kopfunter still im Wasser lag. Drei Tage später erlag er dem Herzinfarkt. Ronaldinho war acht. Die Nähe der Familie, die ihm blieb, wurde zum kostbarsten Gut.

Sein Vater war der erste, der ihn lehrte, dass die Kunst brotlos bleibt, wenn sie kein Ziel hat. Er verbot seinem kleinen Sohn beim Straßenfußball das Dribbeln. "Ich habe geweint vor Wut, ich verstand nicht, warum er sagte, ich dürfe nur zwei Ballberührungen haben", sagt Ronaldinho.

Als Barcelona vor einem Monat die Spanische Meisterschaft feierte, dankte er öffentlich seinem Vater im Himmel.

Dabei sei es ruhig einmal dahingestellt, ob er wirklich der derzeit beste Fußballer der Welt ist. In seinem Klubteam gibt es einen, den Portugiesen Deco, der das Spiel mehr beeinflusst. Deco agiert über 90 Minuten sensationell konstant und aktiv.

Ronaldinho zeichnet für die Momente, die bleiben. Tore, wie dieses Jahr in der Champions League gegen Chelsea, als er den Ball mit dem großen Zeh in hohem Bogen ins Tor trat.

Wer hatte geglaubt, dass es so einen Spieler noch einmal geben würde? Im modernen, von Teamwork geprägten Spiel schien kein Platz mehr für die Figur des Überfußballers, die mit ihrer überbordenden Inspiration alles löst. Sie schien ausgestorben mit dem Abtritt Diego Maradonas.

Vorige Wochen trafen sie sich beim Spiel Argentinien gegen Brasilien. Und ein Künstler erkannte einen Künstler. "Maestro!", rief Maradona, "wirst du weiter triumphieren?" Dann beugte er sich hinab, um Ronaldinhos Hand zu küssen.

© SZ vom 14.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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