Boliden mit neuen Teilen:Mit verschlankter Nase

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Rundum überarbeitet: Der neue Mercedes. Am Unterboden, an den Leitblechen, am Heckflügel - und rund sechs Kilo leichter. (Foto: Lluis Gene/AFP)

Der Große Preis von Barcelona markiert den Beginn eines Entwicklungsrennens. Mercedes und Ferrari stellen sich beim Aufrüstungs-Festival als stärkste Teams heraus.

Von Philipp Schneider, Barcelona

Wer in einem Raum sitzt, der plötzlich von Maurizio Arrivabene betreten wird, der kann die Erfahrung machen, dass zunächst nicht klar ist, ob er gerade Zeuge eines realen Auftritts ist, oder ob irgendwo ein Kinoprojektor läuft. Maurizio Arrivabene aus dem norditalienischen Brescia läuft nicht einfach in einen Raum. Er erscheint. Und er sieht aus, als sei er einem Film entstiegen, bei dem die Coen-Brüder Regie führen. Sein graumeliertes Haar ist akkurat nach hinten gekämmt, und sein Gesicht trägt die Züge eines Mannes, der schon einiges erlebt hat in den Boxengassen dieser Welt, als ob das Wetter und möglicherweise auch das Nikotin dort tiefe Gräben hinterlassen haben. Bevor Maurizio Arrivabene vor zweieinhalb Jahren zum Teamchef von Ferrari und Nachfolger von Marco Mattiacci ernannt wurde, war er 17 Jahre lang als Manager für den die Scuderia finanzierenden Zigarettenhersteller tätig. Schon damals war er dicht dran an Ferrari. Und wenn er in dieser Zeit durch das Fahrerlager stolzierte, dann sah er nicht nur aus wie der Marlboromann. Er war der Marlboromann.

Inzwischen hat Arrivabene die Cowboystiefel getauscht gegen den roten Overall aus Maranello und die real qualmende Zigarette gegen ihre elektronische Variante. Der Rollenwechsel hat dem Mann, der einst in Venedig ein Architekturstudium nicht vollendete, allerdings nicht seiner Eleganz beraubt. Und wenn er nun vorne auf dem Podium sitzt und seine sanfte, leicht rauchige Stimme erhebt, dann muss er nicht laut werden, um einer wichtigen Botschaft die nötige Prägnanz zu verleihen. "Optisch", sagt Maurizio Arrivabene, "sieht der neue Mercedes sehr beeindruckend aus." Allerdings sei es auch so: "Wir ziehen unseren Plan durch und konzentrieren uns nur auf uns selbst."

Der erneuerte Mercedes ist das große Thema in Barcelona

Frei übersetzt bedeutet das: Ferrari lässt Mercedes fleißig schrauben, investieren und optimieren, ändert selbst aber nur Kleinigkeiten an der Aerodynamik. Und fast wäre Arrivabenes Plan in Barcelona komplett aufgegangen. Nur weil sich Sebastian Vettel in der letzten Kurve des Qualifyings am Samstag verbremste, verlor er noch die Pole Position an Mercedes-Pilot Lewis Hamilton. Bis auf 51 Tausendstel kam Vettel am Ende trotzdem noch heran an den Briten, und das, obwohl am Morgen noch sein Turbomotor ausgetauscht werden musste und die Mechaniker nur gerade so seinen Wagen flott bekamen. "Wenn man sieht, was da so alles an Teilen zusammenpassen muss - das ist fast ein Wunder, dass die das so hingekriegt haben", lobte Vettel.

Der rundum erneuerte Mercedes ist das große Thema an diesem Rennwochenende in Barcelona. "Wir sind Ferrari deutlich näher gekommen. Aber Mercedes hat einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht", sagt Red Bull-Berater Helmut Marko. Und Monisha Kaltenborn, die Teamchefin von Sauber, findet es sogar ein bisschen überraschend, "was Mercedes da aufgefahren hat".

Der Große Preis von Spanien ist traditionell der erste WM-Lauf in Europa und er markiert den Beginn eines Entwicklungsrennens, das von nun an so richtig an Fahrt aufnehmen wird. Waren die Wagen in den vier Rennen zuvor auf Weltreise, so kommen sie nun alle direkt aus den Rennfabriken der einzelnen Teams, wo sie Updates in unterschiedlichster Ausprägung erhalten haben. Das im Ton eigentlich sachliche Fachmagazin auto, motor und sport spricht sogar von einem "Update-Festival", bei dem Mercedes "den Vogel abgeschossen" habe.

Red Bull bleibt, anders als erwartet, nur dritte Kraft

Der erwähnte Vogelabschuss erklärt sich damit, darin sind sich teamübergreifend alle einig, dass von Mercedes keine derartigen Investitionen erwartet wurden, weil die Stuttgarter schon zuvor das stärkste Paket aufbieten konnten. Nun haben sie aber nochmal operiert, fast überall. Am Unterboden, an den Leitblechen, am Heckflügel. Vor allem aber an der Nase, die verschlankt wurde. Außerdem gibt es eine neue Ausbaustufe des Motors, die die Maximalleistung über einen längeren Zeitraum halten kann - und der Wagen ist sechs Kilogramm leichter. "Es ist ein großes Paket, bei dem die Summe der Teile den Fortschritt ausmacht und nicht ein spektakuläres Detail. Es gibt da keinen Königsweg", sagt Motorsportchef Toto Wolff.

Einen Wagen mit einer beeindruckenden Summe an neuen Teilen hätte man eher vom österreichischen Getränkehersteller erwartet, der ja vor der Saison als Geheimfavorit gehandelt wurde und nun doch nur dritte Kraft ist. Das, was jetzt auf dem Circuit de Catalunya an Fahrzeugneuheiten zu besichtigen ist, benötigte eine Entwicklungszeit von acht Wochen. Die Teams reagieren mit den Updates auf ihre Erkenntnisse, die sie bei den letzten Tests vor Saisonstart gewonnen haben. Damals war Ferrari sehr zufrieden mit sich und seiner Arbeit. Also gab es aus Arrivabenes Sicht auch keinen Grund, alles umzuschmeißen.

"Wir sehen zwei unterschiedliche Schulen", doziert der 60-Jährige. Auf der einen Seite gebe es Mercedes mit "kreativen und überraschenden" Ansätzen. Auf der anderen Seite die Schule von Red Bull, "mit nicht wirklich sichtbaren, aber extrem effizienten" Lösungen. Das klang ein bisschen so, als wollte er sagen: Bei Mercedes gibt es viel sichtbares Klimbim. Bei den Konkurrenten raffiniert Verstecktes, das noch viel besser funktioniert.

Andererseits ist es auch so: Am Sonntag steht Lewis Hamilton ganz vorne, nicht Vettel. Und in Barcelona lässt sich kaum überholen.

© SZ vom 14.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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