Australian Open:Shhhs und leise Pfiffe

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Rüpeleien, unerträgliche Hitze, Sorge vor Islamisten: Die Australian Open zeigen ein Land, das sich Sorgen macht.

Milan Pavlovic

Gleich bei der Ankunft in Australien wird man mit einer der größten Marotten der Einheimischen konfrontiert: Das Gepäck findet man beim bag claim, nicht baggage, wie in allen anderen englischsprachigen Ländern. Australier belasten sich und ihre Gedanken ungerne mit Ballast, hier wird alles Überflüssige abgeworfen wie übertriebene Kleidung im Sommer oder verzichtbare Silben bei Wörtern.

Marat Safin am Boden: Der Russe verlor sein Drittrunden-Match gegen Andy Roddick (Foto: Foto: AP)

In dem Land, in dem Fußball footy genannt wird, den Einheimischen jede übertriebene Anstrengung fremd zu sein scheint und die Lieblingsfloskel "No worries" ist (etwas wie "Passt schon" im Bayrischen), werden aus Kängurus roos, die vornehmere Adresse für Toiletten sind bins (für cabins), und als Ausländer steht man manchmal da und fragt sich, ob dieses oder jene Wort eine Abkürzung darstellen soll oder nicht. In der ersten Woche der Australian Open kamen sich jedoch auch etliche Melbourner wie Fremde vor, denn sie wurden im Zusammenhang mit Tennis erstmals mit einer ungeliebten Abkürzung konfrontiert: hoons, die Kurzform von Hooligans.

Der Konflikt zwischen serbischen und kroatischen Fans erschütterte das Tennisturnier an seinem ersten Tag, just als es von Roger Federer zärtlich zum "Happy Slam" ausgerufen wurde. Seitdem ist zwar nichts Schlimmes mehr passiert, aber so richtig hat sich die Veranstaltung von dem Schock nicht erholt. Die Zuschauerzahlen, die am ersten Tag noch einen gewaltigen Rekordsprung erfahren hatten, sind seitdem unter die Werte der Vorjahre gefallen.

Vor allem der Verkauf der ground passes, mit denen man den Tag auf der Anlage verbringen und alle Nebenplätze aufsuchen kann, hat gelitten. Und die aufwendig bemalten, kostümierten und in Flaggen eingehüllten Gäste werden nicht mehr nur als lustige, clowneske Attraktion gewürdigt, sondern auch kritisch beäugt. Die - ohnehin grenzwertige - deutsche Anfeuerung "Auf geht's, kämpfen und siegen" wurde am Donnerstagabend auf dem Center Court erstmals mit Shhhs und leisen Pfiffen aufgenommen.

Eine Form der Verunsicherung hat diese Australian Open eingeholt, und das Turnier steht damit sinnbildlich für ein Land, das sich entgegen seiner Lieblingsfloskel Sorgen macht. Die Diskussionen um anti-muslimische oder verwerfliche Dschihad-Parolen haben auch den ethnisch wild zusammengewürfelten fünften Kontinent eingeholt, mit täglich neuen abstoßenden Äußerungen von beiden Seiten. Und die Natur gibt Zeichen, dass sie den Raubbau seiner Bewohner nicht länger duldet. Die Trockenheit führt zu Wassermangel und schweren Schäden in der Landwirtschaft und den Großstädten, in denen die Grundfeste hunderttausender Häuser immer größere Risse in den Grundmauern haben.

Aber all das ist nur ein feuchter Luftzug im Vergleich zu den verheerenden Waldbränden, die in den vergangenen 50 Tagen mehr als eine Million Hektar Land zerstört und verschärfte Debatten über Landflucht ausgelöst haben. In der zweitgrößten australischen Stadt wurde das lange aufgenommen, als handelte es um schlimme Dinge in weiter Ferne. Meistens schien Melbourne resistent gegen die Gefahren.

Kurz vor dem Beginn der Australian Open war zwar vor lauter Rauch von den fernen Feuern die Skyline der Stadt nicht zu sehen; und wenn der Wind ungünstig blies, wehte einem der Geschmack des Rauch in Mund und Nase. Doch erst als Dienstag aufgrund der Feuer in der Hauptstadt des Bundesstaates Victoria der Strom ausfiel und Chaos ausbrach, wird laut über Restriktionen nachgedacht, was Strom- und Wasserverbrauch angeht.

Ein Ereignis unter vielen

Die Australian Open haben in diesen Tagen ihre eigene Hitzediskussion erlebt. Die Situation war im Grunde sehr einfach: Es war zu heiß, um Tennis zu spielen. Man kann nun darüber streiten, wann es unsinnig ist, Sport zu betreiben und wann es gefährlich wird. Die meisten Profis, die heute spielen, finden es unzumutbar, unter tropischen Bedingungen anzutreten. Einige, etwa der frische Tennisrentner Andre Agassi, glauben, dass es zum Tennis gehört, mit jeder Form des Wetters (außer Regen) klarzukommen. Aber was wirklich beängstigte, war die Art, wie das Problem von den Verantwortlichen angegangen wurde: unsicher und inkonsequent, die Spieler kamen in den Gedanken anscheinend nur an zweiter Stelle vor. Die wurschtigen Umgangsformen erinnerten eher an New York als an die gelassene Art der Australier.

In Leserbriefen wurde prompt diskutiert: Hat eine Veranstaltung, die so unsensibel mit ihren Athleten umgeht, all die Aufmerksamkeit und positive Energie verdient? Und mit einem Mal sehen die Australian Open, sonst im Januar unzweifelhafter Höhepunkt im Stadtleben von Melbourne, nur wie ein Ereignis unter vielen aus, und das rund 16 000 Zuschauer fassende Stadion an der Batman Avenue sieht verschwindend klein aus im Schatten der über fünfmal so großen Cricket-Arena direkt dahinter.

Tennis ist plötzlich im Konkurrenzkampf mit den Footy-Spielern von Melbourne Victory, die ihrem Beinamen derzeit alle Ehren machen und erstmals in der Vereinsgeschichte eines australischen Klubs über 50000 Zuschauer bei einem Heimspiel begrüßen durften. Im Crown Casino am Yarra River pokern die Profis um die Aussie Millions. Täglich gibt es hunderte hochgewettete Pferderennen. Und selbst der zwölfwöchige Tiger aus Sumatra, der gleich mal einem Tierpfleger ans Ohr langte, stahl Federer & Co. ein paar Schlagzeilen.

Man wird das Gefühl nicht los, dass im Melbourne Park etwas Außergewöhnliches passieren muss, um die Aufmerksamkeit und die uneingeschränkte Gunst der Besucher zurückzugewinnen. Sorgen sind angebracht. Oder sagt der Australier no mo' no worries?

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