Bob:Die letzten Tücher fallen

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Vor dem Start in die Olympia-Saison belauern die Bobfahrer einander: Wer war am fleißigsten und hat das beste Material?

Rene Hofmann

Eigentlich sollten sie noch vier Wochen lang geheim bleiben. Die neugierigen Russen, Schweizer, Kanadier und Letten sollten keinen Blick auf sie erhaschen. Die Lichtschranken auch nicht. Kein Fotograf sollte sein Objektiv auf sie richten. Im Bobsport geht es um Tausendstelsekunden. Vier Wochen sind da mächtig viel Zeit. In denen lassen sich noch etliche Sekundenfitzelchen finden. An der Lenkung. An der Aufhängung. An den Kufen. Ins erste Rennen der Saison, das heute Nacht in Calgary startet, wollten sich die deutschen Piloten deshalb mit ihren alten Gefährten stürzen. Erst in Innsbruck, der ersten Europa-Station des Weltcups, sollten die Tücher fallen. Ein Überraschungscoup, nahe der Heimat, kurz vor Olympia - das wäre perfekt gewesen. Im letzten Moment entschied Bundestrainer Raimund Bethge dann aber doch, lieber auf Nummer sicher zu gehen. Er ließ André Lange, Matthias Höpfner und Sandra Kiriasis die fünf Geräte einpacken, die das Berliner Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) in diesem Sommer gebaut hat: zwei große und drei kleine Bobs. Wert eines jeden? So viel wie ein geräumiger Mittelklassewagen. Für Liebhaber noch mehr. Schließlich können die Gefährte den Weg zu Gold öffnen.

Das Material ist entscheidend beim Bobsport. Wer am Start einige Zehntel verliert, hat keine Chance. Wer zu ungestüm an den Lenkseilen zerrt auch nicht. Bei den Könnern aber gibt oft das, worauf sie sitzen, den Ausschlag. Die etablierten Größen haben deshalb zuletzt alle viel Zeit auf das Tüfteln verwandt. So groß wie hierzulande ist der Aufwand, der rund um den Eiskanal betrieben wird, aber nirgends. Für die Fachleute der FES begannen die Spiele von Turin unmittelbar nach den Spielen in Salt Lake City. Penibel legten sie mit dem Verband fest, was in den nächsten vier Jahren wann zu geschehen hätte. Zwei Jahre Variantenbau. Dann der erste Prototyp. Probefahrten, Tests, Verbesserungen. Auf allen Entwicklungsfeldern. Von denen gibt es drei beim Bobbau: die Aerodynamik, das Fahrwerk und die Tribologie, die Lehre von der Reibung.

Im Plan stand: 0,2 Sekunden sollen die jüngsten FES-Bobs auf einer definierten Probestrecke schneller sein als ihre Vorgänger. Um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, fuhren Lange und Höpfner im vergangenen Jahr nach dem Weltcup in Cortina d'Ampezzo statt in die Weihnachtsferien vier Tage zum Testen. Weil die Bedingungen in jeder Bahn jeden Tag unterschiedlich sind, sind immer zwei Bobs nötig, um einen Fortschritt zu erkennen: ein neuer und ein alter.

Im Vergleich zu den Alten schneiden die Neuen gut ab. In Altenberg verbesserte André Lange mit dem Vierer den Bahnrekord auf Anhieb gleich um 98 Hundertstel. Fast eine Sekunde - im Eiskanal ist das eine Ewigkeit. Aber was heißt das schon? Die Konkurrenz kann sich schließlich genauso verbessert haben. Gerne hätte es der Bundestrainer deshalb gesehen, wenn Leonhard Sanktjohanser einmal am gleichen Tag auf der gleichen Bahn gefahren wäre. Sanktjohanser benutzt einen Bob aus einer Rosenheimer Werkstatt, die auch die Russen beliefert, und denen war im vergangenen Winter ein mächtiger Sprung geglückt. Den Schweizern ebenfalls. Vielleicht fuhren die beiden Nationen schon ihre Olympia-Bobs ein, vielleicht haben sie für die große Show aber auch noch etwas unter irgendwelchen Tüchern. Die Szene belauert sich. Für die Deutschen geht es in diesem Winter darum, sich das Fördergeld für die kommenden Jahre zu sichern. Wer sein Material einem Gegner gibt - wie Christoph Langen es getan hat, der seine Kufen bei der letzten WM dem Kanadier Pierre Lueders lieh -, muss damit rechnen, als Verräter beschimpft zu werden.

Weil die begabtesten Bobbauer der Sowjetunion in Lettland saßen, standen die Russen lange dumm da: Die Experten in dem kleinen Land machten sich einen Spaß daraus, das große im Eiskanal vorzuführen. Das brachte die Russen nach Rosenheim. Die Kanadier beziehen ihre Bobs meist aus der Schweiz, weil ihr Materialwart von dort kommt. In den USA wirkt Geoff Bodine. Als der einstige Nascar-Pilot sah, wie seine Landsmänner 1992 bei den Spielen in Albertville in unterlegenem Material aus Europa hinterherrutschten, entschied er: Es ist Zeit für Bobs "made in America". Seine Entwürfe haben einen charakteristischen Schwung in der Haube. Der ist hübsch. Auch flott. Einen Nachteil allerdings hat er: Wenn die Kiste kippt, dreht sie sich sofort ganz um, und die Insassen rutschen auf dem Kopf zu Tal.

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