Amateure:Wo Roger Schmidt mit Wirtin Lore schwätzt

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Erste Runde in Hauenstein: Bayer Leverkusen mit seinem Trainer Roger Schmidt. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Die 4000-Seelen-Gemeinde Hauenstein ist zurück auf der großen Fußballbühne - wie einst in den Neunzigern.

Von Tobias Schächter, Hauenstein

Jürgen Kohler kann nicht dabei sein, wenn der SC Hauenstein an diesem Sonntag um 15.30 Uhr das größte Spiel seiner Vereinsgeschichte bestreiten wird. Der Weltmeister von 1990 führte den Oberligisten aus der Westpfalz als Trainer in der vergangenen Saison zum Pokalsieg im Südwesten, zur Belohnung darf der SCH gegen Bayer Leverkusen antreten. Gespielt wird in der nahen Kreisstadt Pirmasens, vielleicht 5000 Zuschauer werden gegen den Champions-League-Klub erwartet, sogar Vip-Karten für 75 Euro werden verkauft und neue Fan-Schals aufgelegt. Auf dem kleinen Sportplatz im rund 4000 Einwohner kleinen Dorf wäre so ein Massenauflauf nicht zu meistern gewesen.

Kohler aber wird fehlen: Nach nur einem Jahr verließ er "Häschde" - so wird Hauenstein im Dialekt ausgesprochen - wieder. Die 240 Kilometer lange Fahrt von seinem Wohnort nahe Bonn zum Training in die Pfalz war ihm einfach zu stressig. Für ein Jahr nahm der mittlerweile 50-Jährige die irre Anfahrt in Kauf, weil ihn der Präsident Carl-August Seibel gebeten hatte. Für dessen Schuhunternehmen war der 105-malige Nationalspieler ohnehin schon ebenso als Repräsentant tätig wie die sehr blonde TV-Figur Daniela Katzenberger. Hauenstein lebte und lebt vom Schuh, an Wochenenden kommen die Menschen aus der ganzen Rheinschiene, um im Pfälzer Wald Schuhe zu kaufen. Und hier steht das deutsche Schuhmuseum, in dem unter anderem auch die Fußballschuhe der Weltmeister Kohler und Miroslav Klose zu bestaunen sind.

Über Kohler erzählen sie nur Gutes

Kohler aber trainiert nun den VfL Alfter in der Mittelrheinliga, der am Sonntag zeitgleich mit dem Pokalspiel der Hauensteiner in die Saison startet. Über Kohler sagen die Leute in "Häschde" nur Gutes, er hat die Stammgäste im Sportheim bei der ewigen Wirtin Lore nach dem Training schließlich immer freundlich begrüßt und mit ihnen ein Schwätzchen gehalten. Das wird geschätzt hier. Und Kohler brachte den SCH zurück auf die überregionale Fußball-Landkarte, wo der Klub ja schon einmal - fast vergessen - auf sich aufmerksam machte. Mitte der neunziger Jahre agierte "Häschde" drei Jahre lang in der dritten Liga. In der Saison 1994/95 fasste der DFB die 16 Oberligen in vier dritte Ligen zusammen, Hauenstein qualifizierte sich für den Wettbewerb West/Südwest und galt vor dem Beginn des Abenteuers im Profifußball bei all den millionenschweren Traditionsteams aus dem Ruhrpott als der Fußballzwerg der Fußballzwerge. Zum ersten Auswärtsspiel im Stadion an der Hafenstraße empfing die Stadionzeitung von Rot-Weiss Essen die Namenlosen auf dem Titel mit der ebenso optimistischen wie herablassenden Forderung: "Haut sie rein gegen Hauenstein".

Aber die Altstars Jürgen Wegmann und Christian Schreier mussten sich nach dem 2:2 gegen den Underdog Beschimpfungen ihrer 10 000 Fans anhören, während die Dorfkicker aus "Häschde" Autogramme schreiben mussten und beim Bier für das Schmettern der Vereinshymne "Blau und Weiß" bewundert wurden. Auch der aktuelle Leverkusener Trainer Roger Schmidt weiß schon länger, wo Hauenstein liegt. Als lauf- und kopfballstarker Mittelfeldspieler in Paderborn und Verl erlitt Schmidt damals schmerzliche Niederlagen gegen die Pfälzer.

Wo Middendorp "Herr Middendorf" genannt wurde

Nur gegen den späteren Aufsteiger Arminia Bielefeld gab es in der ersten Saison zwei klare Niederlagen. Vor dem Auswärtskick in Ostwestfalen" schrieb die Rheinpfalz: "SCH gegen 5 Millionen Mark." Für das ligaweit belächelte Hauensteiner Budget von 550 000 Mark sorgte der Campingplatz-Besitzer und SCH-Manager Jürgen Lejeune. Er ist auch heute noch dabei. Die Bielefelder Truppe der ehemaligen Bundesligastars Thomas von Heesen, Fritz Walter oder Armin Eck gewann auf der Alm 4:1 - aber dass SCH-Trainer Wendelin Guster den Kollegen Ernst Middendorp "Herr Middendorf" nannte, gefiel diesem überhaupt nicht.

Seit dem Drittliga-Abstieg 1998 spielt "Häschde" in der Oberliga Südwest, die mittlerweile nur noch fünftklassig ist. Trotz höherem finanziellen Aufwand als in den Neunzigern kommt der Dortfklub nicht aus der Fünftklassigkeit heraus, auch Jürgen Kohler scheiterte in den Aufstiegsspielen für die viertklassige Regionalliga.

Der Saisonstart mit neuem Trainer ging mit zwei Niederlagen daneben. Und nun fürchten sich die Häschdner ein bisschen davor, dass sich 21 Jahre später gegen Leverkusen jene Forderung erfüllen könnte, mit der sie einst in Essen im vermeintlich großen Fußball empfangen wurden: "Haut sie rein gegen Hauenstein." Trainer Roger Schmidt wird dies von seinen Leverkusenern sicher verlangen.

© SZ vom 21.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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