Arzt statt Fußballer:"Ich muss früher aufstehen"

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2016 tauschte Tim Göhlert das Trikot des 1. FC Heidenheim gegen den Arztkittel. (Foto: imago/Eibner)

Mit nur 31 Jahren hat der Heidenheimer Zweitliga-Spieler Tim Göhlert seine Profi-Karriere beendet. Er ist nun Arzt und Familienvater. Ein Rückblick auf sein Doppelleben und seine Erfahrungen.

Interview von Johannes Kirchmeier

Bis Mai war Tim Göhlert Profifußballer, dann hat er aufgehört. Mit 31. Schon während seiner Fußballkarriere hat er ein Medizinstudium absolviert, nun ist er Arzt - und weil er der Fremdbestimmtheit des Profisportlers die Selbstbestimmtheit als Familienvater vorziehen möchte - "eine der schönsten Nebenwirkungen" des Berufswechsels, wie er in besten Arzneideutsch feststellt. Am Mittwoch nahm er sich frei, er feierte den Geburtstag seines Sohnes, als Fußballprofi wäre das undenkbar gewesen. Denn sein ehemaliger Klub, der FC Heidenheim, für den er elf Jahre lang kickte, bereitete sich zu diesem Zeitpunkt auf die Saison vor: Am Sonntag um 15.30 Uhr starten die Heidenheimer in ihre Zweitliga-Saison gegen den FC Erzgebirge Aue. Ohne Göhlert.

SZ: Herr Göhlert, wie verfolgen Sie das erste Heidenheimer Profispiel ohne den Spieler Tim Göhlert?

Göhlert: Ich kann leider nicht ins Stadion, weil ich zeitgleich auch mein erstes Saisonspiel habe.

Als Fußballer? Bleiben Sie doch am Ball?

Ja, so ein bisschen. Ich spiele in der Bezirksliga beim SSV Ulm in der zweiten Mannschaft. Da gibt's keine Anwesenheitspflicht. Aber das erste Spiel würde ich schon ganz gerne mitmachen. Deswegen kann ich Heidenheim dieses Mal leider nicht mitverfolgen. Aber übern Ticker informiere ich mich.

Sie wollten nach Ihrer Karriere also nicht unbedingt den größtmöglichen Abstand zu Ihrer Sportart gewinnen?

Ich habe ja zweieinhalb Monate Abstand gehabt. Und nur in Heidenheim verfolgt, wie es weitergeht. Dafür liegt mir der Verein einfach zu sehr am Herzen. Aber selbst Fußball spiele ich erst wieder seit Anfang August.

Da Sie aber nun kein Profi mehr sind, dürfen Sie ja eine Wette abschließen. Wo landet denn Ihr ehemaliges Team dieses Jahr?

Ich hoffe, auf einem gesicherten Mittelfeldplatz. Es ist generell in der zweiten Liga immer schwer einzuschätzen, da gibt es viele gleichwertige Teams.

Haben Sie Angst um den FC Heidenheim, weil Sie "hoffen"?

Ne, Angst habe ich nicht. Ich glaube, da sind die richtigen Leute an den richtigen Positionen, dass wir keine Angst haben müssen um den Klassenerhalt.

Sie sagen noch immer "wir" im Zusammenhang mit dem FC Heidenheim.

Ja, am Anfang habe ich, glaube ich, gerade noch "sie" gesagt. Aber dabei fühle ich mich komisch ( lacht). Als ich vor einer Woche beim Saisoneröffnungsspiel gegen Offenbach gewesen bin, da bin ich heimgekommen und habe gesagt: "Wir haben so schlecht gespielt." Meine Frau hat dann gesagt: "Wie wir? Du spielst ja gar nicht mehr." Irgendwie fühle ich mich noch verbunden. Es ist schon noch eher "wir" als "die".

Nach elf Jahren beim Verein ist das verständlich. Sie sind in dieser Zeit insgesamt dreimal aufgestiegen, von der Oberliga bis in die zweite Bundesliga. Was war Ihre schönste Aufstiegsfeier?

Ich war eigentlich nie der Typ, der sofort und gerne gefeiert hat. Ich habe es immer im Stillen genossen. Aber klar, es war schon die Heimfahrt von Elversberg 2014, als wir in die zweite Liga aufgestiegen sind.

Was war denn zuerst da: der Arztkittel oder die Fußballschuhe?

Fußball habe ich mit fünf angefangen, also die Fußballschuhe. Aber beruflich wollte ich Arzt werden, das mit dem Fußball ist dann hinterher gekommen.

Mit den Aufstiegen.

Genau. Es hat einfach immer mehr an Priorität zugelegt, und irgendwann konnte ich meinen Lebensunterhalt damit verdienen.

Wie haben Sie es überhaupt geschafft, in Ihrer Zeit neben Aufstiegsfeiern und Pflichtspielen auch noch ein anstrengendes Medizinstudium zu bewältigen?

Es hat halt sonst nichts gegeben in meinem Leben. Da gab es Fußball, und es gab Medizin. Und ringsherum nicht viel: wenig Uni-Partys etwa. Das war der Teil, auf den ich verzichten musste. Auf Trainingseinheiten musste ich aber nie verzichten.

Sie waren vom Charakter her wahrscheinlich schon so ein Typ, der sich ein bisschen mehr Gedanken gemacht hat als andere Spieler.

( lacht) Richtig, richtig. Vor allem als ich jünger war. Die letzten Jahre ging's besser.

Aber es ist ja vielleicht auch nicht schlecht, wenn man ein nachdenklicher Mensch im Profifußball ist.

( schnauft durch) Rückblickend betrachtet: Es bringt dir keine Vorteile. Sonst wären mehr reflektierte Menschen ganz oben, aber da gibt's nicht so viele, wenn ich mich recht entsinne. Also, das ist kein Vorteil.

