Borussia Dortmund:Im Sturzflug ins Nirvana

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Der frühe K.o im UI-Cup verschärft die finanzielle Situation von Borussia Dortmund und könnte zu weiteren Spielerverkäufen zwingen.

Von Freddie Röckenhaus

Dortmund - Sebastian Kehl hatte so ziemlich als Erster überrissen, was das alles bedeuten musste. Doppeldeutig und mit tief heruntergezogenen Augenbrauen bilanzierte Dortmunds Euro-Urlauber: ¸¸Nun geht alles wieder von vorne los." In der gewohnten Richtung. Mit dem 1:2 gegen den KRC Genk beförderte sich Borussia Dortmund schon zum Auftakt des Uefa-Intertoto-Cups (kurz: UI-Cup) ins europäische Fußball-Nirvana. Die herbeigeredete Aufbruchsstimmung mit dem neuen Trainer Bert van Marwijk und ansonsten fast unverändertem Personal ist dahin. In Dortmund reden die ersten vom Klassenerhalt als neuem Saisonziel. Oder wie ein mineralogisch beschlagener Tribünenbesucher befand: ¸¸Wenn beim DFB die Verhältnisse verkalkt sind, dann sind sie bei uns aus Granit."

BVB-Kapitän Dede, dem der Treffer zum 1:1 gegen die ordentlich, aber nicht überragend spielenden Belgier gelungen war, zog stocksauer den roten Faden der Ereignisse hervor: ¸¸Uns ist das vor einem Jahr gegen Cottbus passiert, dann gegen Brügge, heute nun wieder. Wir verlieren alle entscheidenden Spiele." Dede hatte dabei sogar noch das blamable Uefa-Cup-Aus 2003 gegen den FC Sochaux und die Pleite am letzten Bundesliga-Spieltag gegen Kaiserslautern ausgespart, bei der Dortmund den sicheren Uefa-Cup-Rang an Bochum verspielte. Auf keinen Fall, so Dede, dürfe Dortmund nun weitere Spieler verkaufen, um die weiterhin katastrophale Finanzlage zu verbessern: ¸¸Geld ist nicht alles. Was nützte es, wenn Geld in der Kasse ist und wir keine Mannschaft mehr haben."

Spitzenverdiener Dede hatte dabei aus den Augen verloren, dass die nunmehr endgültig verpasste Qualifikation für den Uefa-Pokal mindestens zehn Millionen Euro Einnahmen kostet. Selbst wenn Dortmund nur drei Uefa-Cup-Spiele hätte bestreiten können, wären daraus durch Ticketerlöse und Fernsehgelder mindestens fünf Millionen Euro in die Kassen geflossen. Weitere fünf Millionen entgehen dem mit derzeit geschätzten 150 Millionen Euro verschuldeten BVB dadurch, dass die meisten Sponsoren- und Werbeverträge an das Mitwirken in einem der europäischen Wettbewerbe gekoppelt sind. ¸¸Wir hatten keine Gelder aus dem Uefa-Cup einkalkuliert," beteuert zwar BVB-Manager Michael Meier, ¸¸deshalb wirft uns das jetzt nicht aus der Bahn." Doch wie viel Aussagen und Dementis der BVB-Bosse zur Finanzlage wert sind, weiß inzwischen jedes Dortmunder Kind einzuschätzen. Und nicht erst, seit Max Merkel über Dortmunds unglaubwürdig gewordenen Vorstand vergangene Woche in Bild lästerte, er verkaufe den Leuten ¸¸Bananen als Blasinstrumente". Realistisch ist, dass der bis zum Anschlag verschuldete BVB, um die kommende Saison zu überstehen, weitere Kredite aufnehmen wird.

Bert van Marwijk, erstmals bei einem Heimspiel im Westfalenstadion auf der Dortmunder Bank, war vom wahren Gesicht seiner Mannschaft geschockt: ¸¸Es sind mir einige Dinge deutlich geworden", sagte der aus Rotterdam geholte Holländer gleich zweimal. Defizite waren van Marwijk schon vorher klar. Vor allem in der Defensive hat er massive Probleme diagnostiziert. Ohne die auf längere Zeit krank geschriebenen Christoph Metzelder und Christian Wörns ist die Innenverteidigung praktisch nicht existent. Im defensiven Mittelfeld hält nicht nur van Marwijk alle Kandidaten (Kehl, Oliseh, Kringe) für zu langsam. Nicht umsonst wiederholt er gebetsmühlenhaft, es möge sein Schwiegersohn Mark van Bommel, Mittelfeld-Dynamiker vom PSV Eindhoven geholt werden.

Allein: Dortmunds Noch-Präsident Gerd Niebaum kokettiert zwar für die Öffentlichkeit in gewohnter Manier mit einem van-Bommel-Transfer - doch in Wahrheit ist der durch die Abgänge von Frings, Amoroso und Trainer Sammer etwas verbilligte Lizenzkader noch immer bei weitem zu teuer für den BVB. Der nämlich muss für seine Kredit- und Leasingsünden nun die Zeche zahlen. So finanziert der BVB mit seinen nach wie vor exorbitanten Zuschauereinnahmen (fast 50 000 Dauerkarten verkauft) und Werbeeinnahmen zum Gutteil nur seine Kreditzinsen und Leasingraten. Die Bewegungsfreiheit des Klubs entspricht daher dem Aktionsradius einiger Spieler.

Die Angst vor dem Total-Zusammenbruch der Mannschaft hindert aber den Vorstand an massiveren Sanierungs-Maßnahmen. Vergangene Woche hat eine Delegation von Olympique Marseille in Dortmund vorgesprochen und angeblich sieben Millionen Euro für Jan Koller geboten. Dortmund hat angeblich abgelehnt. Koller und der ebenfalls gegen Genk noch nicht eingesetzte Tomas Rosicky bleiben aber Verkaufskandidaten. Beide sollen unter anderem deshalb gegen Genk nicht gespielt haben, weil sie durch einen Einsatz im Uefa-Intertoto-Cup ihre Spielberechtigung für andere Klubs im Europapokal verloren hätten.

Die Einschätzung aber, dass der in der Ära Sammer/Zorc zusammen gekaufte Kader grandios überschätzt ist, will die Führungs-Kaste des Vereins noch immer nicht wahrhaben. Sportmanager Michael Zorc wurde zwar von Klubchef Niebaum als Mitschuldiger (neben Trainer Sammer) ausgemacht, verlor seine Aufgaben rund um die Mannschaft an den als ¸¸Teammanager" firmierenden Stefan Reuter und wurde obendrein mit der wohl rabiatesten Gehaltskürzung in der Geschichte der Bundesliga abgestraft - doch am regelmäßig versagenden Kader ändert die Demontage Zorcs nicht das geringste. ¸¸Man darf nicht von heute auf morgen Besserung von allen Dingen erwarten, die über Jahre nicht gut gelaufen sind", übte sich Teamchef Reuter zerknirscht in sybillinischen Analysen.

Erkenntnis in Dortmund aus dem neuesten Scheitern: Alles bleibt wie es war. Wahre Konsequenzen bleiben verboten, denn sie würden am Ende zu den wahren Schuldigen am Niedergang der stolzen Borussia führen. Die überschwängliche Schlagzeile ¸¸Dortmunds große Flucht nach vorn", mit der das Handelsblatt am Freitag die halbe Stadt euphorisiert hatte, so wissen die treuen Anhänger seit Samstag, hat sich auf den neuerdings boomenden Wirtschaftsstandort Dortmunds bezogen. Nicht auf den geliebten Fußballverein.

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