Berliner Stadion-Debatte:Niemand hat die Absicht...

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80 Jahre bewegte Geschichte: das Berliner Olympiastadion. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Brandenburg statt Berlin? Die Debatte um eine neue Fußball-Arena jenseits der Stadtgrenzen spaltet Hertha BSC. Viele Fans wollen nicht verpflanzt werden - auch wenn das Olympiastadion oft düster, kalt und halbleer ist.

Von JAVIER CÁCERES, Berlin

Es gab mal eine Zeit, sie ist noch nicht allzu lange her, da wurde Berlin verspottet. Die Mauer war gefallen und Berlin damit nicht nur zur Kapitale, sondern auch zur flächenmäßig größten Gemeinde des neuerlich großen und mächtigen Deutschlands geworden. Doch Berlin, nach Einwohnern größer als der zweimalige Weltmeister Uruguay, war auch die einzige Hauptstadt Europas ohne Erstliga-Anbindung im Fußball. Hertha BSC, Blau-Weiß 90 und TeBe, der BFC Dynamo und Union darbten in unterklassigen Gefilden.

Hertha ist längst wieder aufgestiegen und steht aktuell sogar an dritter Stelle der Bundesliga-Tabelle. Und dennoch: Womöglich wandert der erstklassige Fußball wieder extra muros. Denn Hertha befasst sich intensiv mit einem Stadion-Neubau außerhalb der Stadtmauern. Wird aus dem Berliner ein Brandenburger Sportclub?

Hertha hat bereits diverse Male mit einem Auszug kokettiert, üblicher Weise geschah dies im Umfeld von Verhandlungen über die Verlängerung des Mietvertrags mit den Betreibern des Olympiastadions. Hertha ist dort Hauptmieter. Ohne den Fußballbundesligisten wäre das Rund kaum kostendeckend zu betreiben, Konzerte von mehr oder weniger in Würde ergrauten Rock- und Popstars oder das DFB- Pokalfinale sind nicht genug. Herthas Mietvertrag aber wurde erst vor wenigen Monaten erneuert, bis 2025. Umso alarmierter sind die Hertha-Fans nun darüber, dass die Debatte um einen Abschied aus dem gut 80-jährigen Stadion, das aus Anlass der Nazi-Spiele von 1936 in Betrieb genommen wurde, nun konkreter wird.

"Bei einigen von uns kommt das Gefühl auf, dass die Entscheidung schon gefallen ist, dass die Weichen schon in Richtung Neubau gestellt sind", sagte Steffen Toll, Vorsitzender des "Förderkreises Ostkurve", dem Berliner Tagesspiegel.

Ein Neubau wäre nur mit Investoren zu stemmen - Hertha sieht sich auch in China um

Welche Standorte unter Umständen in Frage kämen, will Hertha BSC Anfang kommenden Jahres erläutern, eine Machbarkeitsstudie sei in Arbeit, hatte Herthas Vereinsboss Werner Gegenbauer schon vor einigen Tagen erklärt. Durch die Berliner Zeitungen geistern angeblich verkehrstechnisch günstig gelegene oder erschließbare Orte wie Ludwigsfelde, Oranienburg oder Dreilinden - die Grundstücke dort sind viel günstiger als in Innenstadtlage.

"Wir werden nachdenken, und diese Gedanken werden nicht an der Stadtgrenze enden", sagte Gegenbauer am Montagabend bei der Mitgliederversammlung der Hertha. Das gilt erst recht mit Blick auf die etwaige Finanzierung eines möglichen neuen Stadions. Die dreistellige Millionensumme, die für ein neues Stadion fällig wären, könnte Hertha nicht selbst stemmen. Hertha schaut sich nach neuen Investoren um, auch in China.

Dass es objektive Gründe gibt, die für einen Auszug aus dem Olympiastadion sprechen, lässt sich kaum bestreiten. Sie sind an den üblicherweise nasskalten, schmuddelig-grauen Berliner Herbst- und Wintertagen, an denen Hertha getreu der Gesetze von Murphy seine Heimspiele fast ausschließlich austrägt, bestens zu begutachten. Dann ist das Stadion noch düsterer und unwirtlicher als sonst, und auch atmosphärisch eine solche Katastrophe, dass die Verantwortlichen von Hertha seit Jahren nachvollziehbar von einem sportlichen Wettbewerbsnachteil sprechen.

Es gibt wohl weltweit kein Stadion, das selbst dann noch so halbleer ausschaut, wenn es mehr als nur halbvoll ist, wie das Berliner Olympiastadion (wobei sich Besucher volle Ränge zumindest dann nicht wünschen sollten, wenn sie in der Halbzeitpause einen Toilettenbesuch planen, denn es gibt nicht genug Örtlichkeiten). Am Sonntag etwa waren trotz des Hertha- Höhenflugs beim Heimspiel gegen Mainz (2:1) gerade mal 37 852 Zuschauer da - in einem Stadion, in dem sich Zuschauer, anders als in den modernen, sogenannten "reinen" Fußballarenen, vom Geschehen auf dem Spielfeld so weit entfernt fühlen wie die Berliner von einem neuen Flughafen. Nur: Ein Fußballverein hat eben auch so etwas wie eine kollektive Seele, die sich nicht so einfach verpflanzen lässt.

Heimatgefühl und Geborgenheit bemessen sich nicht nur an der Funktionalität des Gemäuers. Entsprechend gereizt ist die Stimmung rund ums Olympiastadion, wo die (West-)Berliner Vereine seit 1963 ihre Bundesligapartien ausgetragen haben. "Bevor Ihr Hertha ins Umland verschleppt, jagen wir Euch in die Wüste", lautete ein Plakat, das am Sonntag in der Ostkurve hing. Ein weiteres spießte die derzeitige Imagekampagne ("Ältestes Berliner Start-up") der Hertha auf: "Heute Berliner Start-up - morgen Brandenburger Platte".

Der Aufsichtsratsvorsitzende Bernd Schiphorst sagte, schön wäre eine Arena auf dem Olympiagelände - ein neues Stadion sozusagen neben dem alten Olympiastadion. Doch das dürfte mit dem Senat kaum zu machen sein, das Olympiastadion wurde erst zur WM 2006 für rund 250 Millionen Euro saniert, mit vielen Steuermitteln.

Hertha-Manager Michael Preetz wiederum erklärte, man werde "sicher nicht morgen" mit dem Bau beginnen. In einer Stadt, in der 2011 mal ein Flughafen eingeweiht werden sollte, klingt das zumindest so, als könne man dem Verlauf der Debatte noch einigermaßen gelassen zuschauen.

© SZ vom 30.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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