Bob:Sicher in den Hafen

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"Er strahlt Kühnheit aus": Was beim Stadtfest auf den Elbwiesen von Pirna begann, endet in Pyeongchang mit Doppelgold im Zweier und Vierer. Über Kapitän Francesco Friedrich.

Von Volker Kreisl

Je mehr Francesco Friedrich spricht, desto klarer wird: Er ist eigentlich weniger ein Bob-Pilot, er ist etwas anderes. Ein Viererbob erinnert an ein kleines Boot, in dem vier Gestalten durch schwere See schlingern, mal von rechts eine Klippe erwischen, mal links einen Brecher, ehe sie sich in die Steilkurven stürzen, die sich wie Riesenwellen auftun. Drei der Gestalten ducken sich hinten so tief wie möglich, einer schaut vorne raus: Francesco Friedrich, der Kapitän.

Er stieg als Letzter aus dem Viererbob, als er ihn am Sonntagmorgen sicher in den Hafen gelenkt hatte. Dieser war zunächst mal der Zielraum des Eiskanals von Pyeongchang. Sofort eilten Freunde, Kollegen und Trainer herbei, zerrten an den vier Fahrern und klopften auf ihre Rücken, bis sie alle eine große Traube bildeten.

Friedrich hatte also sein zweites Gold gewonnen, vor Teamkollege Nico Walther und dem Lokalhelden Won Yunjong, die sich den Silberrang teilten. Zudem hatten alle, die da zusammen in "Bob Friedrich" saßen, ein größeres Ziel erreicht: Sie sind dort angekommen, wohin sie vor fünf Jahren aufgebrochen waren, am vermeintlichen Höhepunkt ihrer Karriere.

Das heißt, Friedrich ist schon etwas früher aufgebrochen, vor 15 Jahren etwa, da war er 13. Bis dahin hatte er noch gar nicht gewusst, was Bobfahren ist, er war ein Leichtathletik-Schüler, ein Mehrkämpfer im sächsischen Pirna, zudem der jüngere Bruder von David, einem Hürdenläufer. Dessen Beine erwiesen sich als zu kurz für die Hürden, er suchte nach Alternativen, weshalb sich sein, aber auch Francescos Leben änderte, und zwar beim Stadtfest auf den Pirnaer Elbwiesen. Dort stand plötzlich eine Anschub-Bahn für Bobs.

"Ist schon seltsam", sinnierte Francesco Friedrich am Sonntag in Pyeongchang, nachdem ihn die Journalisten gelöchert hatten. Immer wieder hatte er die höflichen Sätze gesprochen, mit dem Dankeschön an alle, die am Erfolg beteiligt waren, zum Beispiel an die Familien, "die uns den Rücken frei gehalten hatten, sich immer wieder von uns verabschieden mussten in all den Jahren" - bis er ins Philosophische driftete: "Da kommt man über so viele Wege und Umwege zu seinem Sport, über Glück und Zufälle, und dann wird man Jahre später mit dem Olympiasieg belohnt." Die Anschubbahn auf den Elbwiesen war eine Fest-Attraktion, vielleicht vergleichbar mit einem "Hau-den-Lukas". Friedrichs Bruder versuchte sich daran, blieb aber nicht lange dabei. Francesco machte es ihm natürlich nach, saß bald auf dem Rücksitz eines Zweierbobs und schließlich selber am Steuer und fuhr die Bahn in Altenberg hinab.

Jubel nach einer langen Reise: Francesco Friedrich (o.r.) feiert mit Anschieber Thorsten Margis den Olympiasieg. (Foto: Arnd Wiegmann/Reuters)

Friedrich ist am Sonntag nach seinem Zweierbob-Sieg auch Olympiasieger im Viererbob geworden, weil er von allen Mitfavoriten der, wie man so sagt, kompletteste Bob-Lenker ist. Er hat die Nerven und das Gefühl für das Fahren, er findet heraus, was an seinem Schlitten klemmt, wenn der zu langsam fährt, und vor allem "schiebt er genauso schnell wie wir", sagt sein Anschieber Martin Grothkopp. Damit spart sich das Quartett bis zu fünf Hundertstel am Start, was sich enorm auf die Endzeit auswirkt. Ein gut ausgebildeter Sprinter, der dennoch schon früh an die Bob-Lenkseile gewechselt ist - davon gibt es eben nicht viele.

Friedrich selber wiederum sagt dazu nicht viel. Bohren Reporter nach, was denn seine Stärken seien, dann tut er das Anschieben, das Lenken und das Bobbauen ab, und steuert das Thema direkt in Richtung Mannschaft. Sein Stützpunkttrainer Gerd Leopold lobt Friedrichs Gefühl fürs Gemeinwesen. Der gehe vor dem großen Jubel erst mal auch zu den Verlierern, "der steht mit beiden Beinen auf dem Boden", sagt Leopold. Friedrichs Team - Thorsten Magris, Martin Grothkopp, Candy Bauer, zudem der zu Hause gebliebene Jannis Bäcker - fährt seit fünf Jahren zusammen, und dass es einmal ganz dick kam, hat es nur noch enger zusammengeführt.

Die legendäre Bob-Niederlage in Sotschi 2014, als die hochgerüsteten Deutschen leer ausgingen, nahm Friedrich persönlich: "Ich habe mir geschworen, dass mir das nicht mehr passiert", erinnerte er sich in Pyeongchang. Und Sätze wie: "Alle haben jede Minute, jede Sekunde an dieses Ziel gedacht!", oder: "Wir können uns blind aufeinander verlassen!", oder: "Eine bessere Harmonie wie bei uns kann's nicht geben!" - die würden pathetisch klingen, hätte Friedrich nicht so eine sachliche, beiläufige Art, sie auszusprechen.

Dieses Team, sagt er, gebe auch ihm Sicherheit und Lockerheit. Dies hat in Pyeongchang womöglich den Ausschlag gegeben, nachdem er zweimal hintereinander in Kurve zwei in Bedrängnis geraten war, Banden mitbekam und fast die ganze Nacht wach gelegen hatte, in Gedanken durch die Kurve zwei rasend. Aber er hat für diese erste Goldmedaille dann im letzten Moment die Fahrlinie gefunden, und weil er selbst jetzt eh nur wieder aufs Team verweisen würde, fragt man lieber gleich Martin Grothkopp, welche von Friedrichs Stärken hier entscheidend war. Der Hüne Grothkopp ist der mittlere Matrose in Friedrichs Heck, und er stimmt nun ein Loblied an, das den Kapitän mit leicht glänzenden Augen zu Boden blicken lässt: "Er strahlt Kühnheit aus! Wir wissen, er macht sein Ding, wir können uns auf ihn verlassen. Er hat Erfahrung darin, Rückschläge zu verarbeiten, und: Er kann in Grenzsituationen die Karre eiskalt runterziehen."

Im Ziel wurde sein Bob von der Silber-Crew um Nico Walther schon erwartet. (Foto: Edgar Su/Reuters)

Am Ende hat es Friedrich also geschafft, den enormen Materialaufwand seines Verbandes zu rechtfertigen, weil er sowohl mit dem Stammhersteller FES Gold holte (im Zweier), als auch mit dem Bob des Innsbrucker Konkurrenten Wallner (im Vierer). Und seine Mannschaft wird nun nach Hause fahren in dem Wissen, dass sich die vielen Jahre doch gelohnt haben, weil Friedrich alle sicher ins Ziel gesteuert hat, ehe er als Letzter von Bord gegangen ist.

© SZ vom 26.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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