Bernd Stange:Alles ordentlich und sauber

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Früher stand er im Irak unter Vertrag, heute betreut er Weißrusslands Fußballer: Bernd Stange sieht sich als Trainer, für Politik interessiert er sich nicht.

Thomas Hummel

Wenn Bernd Stange über sein Leben in Weißrussland berichtet, gerät er ins Schwärmen. Die Hauptstadt Minsk sei eine der saubersten Städte, die er je gesehen habe, die Innenstadt glänze regelrecht. Auf den Märkten gebe es alles, dazu diese riesigen Shopping-Malls - alles wie im Westen. Die Autos in Minsk seien sogar noch größer als in Deutschland, weil der Sprit so billig sei. "Es ist ein imposantes Bild."

Bernd Stange ist seit Juli Nationaltrainer in Weißrussland. Weil so weit im Osten schon 20 Zentimeter Schnee liegen und es nur einen beheizbaren Rasenplatz im Land gibt, im Dinamo-Stadion in Minsk, ist er mit seiner Mannschaft in die Sportschule Ruit bei Stuttgart geflogen, um sich auf die beiden letzten Spiele in der EM-Qualifikation am Samstag in Albanien und am Mittwoch zu Hause gegen die Niederlande vorzubereiten.

Doch wenn der einstige Nationaltrainer der DDR über seine neue Berufsstation spricht, kann es natürlich nicht bei schönen Fassaden und kalten Wintern bleiben. Weißrussland, da rümpfen viele die Nase, gerade bei Bernd Stange. Es ist zum wiederholten Male eine ungewöhnliche Station des 59-jährigen Trainers. Und es ist eine Station, die zum wiederholten Male Fragen aufwirft.

Denn die schöne Oberfläche in Minsk kann nicht die politischen Missstände in dem Land übertünchen. Unter Präsident Lukaschenko gilt es als letzte Diktatur Europas, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bemängelt häufige Verletzungen der Meinungsfreiheit, Oppositionelle, Journalisten und Gewerkschafter sollen willkürlich festgenommen, unabhängige Medien unterdrückt werden. Doch das interessiert Bernd Stange nicht. Er sagt: "Ich bin Fußballtrainer."

Schon einmal arbeitete er in einer Diktatur, sogar in einer richtigen, unter Saddam Hussein im Irak. Als er dort im November 2002 die Nationalmannschaft übernahm, prasselte Kritik auf Stange ein, er mache sich zum Handlanger eines Massenmörders. Schließlich war bekannt, dass selbst Fußballspieler den Repressalien der Husseins ausgesetzt waren. Nach Niederlagen gab es Verhaftungen und Folter. Doch auch damals hatte sich Stange in Interviews stets auf sein Berufsfeld zurückgezogen. Was da draußen geschah, lag außerhalb seines Blickfeldes und hatte mit ihm nichts zu tun. Nach dem Einmarsch der Amerikaner setzte er seine Arbeit fort - und wurde von der Fifa mit dem Presidential Award geehrt. "Dabei habe ich nichts anderes gemacht als vorher", sagt Stange.

Nun also Weißrussland. Auf die politischen Probleme angesprochen, blockt Stange auch hier ab. "Ich verwahre mich gegen die teils dümmlichen Fragen, die überhaupt nichts mit meiner Arbeit zu tun haben", sagt er mit lauter werdender Stimme. Er wolle nicht mit Leuten über diese Dinge reden, die noch nicht einen Tag in Minsk waren. Ob es eine politische Opposition gebe, die unterdrückt werde, entziehe sich seiner Kenntnis. Und Opposition, die habe es auch in Heiligendamm gegeben, beim Treffen der Staatschefs der acht wichtigsten Industrieländer der Welt, und auch da "wurden Zäune hochgezogen und Wasserwerfer auf Demonstranten losgelassen".