Waren Sie denn auch ein bisschen ein anderer Typ als Ihre Mitstudenten?

Das glaube ich nicht. Ich bin eher ein anderer Lerntyp gewesen. Ich habe halt nie das Bedürfnis gehabt, in Vorlesungen zu gehen.

Ehrlich?

Ja. In der Zeit, in der Vorlesung war, hab ich halt zu Hause gelernt, statt dass ich zugehört hätte. Bei den Pflichtveranstaltungen bin ich immer gewesen, aber der Vorlesungsweltmeister bin ich nie geworden.

Aber lernen mussten sie ja dann trotzdem für die Prüfungen. Es gibt da immer das Klischee vom Lernen während der Busfahrten...

... das Gerücht gibt's auch bei mir. Aber ich kann mich daran nicht erinnern... damals hatten wir unbequemere Busse, da ist mir meistens schlecht geworden. Aber ab und zu, ja: Ich habe es schon versucht, viel habe ich in der Zeit aber nicht gelernt.

Und bei der Praxisausbildung konnten Sie auch so einfach Beruf und Studium vereinbaren?

Es hat funktioniert. Wir waren damals ja auch noch in der Oberliga und Regionalliga, also noch keine Vollprofis. Da war ich aber natürlich auch nicht der Überstundenkönig im Krankenhaus, denn wenn ich meine Arbeit geschafft hatte, bin ich zum Training.

Haben die Krankenhaus-Verantwortlichen das verstanden?

Ja. Ich habe meine Famulaturen und mein praktisches Jahr im Krankenhaus in Heidenheim gemacht, da waren die Wege kurz: Es ist nur 100 Meter vom Stadion entfernt. Es ist übrigens das Krankenhaus, in dem der Heidenheimer Trainer Frank Schmidt geboren ist, über den man ja immer sagt: "Er ist 100 Meter neben dem Stadion geboren."

Sie hatten ja viel zu tun mit Studium und Fußballprofitum. In der Rückschau: Würden Sie es nochmal als Doppelbelastung machen?

Wenn, dann würde ich sagen: erst Medizinstudium, dann Fußball. Aber das ist in der Praxis ein bisschen schwierig, weil man dann schon so alt ist. Und gerade wenn man - anders als ich - als junger Spieler mit 16, 17 Jahren in ein Nachwuchsleistungszentrum kommt, dann haben die Leute, die dich umgeben, andere Interessen. Ich fände die Ausbildung vor dem Profifußball ratsam, nur es wird wohl selten so passieren.

Ihre eigene Ausbildung geht auch noch etwas weiter, Sie sind seit Februar Facharzt in Ausbildung. Gefällt Ihnen die Arbeit?

Ja, richtig gut im Moment. Ich hoffe, das bleibt auch so.

Wie sieht Ihr Tagesablauf jetzt aus?

Früh aufstehen - das ist der größte Unterschied zum Fußball vorher. Ich muss zwischen sechs und halb sieben aufstehen, und zwei Tage in der Woche geht es dann auch abends bis sechs oder sieben. Die anderen sind ein bisschen kürzer. Dafür habe ich am Wochenende jetzt frei.

War das Fußballerleben vorher lockerer?

Lockerer ist das falsche Wort. Klar, ich muss jetzt stundenmäßig mehr arbeiten, aber ich habe nicht mehr das Gefühl, nicht selbst bestimmen zu können, wann ich arbeite. Ein Trainingsplan geht maximal nur zwei Wochen, einen Termin in acht Wochen konnte ich also nicht ausmachen. Jetzt weiß ich, dass ich ihn vermutlich erfüllen werde. Das ist eine Sache, die man beim Profifußball immer gerne vergisst.

Sie sind nun Arbeitsmediziner in Heidenheim, wollen die Praxis später einmal übernehmen. Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?

Wir machen Vorsorge, Gesundheitsprävention, betreuen Firmen in Heidenheim und in der Umgebung. Dann machen wir auch Betriebsbegehungen und sorgen für die Gesundheit der Mitarbeiter. Patienten hat man selten: Bei den Patienten muss man dann schauen, wie sie wieder arbeiten können, wie man sie wieder ins Berufsleben integriert.

Da liegt ja eine Frage nahe: Was würden Sie als Arbeitsmediziner am Arbeitsplatz zweite Bundesliga verbessern?

Ich glaube, beim Fußball braucht man nichts verbessern, zumindest in Sachen Prävention in Heidenheim auf jeden Fall. Ich weiß nicht, wie es woanders ist.

Beim Thema Prävention fällt auf: Verletzt waren Sie auffallend wenig in den vergangenen letzten Jahren. Oder hatte das eher mit Glück zu tun?

Das hat eher mit dem Alter zu tun. Ich bin der Meinung, dass man sich im Alter weniger verletzt. Ich war in jungen Jahren oft muskulär verletzt, das hat mit dem Alter rapide abgenommen. Ich glaube, man kennt seinen Körper dann einfach besser und weiß, wie man mit bestimmten Situationen umgeht. So kann man die meisten Verletzungen vermeiden.

Ihre einzige richtig schwere Verletzung war ein Schienbeinbruch 2010. Haben Sie sich damals als Medizinstudent in die Behandlung eingemischt?

Ich hab von Anfang an gewusst, dass es durch ist, auch wenn mir die Ärzte versucht haben, etwas anderes zu erzählen, das ist das Einzige.

Ach, die haben Ihnen was anderes erzählt...

Ja, im Krankenhaus haben sie gesagt, dass nichts gebrochen ist. Dann habe ich gesagt: "Aber ich glaub' schon." Auf dem Röntgenbild habe ich dann leider Recht bekommen.

© SZ vom 07.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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