Bob-WM in Igls:Vier gegen das Vorurteil

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Früher hieß es, vier Frauen seien nicht imstande, einen Vierer-Bob anzuheben - deshalb durften sie ihn auch nicht fahren. Nach zähem Kulturkampf gibt es den ersten WM-Test.

Von Volker Kreisl, Innsbruck-Igls

Das mit dem Anheben ist gar kein Problem. Kaillie Humphries und Kasha Lee gehen leicht in die Knie, fassen den Bob an den Kufen und lupfen ihn in die Höhe. Cynthia Appiah und Melissa Lotholz tun dasselbe auf der anderen Seite: anfassen, hochheben. Dann wuchten sie das lange Gefährt auf die Waage. Sie unterhalten sich dabei, alles wirkt ganz leicht, auch als sie das Gerät auf die Verlade-Rollen bugsieren. Und noch mal: in die Knie, anfassen und - anheben.

Es war eine "billige Ausrede", sagt die Kanadierin Kaillie Humphries. Es hieß, vier Frauen seien nicht imstande, einen Vierer-Bob anzuheben. Und weil Sportler ihr Equipment selber tragen müssen, dürfe es keine Viererrennen für Frauen geben. Dabei sind Frauen wie die Olympiasiegerin Humphries schon auch recht durchtrainiert. Ihr Beruf verlangt ja ständiges Hantel-Training, und ein großer Bob wiegt zwar 210 Kilogramm, aber dieses Gewicht ist anders als etwa für vier durchschnittliche Büro-Männer für vier durchschnittliche Bobfahrerinnen kein Problem. Bob Humphries (Kanada), Bob Constantin (Rumänien), Bob Meyers (USA) und Bob Rissling (Kanada) sind nach dem WM-Training also ruckzuck verladen.

Es war die letzte Übung für ein kurioses Rennen an diesem Sonntagvormittag: für das erste Frauen-Viererbob-Rennen bei einer WM. Nur ein Test ist es, doch würde es um Medaillen gehen, dann wären Frauen und Männer wie im Rodeln, Skeleton, im Skispringen, Biathlon, Boxen, Segeln (schwere Geräte), Gewichtheben (ganz schwere Geräte), wie in jeder olympischen Disziplin auch im Bobsport gleichgestellt. Aber zunächst gibt es in Igls den kürzesten Wettkampf der Geschichte, denn im ersten WM-Frauen-Vierer fahren nur vier Bobs: zwei aus Kanada, einer aus Rumänien, einer aus den USA.

Es klappt: Kaillie Humphries (hier 2015, noch mit männlichen Anschiebern) will wie die Männerpiloten auch zwei Medaillenchancen. (Foto: Bongarts/Getty Images)

"Das ist schade", sagt Humphries, die Anführerin der Vierer-Initiative, "denn wir wollen den Sport weiter aufbauen." Es gebe viele Mitstreiterinnen, aber auch viele Gegner in den großen Verbänden wie dem deutschen BSD. Deren Einwände nennt sie veraltet, sie bleibt dabei aber durchaus freundlich. Und weil sie darauf besteht, dass es ihr nicht um Emanzipation aus Prinzip geht, nicht um "Frauenpower" (sie hebt grinsend die rechte Faust), sondern nur um Fairness, wird sie sich wohl irgendwann durchsetzen.

Humphries ist 1985 geboren. Damals hatte sich der Frauen-Bobsport noch eher subversiv auf einzelnen Bahnen abgespielt, als Beginn einer schleichenden Rückeroberung. Denn als die ersten Bobs vor hundert Jahren in der Schweiz in Renn-Serien geschickt wurden, waren Frauen wie selbstverständlich dabei. 1923 schloss der Weltverband FIBT dann die Frauen aus, Hauptgrund: Sie beherrschen Bahn und Kräfte nicht. 1995 ließ die FIBT dann wieder Rennserien im Zweierbob zu, seit 2002 ist Frauen-Bob olympisch. 2015 wurde zunächst der Männer-Viererwettkampf für Frauen geöffnet, weil dies aber wettkampftechnisch Unsinn ist, weil vier Frauen 100 Kilo weniger wiegen und am Start um sieben Zehntel langsamer sind, gibt es jetzt tatsächlich ein eigenes Vierer-Rennen. Oder zumindest den Versuch dazu.

Thomas Schwab sagt, er werde statt zum Testrennen am Sonntagvormittag lieber Skifahren gehen. Der Sportdirektor des BSD grinst etwas schelmisch und provokationslüstern, tatsächlich hat er sachliche Gründe gegen das Projekt: die Finanzen. "Jetzt noch mal drei Vierer im Weltcup nach Übersee zu schicken, ist einfach zu viel" sagt Schwab. Und der Wettkampf am Sonntag sei kein richtiger Wettkampf. Er würde eher den bestehenden Europacup und Weltcup zu einer Zweier-Bob-Serie verbinden, diese weiter wachsen lassen und danach an eine neue Disziplin denken.

Humphries, die seit drei Jahren als Vierer-Lobbyistin Funktionärs-Klinken putzt, reagiert gelassen. "Ich verstehe den Einwand", sagt sie zunächst. Ein Bob koste ja grob 90 000 Euro. Andererseits habe der BSD sowieso alle Athletinnen bei den Weltcups, sagt sie: "Er bezahlt die Flüge, er bezahlt die Hotels. Er muss nur ein paar mehr Geräte verschicken." Und wie damals bei den ersten Frauen-Zweiern ließen sich auch die ersten Vierer-Rennen mit ausrangierten Geräten bestreiten. Überhaupt müsse man anders denken, fordert sie. Man müsse eine Tür öffnen, dann wachse die Disziplin von selbst. "Es gibt großes Interesse von Sponsoren, die Frauen stärken wollen, oder die dabei sein wollen, wenn etwas Neues eingeführt wird", sagt Humphries, "aber viele Menschen haben Angst vor Neuem."

Vielleicht muss man dieses überfällige Vierer-Projekt ja mit den Versuch vergleichen, einen Vier-Zentner-Bob anzuheben. Keiner traut es einem zu, aber gemeinsam ist es dann ganz leicht: in die Knie gehen, zupacken und - hoch.

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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