Er sei Fußballtrainer in einem von der Fifa und der Uefa anerkannten Verband und manches in Minsk habe auch sein Gutes: Frauen könnten spätabends noch allein nach Hause gehen. "In Jena hole ich meine Frau abends vom Kino ab, weil alle Angst vor Gewalt haben." Letztlich habe er keinen Grund, irgendwas zu loben, "aber auch kein Interesse daran, dass zu viel dummes Zeug erzählt wird". Bernd Stange sagt selbst, dass er "relativ störrisch" auf Fragen zu Politik reagiere. Und doch kann er sie nicht abschütteln. In Deutschland wurde in den neunziger Jahren bekannt, dass Stange für die Stasi gearbeitet hatte.

Training im Schatten des Dikators: Bernd Stange im Jahr 2002 im Irak. (Foto: Foto: dpa)

Dennoch glaubt Stange nicht, dass diese Vergangenheit der Grund war, warum er im vereinigten Deutschland scheiterte. Kurz nach der Wende trainierte er Hertha BSC Berlin und den VfB Leipzig in der Bundesliga, "doch ich habe es sportlich damals einfach nicht geschafft", gibt er heute zu. Wie alle anderen ehemaligen DDR-Trainer sei er mit dem System im Westen nicht zurechtgekommen. "Wir haben früher Spieler entwickelt, immer nur entwickelt. Im Westen wurde dagegen nur ausgewählt. War einer nicht gut genug, war er weg." Erst nach zehn Jahren hätten Kollegen wie Hans Meyer oder Eduard Geyer Erfolg gehabt. Und auch er, Bernd Stange.

Er verweist auf gute Zeiten in der Ukraine (Dnjepropetrowsk), in Australien (Perth) und zuletzt in Zypern, wo er Limassol binnen zwei Jahren vom letzten Platz zur Meisterschaft geführt hat. Auch dass die irakische Nationalmannschaft nach seinem Rückzug - er kündigte im Jahr 2004, weil sein Leibwächter angeschossen worden war - Platz vier bei den Olympischen Spielen in Athen und nun Asienmeister in Südkorea wurde, schreibt er sich und seiner Aufbauarbeit gut.

Die irakische Erfahrung eines Neubeginns könnte Bernd Stange nun in Weißrussland helfen. Im Gegensatz zu den Nachbarn Ukraine oder Russland tritt hier der Fußball auf der Stelle. Seine Mannschaft schmückt nur ein bekannter Name: Aljaksandr Hleb von Arsenal London. Weißrussland liegt in der Gruppe G der EM-Qualifikation mit sieben Punkten auf dem vorletzten Platz. Wie die Politik, so hat sich auch der Fußballverband, der von einem Stellvertreter des Präsidenten Lukaschenko angeführt wird, international isoliert, hat alte Strukturen aufrechterhalten, die nun sukzessive zerbrechen. "Es gibt hier keine U21, keine Jugend-Nationalmannschaften, kein funktionierendes Nachwuchssystem", erzählt Stange. Zusammen mit seinem langjährigen Assistenten Harald Irmscher wolle er so ein Gerüst aufbauen. Etwa die erfolgreiche Jugendarbeit in der Schweiz nachahmen oder heimische Trainer zu Hospitationen in die Bundesliga schicken - derzeit zu seinen alten Bekannten aus DDR-Zeiten nach Dortmund (Thomas Doll) und Nürnberg (Hans Meyer).

Nach fünf Monaten allerdings fühle er bereits "schwindende Kräfte, weil man zu viel will, aber spürt, dass der Prozess länger dauern wird". Das Ziel ist die WM-Qualifikation für Südafrika 2010, wenngleich Stange zugibt, "dass wir weit davon entfernt sind, davon zu träumen". Und sollten Herr Lukaschenko oder sein Vize dennoch irgendwann den Daumen senken, so hat Bernd Stange zumindest eine schöne Zeit gehabt: "Das Leben ist ordentlich, es ist sauber. Und der Verband liest mir jeden Wunsch von den Augen ab."

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