Brasilianische Profis:Lieber Selbstversorgung

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Aus Brasilien werden sehr viele Fußballer in die Welt exportiert - doch in der Bundesliga landen kaum noch wirklich gute.

Von Javier Cáceres

Brasiliens Fußball zehrt noch immer von seinem Ruf als Heimat des jogo bonito, des schönen Spiels. Mag der Glanz, den Brasiliens Nationalelf einst verströmte, auch verblichen sein und die Schmach bei der Heim-WM 2014 gegen Deutschland (Stichwort 1:7) noch nachwirken - die Exportmaschine Brasiliens brummt. Allein 2016 machten sich bis zum Ende der Transferperiode im August 770 Brasilianer auf den Weg, um im Ausland professionell Fußball zu spielen, in Europas Topligen, aber auch in der Fußballperipherie. Selbst Irak und die Färöer Inseln leisten sich brasilianische Kicker.

Brasiliens führende Fachzeitung Placar wartet in ihrer jüngsten Ausgabe mit einer interessanten Statistik auf. Demnach ist eine der führenden Weltwirtschaftsmächte nicht mal mehr unter den Top 10 der wichtigsten Importländer Europas für brasilianische Kicker. In der Weltweit-Liste der Abnehmerländer für Brasilianer liegt dieses Land gar nur auf dem 18. Platz. Welches das ist? Deutschland.

Nicht nur in Sachen Quantität, auch in Sachen Qualität landet Deutschland unter ferner liefen: In der Liste der 50 besten Fußballer Brasiliens, die Placar auf der Basis objektiver Daten erstellt hat (Einsätze in Ligen und Nationalmannschaften, Tore, nationale und internationale Titel, etc.), kam kein Bundesliga-Profi unter die ersten Zehn, die von Neymar (FC Barcelona), Gabriel Jesus (neu bei Manchester City) und Coutinho (FC Liverpool) angeführt werden. Und auch nur drei Bundesliga-Brasilianer fanden Eingang in die Top 50: Douglas Costa (FC Bayern/13.), Douglas Santos (Hamburger SV/29.) und Raffael (Borussia Mönchengladbach/48.).

Die Fragen lauten: Hat Fußball-Deutschland das Interesse am 200-Millionen-Einwohner-Giganten Brasilien verloren? Hat die Sichtung gelitten? Und warum beschäftigen Länder wie Zypern, Malta, Griechenland oder Bulgarien eine höhere Zahl an Brasilianern?

"Ich habe den Eindruck, dass die Bundesliga-Klubs weniger aggressiv unterwegs sind als noch vor einigen Jahren", sagt der Scout eines europäischen Top-Vereins. Das habe auch kulturelle Gründe, erklärt Leverkusens Manager Jonas Boldt, der zusammen mit Michael Reschke vom FC Bayern als bester Südamerika-Kenner der Bundesliga gilt: "Für die Bundesliga ist Brasilien kein Primärmarkt. Vielen Bundesligisten ist das Risiko zu hoch, das sich aus der langen Eingewöhnungsphase ergeben kann", sagt Boldt. Douglas Costa und Raffael wurden aus der Ukraine und der Schweiz geholt, sie hatten dort bereits unter Beweis gestellt, den Anforderungen des europäischen Fußballs zu genügen.

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(Foto: Lennart Preiss/Getty Images)

Die drei Bundesliga-Brasilianer: Douglas Costa, Bayern München,...

...Douglas dos Santos (links), Hamburger SV...

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(Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

...und Raffael (links), Borussia Mönchengladbach.

Leverkusen hat Wendell aus Brasilien geholt - und zum Nationalspieler geformt. Brasilianer aus der zweiten Reihe sind hingegen schon lange kein Thema mehr für Bundesligisten: "Die Klubs bei uns sichten sehr zielgerichtet und professionell, Brasilianer werden schon lange nicht mehr wahllos gekauft", weiß Reschke. Das liege auch daran, dass die Bundesliga zunehmend zur Selbstversorgung neige: "Es wird viel mehr auf Qualität und Ausbildung geachtet, und die ist in Deutschland aufgrund der Nachwuchsförderung mittlerweile besser als in Brasilien."

Die Fristen, die Talenten in Brasilien - und Argentinien - für die Entwicklung eingeräumt werden, werden immer knapper, weil die Logik eines entfesselten Marktes immer gnadenloser greift. Die Zeiten, da Fußballer auf der Straße lernten und im Schatten lokaler Stars in heimischen Ligen reifen konnten, sind vorbei. Stattdessen sinkt das Alter der Spieler, die ins Ausland gehen im gleichen Maße wie die Exportraten steigen. Im März 2015 berichtete die Agentur "Euramericas Sport Marketing" , dass der Export argentinischer Fußballer im vorangegangenen Jahrzehnt um das 18,5-fache gestiegen sei.

Ein weiteres abschreckendes Argument für deutsche Klubs sind oftmals unklare Besitzverhältnisse, die aber auch ursächlich sind für den Massenexport. Obwohl die so genannte Third-Party-Ownership (TPO) durch den Weltverband verboten ist, gehören brasilianische Fußballer nur in Ausnahmefällen ausschließlich den Vereinen. Heißt: Nicht immer gut beleumundete Investoren erwerben Anteile an jungen, begabten Spielern - und heizen den Markt an. Reschke kann von Transfergesprächen berichten, bei denen "mindestens" vier Parteien involviert waren: "Ein Talent wird in Brasilien primär als Investment betrachtet. Es soll möglichst viel Rendite abwerfen, an der viele partizipieren wollen. Je schneller, desto besser."

Die Plünderung der Mehrmals-Weltmeisterländer Brasilien und Argentinien (weit über 4000 Profis im Ausland) hat fatale Auswirkungen auf die nationalen Meisterschaften. Zum Vergleich: In der Bundesliga gibt es rund 500 Lizenzspieler. Wie wäre es um die Qualität bestellt, gäbe es hier einen ähnlichen Exodus? "Die Entwicklung des Spiels hat in den Topligen einen Riesensprung gemacht. Doch die Qualität in Brasiliens Liga stagniert", sagt Reschke. Und sobald Ausnahmetalente auf dem Markt seien, "gehen die Preise extrem hoch". Bestes Beispiel sei Gabriel Jesus, mit dem sich auch die Bayern beschäftigten, ehe er zu Manchester City ging, für vergleichsweise bescheidene 32 Millionen Euro - Bayern hatte keine Planstelle frei.

"Die Zahl der Bundesligisten, die ein solches Gesamtinvestment stemmen können, ist nicht groß", sagt Reschke. Doch auch das jüngste Gerücht zeigt, dass die Bundesliga Brasilien noch nicht völlig vergessen hat. Angeblich hat der Hamburger SV sein Interesse an Olympiasieger Wallace von Grêmio Porto Alegre erneuert. Aber auch Leicester City oder der AS Monaco sollen interessiert sein. Zudem Klubs aus China.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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