Auslosung:Sieben Punkte fehlen

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Dank der Auslosung gibt es in Melbourne schon jetzt Gewinner und Verlierer. Die deutschen Männer hat es zum Großteil hart getroffen.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Das Schöne an Tennisturnieren ist, dass schon nach Gewinnern und Verlierern gefahndet werden kann, obwohl noch kein Erstrunden-Ball gespielt wurde. Die Auslosung sorgt für dieses Urteilfällen. Das Draw, wie es die Protagonisten im englischsprachigen Tennisjargon nennen, wird behandelt wie ein materielles Ding. Wie ein gutes Buch, in das man schaut, das man liest, von dem man sich inspirieren lässt, aus dem man Hoffnung schöpft - oder aber auch deprimiert wird und es schnell zur Seite legt.

Die Vorjahressieger Novak Djokovic (Serbien) und Serena Williams (USA) zogen diesmal in einer unprätentiösen Prozedur auf den Stufen vor dem drittgrößten Stadion, der Margaret Court Arena, die Erstrundenduelle. Und weil im Tennis die Wege nun in einem Baumsystem vorgezeichnet sind, lässt sich auch vortrefflich spekulieren, wer wie weit kommen und auf wen wer auf dem Weg treffen könnte. Für sich selbst losten die beiden Branchenführer Genehmes (Djokovic gegen den jungen Koreaner Hyeon Chung, Williams gegen die Italienerin Camila Giorgi), andere dürften sie heimlich verfluchen. Ein paar Gedankenspiele vorab - aus deutscher Sicht.

Die Frauen haben ganz gute Lose erwischt, die Männer teils unerfreuliche, wenn man erst mal nur auf Runde eins blickt. Die Topspielerinnen Angelique Kerber (gegen die Japanerin Misaki Doi), Andrea Petkovic (Jelisaweta Kulitschkowa aus Russland) und Sabine Lisicki (Petra Cetkovska aus Tschechien) sollten ihre Auftakthürden nehmen. Insgesamt sind zehn deutsche Frauen im Hauptfeld. Auch aussichtsreich: Kerber, die Weltranglisten-Siebte, sollte mindestens die vierte Runde erreichen, ab dann erst wären schwere Gegnerinnen möglich: die Schweizerin Timea Bacsinszky im Achtelfinale und dann im Viertelfinale die Weißrussin Wiktoria Asarenka (Bilanz bisher: 0:6 aus Kerbers Sicht) oder aber die Spanierin Garbiñe Muguruza. Lisicki könnte in der dritten Runde auf Venus Williams aus den USA treffen. Und Petkovic in der dritten Runde auf die Spanierin Carla Suárez Navarro. Keine deutsche Frau stand im Übrigen im Qualifikationsfeld - eine unerfreuliche Nachricht für den Deutschen Tennis-Bund (DTB).

Kohlschreibers Pechserie hält an

Die deutschen Männer hatten immerhin acht Vertreter in der Qualifikation, von denen sich nur Daniel Brands (Deggendorf) und Peter Gojowczyk (Dachau) einen Platz im 128er Tableau erkämpften. Im Einzel-Hauptfeld stehen somit fünf DTB-Aktive. Philipp Kohlschreiber, der beste Deutsche ist als Weltranglisten-34. nur haarscharf jenseits der 32 Plätze für die gesetzten Spieler notiert. Deshalb muss er sich gleich mit dem Top-Ten-Mann Kei Nishikori (Japan) messen. Sollte der gebürtige Augsburger gewinnen, wäre das keine Sensation, aber doch eine Überraschung, etwa so, als würde der FC Augsburg gegen Borussia Dortmund im Fußball gewinnen.

Bitter für Kohlschreiber ist vor allem, dass ihn das verdammte Draw bei den Grand Slams seit einiger Zeit schon im Stich lässt. 2014 verlor er in der dritten Runde gegen Wimbledon- und US-Open-Sieger Murray, wenn auch in einem dramatischen Fünfsatz-Match, das über zwei Tage ging. 2015 musste er in der ersten Runde in Wimbledon gleich gegen Djokovic, den Weltbesten, spielen. Bei den US Open war Roger Federer in der dritten Runde sein Gegner. Nun ist es der Weltranglisten-Siebte Nishikori.

Fünf deutsche Männer im Hauptfeld

Besonders bitter ist, dass Kohlschreiber nur sieben Punkte in der Weltrangliste fehlten, um als einer der besten 32 gesetzt zu werden - so hätte er die besten Gegner mindestens zwei Runden umgehen können. Und diese sieben Punkte hätte er, auch das noch, auf skurrile Weise leicht ernten können, aber damals wusste er das noch nicht, dass es einmal um so wenige Zähler gehen würde. So hat ihm nun der Portugiese João Sousa um lächerliche sechs Punkte den Platz als 32. Gesetzter weggeschnappt; Sousa, das zum Vergleich, spielt gegen den Kasachen Michail Kukuschkin (ATP-63.).

"Wenn er sich nur im Herbst beim Turnier in Paris-Bercy zum Saison-Ende auf den Platz gestellt hätte, wäre das Draw für ihn nun anders", sagt sein Trainer Stephan Fehske in Melbourne, "aber Philipp war angeschlagen und wollte nichts riskieren." Kohlschreiber ist sogar in Paris gewesen und dann erst nach der kurzfristigen Absage abgereist. So nah war er den jetzt fehlenden Punkten gewesen. Hätte er 0:6, 0:6 verloren, hätte er nämlich zehn Punkte als Erstrundenteilnehmer kassiert. Dennoch: Gegen den Japaner traut ihm Fehske trotzdem einiges zu. Weil Nishikori nicht bolzt und schießt, sondern die Bälle lange im Spiel hält. Das liege Kohlschreiber.

Nur die Niederkunft von Murrays Frau kann Alexander Zverev retten

Das große Talent Alexander Zverev fordert den Weltranglisten-Zweiten Andy Murray heraus. Bei allem Lob, das der immer noch erst 18-Jährige seit langem erhält - die größten Chancen hätte Zverev wohl, wenn Murrays hochschwangere Frau Kim schon jetzt die Wehen bekäme; der Schotte will dann sofort abreisen, um bei der Geburt seines ersten Kindes anwesend zu sein. Benjamin Becker sollte zum Start gegen den Israeli Dudi Sela gute Chancen haben, in der zweiten Runde indes wäre wohl Rafael Nadal der Gegner. Was das bedeuten würde, muss man nicht erklären.

Am Samstagabend schließlich wurden Brands und Gojowczyk als erfolgreiche Qualifikanten ins Hauptfeld eingefügt. Brands darf im Duell mit dem 35-jährigen Victor Estrella-Burgos aus der Dominikanischen Republik auf das Erreichen der zweiten Runde hoffen. Gojowczyk hingegen wurde David Ferrer zugeteilt, dem Weltrangliste-Achten aus Spanien. Das Pech im Draw hielt für die deutschen Männer auch ohne Djokovic als Losfee an.

© SZ vom 17.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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