Basketball-Wunderkind Luka Doncic:Der Unermessliche

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Noch Teenager, aber durchsetzungsfähiger als alle anderen: Luka Doncic (in Weiß) beim Finalsieg gegen Istanbul. (Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Mit 19 hat er alles gewonnen, was man im europäischen Basketball gewinnen kann. Dem Slowenen Luka Doncic von Real Madrid bleibt nur noch der Karriereschritt in die nordamerikanische Profiliga NBA.

Von Joachim Mölter

In den vergangenen Monaten ist Luka Doncic ein ganzes Stück gewachsen, so etwas passiert als Teenager. Auf der Homepage der Basketball-EM 2017 wurde der 19 Jahre alte Slowene noch mit 1,98 Meter notiert, die Euroleague führt ihn seit Saisonbeginn mit 1,99, sein Klub Real Madrid nennt 2,01, und laut Internet-Lexikon Wikipedia misst er sogar schon 2,03. Alle Zahlen beziehen sich nur auf Doncic' Körpergröße, seine Statur als Sportler schießt gerade ins Unermessliche. Am Wochenende hat er in Belgrad mit Real Madrid die Euroleague gewonnen, den höchsten europäischen Wettbewerb, durch einen 85:80-Finalsieg über Titelverteidiger Fenerbahce Istanbul. Für die Königlichen war es der zehnte kontinentale Titel ihrer Klubgeschichte. Für Doncic die Krönung einer Saison, wie sie in der Basketball-Historie noch kein Teenager vollbracht hat, nicht einmal die berühmten Amerikaner Michael Jordan, Kobe Bryant oder LeBron James.

Wonder Boy, nennen sie ihn: Gerade wurde er zum Besten der Euroleague gekürt

Als Kronprinz an der Seite des NBA-Profis Goran Dragic (Miami Heat) führte Luka Doncic Sloweniens Männer im September 2017 zu ihrem ersten EM-Titel. Als dann in Madrid Spielmacher Sergio Llull noch vor Saisonbeginn mit verletztem Knie ausfiel, übernahm Doncic, damals 18, einfach die Führung des Starensembles. Keine leichte Aufgabe, denn Llull war immerhin der MVP der vorangegangenen Euroleague-Saison, der wertvollste Spieler, gewesen. Das ist nun Luka Doncic, der "Wonder Boy", wie ihn Kommentatoren und Reporter in Spanien nennen: der Wunder-Bub.

Dieser Spitzname hat weniger damit zu tun, dass in seinem unschuldigen Milchgesicht immer noch rote Bäckchen mit graugrünen Augen um die Wette glänzen. Vielmehr mit dem erstaunlichen Talent, das der Sohn eines ehemaligen Nationalspielers und eines Models mitbrachte, als er mit 13 Jahren aus seiner Heimatstadt Ljubljana nach Madrid kam.

Im Alter von 16 Jahren und zwei Monaten debütierte Doncic bei Reals Profis - als jüngster Spieler der Klubgeschichte. Zwischen dem Halbfinale gegen ZSKA Moskau (92:83) am Freitag und dem Finale gegen Fenerbahce am Sonntag zeichnete ihn die Euroleague nun als MVP dieser Saison aus, nach der Veranstaltung außerdem noch als Besten des Endspiels - auch diese beiden Ehrungen hat Doncic als der mit Abstand jüngste Spieler erhalten. "Jeder fragt, wie sich das anfühlt", berichtete er am späten Sonntag, "ich finde keine Worte." Es sei ein wahr gewordener Traum, er habe "wunderbare Teamkameraden und einen wunderbaren Trainer wie Pablo Laso", fügte der Wunder-Bub hinzu: "Mit dieser Mannschaft zu spielen, ist einfach."

Mit 19 Jahren und drei Monaten hat Luka Doncic nun alles gewonnen, was man als Basketballspieler in Europa gewinnen kann: die EM, die Euroleague, zwei spanische Meisterschaften, zwei Pokale, jede Menge individuelle Auszeichnungen. Der nächste Karriereschritt kann nur nach Nordamerika führen, in die NBA, die stärkste Liga der Welt. Für die Mitte Juni bevorstehende Draft, die jährliche Talentbörse, wird er ganz hoch gehandelt. Aber er hat noch nicht verkündet, ob er überhaupt schon in die USA will. "Ich werde es bald sagen", verriet er dem Sportsender ESPN am Wochenende, "jetzt will ich erst mal mit meiner Mannschaft feiern."

So uneinig, wie die verschiedenen Angaben über Doncic' Körpergröße sind, so unschlüssig sind etliche NBA-Klubs, was sie mit ihm anfangen sollten, wenn sie ihn denn bekämen. Dass er gegen NBA-Profis bestehen kann, ist nicht die Frage, das hat Doncic längst nachgewiesen. Bei der EM zum Beispiel düpierte er im Viertelfinale den Letten Kristaps Prozingis, den vielversprechenden Center der New York Knicks. Und in der Euroleague-Partie gegen den FC Barcelona im Dezember führte er den NBA-erfahrenen Victor Claver regelrecht vor: Mit einem schnellen Schritt nach rechts, einem abrupten Stopp, einer Täuschung nach links und einem Dribbling wieder nach rechts, zwang er Claver in einen Spagat, so dass dieser schließlich auf allen Vieren übers Parkett krabbelte wie ein Kleinkind übers Glatteis. Es gibt jede Menge Profis, die zickzack übers Feld kurven, aber nur wenige, die auch zockzuckzeck im Repertoire haben wie Luka Doncic; wenige, die den Ball hinter ihrem Rücken exakt in den Laufweg eines Mitspielers passen können; wenige, die den Ball von der einen in die andere Hand wechseln, indem sie ihn im vollen Lauf von hinten nach vorne durch ihre eigenen Beine dribbeln.

Täuschen, passen, werfen, durch die Beine dribbeln: Es gibt nichts, das Doncic nicht kann

Der Slowene kann jedenfalls fast alles mit dem Ball, er punktet, sammelt Rebounds, gibt Vorlagen, blockt Würfe, und dank seiner Vielseitigkeit, seiner Größe sowie seiner Masse von rund 100 Kilogramm kann man ihn bedenkenlos auf drei Positionen einsetzen. Was manche NBA-Experten dennoch abschreckt, ist die Frage, ob Luka Doncic noch Steigerungs-, Entwicklungspotenzial hat - oder ob er womöglich schon ausgereift ist.

Mehr als die Hälfte der 30 NBA-Klubs hatte am Wochenende Späher nach Belgrad geschickt, um Doncic unter Stressbedingungen zu beobachten, und wer ihn unter die Lupe nahm, monierte dann, dass er Probleme gehabt habe gegen die großen, athletischen Verteidiger von Fenerbahce. Gegen das abwehrstärkste Team Europas gelangen dem 19-Jährigen trotzdem 15 Punkte, seine Fürsprecher attestierten ihm hernach eine "bemerkenswerte Kaltschnäuzigkeit", als es darum ging, Fouls zu provozieren und so zu leichten Punkten an der Freiwurflinie zu kommen.

"Ich weiß, dass sich alle darauf fokussieren, ob und wie ich mit Druck umgehen kann", sagte Luka Doncic, "aber wenn ich aufs Spielfeld gehe, will ich einfach nur Spaß haben." Spaß haben: In dieser Hinsicht ist der Wunder-Bub auch nur ein Teenager wie jeder andere.

© SZ vom 23.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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