Australian Open in Melbourne:Viereinhalb Stunden Brodeln

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30 Mal hin und her: Selten sahen Melbournes Zuschauer ein derartiges Spektakel wie in der Partie zwischen Gilles Simon und Novak Djokovic. (Foto: Rafiq Maqbool/AP)

Bis zu 30 Ballwechsel für einen Punkt. Im bislang aufregendsten Match dieses Turniers ringt Gilles Simon seinem Bezwinger Novak Djokovic fünf Sätze ab.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Die Durchsage war klar und verständlich, aufgerufen wurden zwei Spieler, sie sollten zum "Players Desk" kommen und sich bereithalten. Die Tür der Umkleidekabine ging auf, heraus schritt Gilles Simon. Er stellte seine Tennistasche ab. Dann tigerte er umher, vor und zurück. Machte ein paar Bewegungen mit dem Arm, als würde er eine Vorhand schlagen. Er schaute in die Leere, sein Blick war konzentriert, ja auf gewisse Weise geheimnisvoll. Gilles Simon, 31, aus Nizza, einer der erfolgreichsten Franzosen seit Jahren, ein sehr eigenwilliger, sehr intelligenter Kerl dazu, er schaute wie ein Panther. Und so spielte er dann. Geschmeidig und ausdauernd und unnachgiebig.

Sein Duell mit Novak Djokovic wurde tatsächlich das beste Match bei diesen Australian Open bislang. Novak Djokovic, der Weltranglisten-Erste aus Serbien, gewann mit 6:3, 6:7 (1), 6:4, 4:6, 6:3. Die 15 000 Zuschauer in der Rod Laver Arena fieberten leidenschaftlich mit, jubelten, klatschten, riefen Anfeuerungen hinunter zu ihrem jeweils bevorzugten Spieler. Simon wurde als Außenseiter hörbar intensiver unterstützt. Es brodelte und köchelte im Grunde 4:32 Stunden lang vor sich hin, während die Sonne immer schöner ins Oval schien. Spiele wie diese sind es, die am Ende hängen bleiben in den Gedächtnissen der Tenniswelt, "epic match" sagen die englischsprachigen Berichterstatter gerne zu solchen Schlachten. Episch war es vielleicht nicht ganz, es war ja nur ein Achtelfinalspiel und kein Halb- oder echtes Finale. Aber das Match kam diesem Ausdruck nahe. Die Auseinandersetzung des Branchenführers Djokovic mit dem Herausforderer auf dem 15. Weltranglistenplatz beinhaltete überdies nebenbei eine spannende deutsche Komponente: zwei Trainer aus Germany duellierten sich auch, im Hintergrund. Wahrscheinlich die zwei besten Trainer, die Deutschland zurzeit hat.

Boris Becker und Jan de Witt.

Becker, 48, muss man nicht lange vorstellen. Dreimaliger Wimbledon-Sieger, ehemals Weltranglisten-Erster, Bauchmensch, Instinkttrainer, Wohnsitz London, ein Mann mit Promifaktor. De Witt, 50, ist in vielen Punkten genau das Gegenteil. Er gewann nicht dreimal Wimbledon, er war nicht mal Profi. Er stammt aus Halle, Westfalen, er schätzt es im Hintergrund zu bleiben und dort Matchpläne auszutüfteln. Mit zig Daten im PC, mit seinem Wissen im Kopf. Er leitet in Halle eine Tennisschule auf höchstem Niveau, den meisten wurde er bekannt, als er kürzlich auch Andrea Petkovic als Klientin übernahm. Petkovic sagt vielen eben etwas. Aber de Witt hat schon zahlreiche andere aus dem Profigeschäft trainiert und besser gemacht. Er gilt als Mastermind. Und deshalb passen er und Simon auch so gut zusammen. Wie Djokovic und Becker auf ihre Weise.

Simon schiebt den Ball flach - Djokovic wird ungeduldig und macht 100 unerzwungene Fehler

Vor dem Match hat de Witt noch gesagt, Gilles habe ein gutes Gefühl, er glaube an sich. Man habe einen klaren Plan. Nach dem Match sagte Gilles Simon: Er verrate nicht den Plan. Aber jeder konnte sehen, wie er Djokovic von Beginn an in einen ausgeglichenen Zweikampf verwickelte. "Er zwingt dich immer zu einem Extra-Schlag", sagte Djokovic. Weil Simon eine Stärke besitzt: Er spielt die Bälle sehr flach übers Netz, stundenlang. Es sieht fast aus, als schiebe er die Bälle auf die andere Seite. Der Gegner kann dann nicht direkt zum Schuss ansetzen, muss sich in Geduld üben und seinen Punktgewinn strategisch aufbauen. Und damit hatte Djokovic, der von seiner dominanten, aggressiv-kontrollierten Spielweise lebt, Probleme. Er machte sage und schreibe 100 unerzwungene Fehler. Das heißt, aus einem normalen Ballwechsel heraus, ohne echte Not. Der Panther gab ihm immer wieder die Chance dazu, einen Fehler zu machen. Das zermürbt.

Wie intensiv das Match war, ließ sich an den Spielzeiten der Sätze ablesen. Der erste endete 6:3, das klingt nicht knapp. 58 Minuten dauerte er aber. Der vierte Satz, 6:4 für Simon, dauerte 60 Minuten. Teilweise flogen die Bälle 30 Mal hin und her, in die Ecken und zurück, und jedesmal, wenn Simon den Punkt machte, schien die Arena akustisch durchzudrehen.

Die Trainer Becker und de Witt gaben dabei ein interessantes Bild ab. Becker wirkte nervös, rutschte öfter auf dem Sitz hin und her, wippte mit dem Oberkörper. Als Djokovic den dritten Satz gewann, sprang er erleichtert auf. Man wusste gar nicht mehr, dass Becker diese explosive Beschleunigungskraft in den Beinen besitzt. Er hat ja leider, der Preis seiner Karriere als Leistungssportler, gesundheitliche Probleme. De Witt saß dagegen meist stoisch da, alleine, in einem weißen Shirt mit der Aufschrift seiner "Breakpoint-Base" in Halle. Immer dann, wenn ihn die Videoleinwand einblendete, sah er aus wie jemand, der etwas genießt. Und das konnte er. Das Mastermind hatte einen guten Plan erstellt.

Simon zwang Djokovic an den Rand einer Niederlage. Am Ende "spielte er besser", sagte Simon, auch sei der Platz mit der Dämmerung langsamer geworden. Das sei Djokovic zupass gekommen. Zehn Grand Slams hat der Serbe aus Belgrad gewonnen, er ist auch in Melbourne der große Favorit. "Es ist frustrierend zu sehen, wie er jedes Jahr besser wird", räumte Simon ein. Aber er sah nicht unglücklich aus. Er hatte gezeigt, dass es Wege gibt, den Weltbesten in die Enge zu treiben. Es fehlte nicht viel. Auch dank de Witt.

© SZ vom 25.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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