Belgiens 5:2 gegen Tunesien:Gar nicht mehr so geheim

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Gegen Tunesien zeigen die Belgier einen souveränen Fußball, der sie weit tragen könnte. Trainer Martinez verspricht, dass das Team weiter wächst, Kapitän Hazard sagt ohne Umschweife: "Wir wollen das Finale erreichen."

Von Maik Rosner, Moskau

Am angenehmsten ist es im Fußball wie im Leben, wenn etwas gut gelingt, die Einordnung aber andere übernehmen. Der Tunesier Nabil Maaloul tat genau das am Samstagnachmittag nach dem 5:2 (3:1) von Belgien. Nicht nur, um das eigene Ausscheiden ein bisschen erträglicher erscheinen zu lassen. Aus dem Trainer der tunesischen Nationalmannschaft sprach nun in erster Linie der Fachmann, der gar nicht umhin kam, dieser belgischen Auswahl Anerkennung und Respekt zu übermitteln. "Das ist eine sehr starke Mannschaft", sagte er und versuchte erst gar nicht, das frühe 0:1 durch Eden Hazards verwandelten Foulelfmeter als Knackpunkt umzudeuten. "Selbst wenn es den Elfmeter nicht gegeben hätte, wäre Belgien in der Lage gewesen, viele Tore zu schießen", sagte Maaloul.

Deren fünf waren es am Ende geworden, womit die Tunesier sogar noch einigermaßen glimpflich davongekommen waren. Doppelt so viele Tore hätten es auch werden können, und selbst dann wäre den Belgiern noch immer ein Hang zur Verschwendungssucht nachzuweisen gewesen. Allein der erst in der 68. Minute eingewechselte Stürmer Michy Batshuayi, zuletzt bei Borussia Dortmund aktiv, hätte es nach Großchancen auf ein halbes Dutzend Tore bringen können.

Doch auch so genügten die beiden Doppelpacks von Kapitän Hazard (6./51.) und Romelu Lukaku (16./45.+3) sowie das Tor des doch noch belohnten Batshuayi (90.), um die Belgier als bisherige Topattraktion der WM in Russland wahrzunehmen. König Philippe eilte nach dem Abpfiff von der Tribüne des Moskauer Spartak-Stadions, um seiner Begeisterung in der Kabine Ausdruck zu verleihen. Auch beim Monarchen dürfte sich der Eindruck verfestigt haben, dass dieser Mannschaft eine lange Rundreise durch Russland zuzutrauen ist.

Trainer Martinez kündigt eine größere Rotation an

Zusammen mit dem 3:0 vom Auftakt gegen Panama stehen nun zwei Siege, 8:2-Tore und das nahezu sichere Weiterkommen ins Achtelfinale in ihrer Zwischenbilanz, obwohl das letzte Gruppenspiel gegen England am Donnerstag in Kaliningrad noch aussteht. Dann dürfte es um Platz eins in der Staffel G gehen, aber Trainer Roberto Martinez kündigte bereits eine größere Rotation an. Geschont werden könnte womöglich das Offensivtrio Hazard, Lukaku und Dries Mertens. Alle drei waren mit wohl nur leichten Blessuren ausgewechselt worden.

Als gar nicht so geheimer Geheimfavorit waren die prominent besetzten Belgier bereits 2014 zur WM nach Brasilien und 2016 zur EM nach Frankreich gereist. Jeweils schieden sie im Viertelfinale aus, was vor allem vor zwei Jahren wegen der 1:3-Niederlage gegen Wales enttäuschend geriet. Nun scheint die Mannschaft mit jener Schärfe, Fokussierung und vor allem taktischen Reife ausgestattet zu sein, die nötig sind, um nicht ein ewiges Versprechen zu bleiben.

Viel zu tun hat das mit Trainer Martinez. Der Spanier übernahm die Mannschaft im August 2016 von Marc Wilmots, dem eher nicht nachgesagt wurde, ein gewiefter Taktiker zu sein. Nun lehrt Martinez einen Offensivfußball, der trotz seiner Anlage zum Spektakel nicht im Hurrastil daherkommt, sondern auf der Basis der Vernunft vorgetragen werden soll. Inspirieren ließ sich der ehemalige Mittelfeldspieler von Johan Cruyff und Pep Guardiola.

Ganz austreiben konnte er seiner Mannschaft zwar noch nicht die Makel in der Defensive. Zu besichtigen war das auch gegen Tunesien, wie bei den Gegentoren durch Dylan Bronn (18.) und Kapitän Wahbi Khazri (90.+3). Aber die Stabilität hat deutlich zugenommen, wie seine Amtszeit mit nun 21 Spielen in Serie ohne Niederlage belegt. Und Martinez schärft die Sinne seiner Spieler weiter, bei aller Offensivfreude als kompaktes Gebilde zu agieren. "Dass wir Tore schießen können, ist wegen des individuellen Talents keine Frage. Das Talent kann jeder sehen", sagte er nach dem 5:2, "aber es braucht mehr als das. Wir brauchen Balance."

"Wir wollen das Finale erreichen", sagt Hazard

Die Spieler nehmen seine Lehre und Korrekturen an, sie agieren als Einheit mit einem gemeinsamen Ziel. Nach dem Erfolg gegen Tunesien sagte Hazard ohne Umschweife auf die seit Jahren gestellte Standardfrage, ob Belgien der Geheimfavorit sei: "Ich denke, wir sind ein gutes Team. Wir wollen das Finale erreichen." Viel Überzeugung sprach dabei aus ihm, anmaßend konnte diese bei den Zuhörern unter dem Eindruck der beiden jüngsten WM-Vorträge aber kaum klingen, zumal sich viele Favoriten gegen die vermeintlich Kleinen reihenweise abmühen.

"Wir sind stärker als vor vier Jahren", sagte Hazard, "wir sind in einer sehr guten Form." Allen voran gilt das für Lukaku, der als erster Spieler seit Diego Maradona 1986 in zwei WM-Spielen hintereinander doppelt traf und nun gleichauf mit Portugals Cristiano Ronaldo die Liste der erfolgreichsten Schützen dieser WM anführt. "Die Tore sind die Konsequenz deiner Arbeit auf dem Platz", referierte Martinez dazu, "wenn wir uns als Team weiter verbessern, sind Tore die logische Folge." Bei Stürmer Lukaku wie bei den Kollegen. Aber, das sagte Martinez auch: "Es gibt noch viel zu verbessern."

Das Viertelfinale vor vier Jahren in Brasilien, in dem die Mannschaft 0:1 gegen den späteren Zweiten Argentinien unterlag, war der zweitgrößte WM-Erfolg nach Platz vier 1986 in Mexiko. Aber diesmal darf den Belgiern wohl bei aller gebotenen Vorsicht wegen der Unwägbarkeiten eines Turniers attestiert werden, zumindest über die nötigen Zutaten zu verfügen, um die Bilanz aufzubessern. Zumal Martinez einen "sehr guten Geist" in der Mannschaft erkennt. "Wir wachsen noch, wir sind nach wie vor in einem Prozess", sagte er. Bei ihm klang das dann wirklich so, als ob auch er einen Nährboden sieht, aus dem diesmal wirklich Großes gedeihen kann.

© SZ vom 24.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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