Alpin-WM in St.Moritz:System Rennpferd

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Der Deutsche Skiverband reist mit eher vagen Aussichten zur alpinen Weltmeisterschaft nach St.Moritz. Das Team setzt auf seine erfahrenen, aber auch durch manche Verletzungen geschwächten Kräfte: Felix Neureuther und Viktoria Rebensburg.

Von Johannes Knuth, St. Moritz

Der Gedanke ist ein bisschen gewagt, aber Felix Neureuther ist sich sicher: Zwei Goldmedaillen sind möglich, vielleicht sogar drei. Klar, das Material muss passen, die Tagesform. Aber wenn er an die Leistungen der vergangenen Wochen anknüpfe, dann könne sein Dauerrivale Marcel Hirscher im Slalom, Riesenslalom und mit Österreichs Auswahl im Team-Event gewinnen, "absolut", sagt er. Vielleicht geht ja schon was im Super-G am Mittwoch. Im Technik-Ressort sei Hirscher ohnehin "das Maß aller Dinge", weiß Neureuther, neben Norwegens Henrik Kristoffersen (Slalom) und Frankreichs Alexis Pinturault (Riesenslalom). Neureuther weiß also auch, von wem sie die Goldmedaillen eher nicht erwarten: von ihm.

Auf Felix Neureuther, 32, werden beim Deutschen Skiverband wieder viele schauen, wenn ab Montag die WM in St. Moritz anbricht. Wenn man in den vergangenen Jahren Geschichten erzählte, handelten sie meistens von ihm, von Weltcup-Siegen, Spitzenplätzen, von WM-Bronze vor zwei Jahren hinter dem verletzten Fritz Dopfer. "System Felix", hatte Sportdirektor Wolfgang Maier das einmal genannt, weil Neureuther nicht nur sich in der Spitze hielt, sondern andere dorthin mitzog. Wobei er im nervösen Hochleistungsbetrieb stets bescheiden blieb und nie nach Aufmerksamkeit suchte - was ihm noch mehr Zuneigung und Aufmerksamkeit brachte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Nur die sportlichen Koordinaten haben sich verschoben. Vor der WM 2013 redeten alle vom Duell Hirscher gegen Neureuther, 2015 hatte Neureuther lange Zeit die Favoritenrolle. Er ist noch immer für Medaillen in allen Farben zu haben, nach einem Aufbaujahr, in dem er die Rückenprobleme weitgehend behob. Aber Neureuther weiß auch: "Es ist eine bisschen andere Situation als bei den Weltmeisterschaften davor."

Es ist eine Kann-vielleicht-sein-oder-auch-nicht-WM für den DSV. Kann sein, dass Neureuther seine Knieschmerzen und Set-up-Probleme noch abschüttelt, die sich durch manch trainingsarmen Winter angestaut hatten. Kann sein, dass Viktoria Rebensburg ihr Formtief ausgestanden hat und beim Höhepunkt mal wieder aufs Podest klettert, vielleicht schon im Super-G am Dienstag. Vielleicht stößt sogar Stefan Luitz aufs Treppchen vor, wie zuletzt in Garmisch-Partenkirchen. Und Linus Straßer fährt mit dem Adrenalinschub von seinem Sieg im Parallelslalom von Stockholm nach St. Moritz, wobei sich daraus keine Medaillenhoffnungen für Slalom oder Riesenslalom ableiten lassen. Man reise mit einem "gewissen Grundoptimismus" an, sagt Sportdirektor Maier, aber er weiß halt auch: Kann sein, dass sie am Ende Vierte, Fünfte und Sechste werden.

Drei Medaillen hat sich Maier vorgenommen, so viele wie vor zwei Jahren in Beaver Creek: eine bei Männern, Frauen und im Team. Es ist kein gewagtes Ziel, aber ein wenig zerbrechlich ist es schon, es ist ja ein kleiner deutscher Kreis in einem Meer voller Medaillenbewerber: Neureuther, Rebensburg, vielleicht Luitz. Und sonst?

Die Geschichten von Spitzenplätzen handelten im DSV früher oft von den Frauen, aber dieses Verhältnis hat sich längst verschoben. Sechs Frauen hat der DSV für St. Moritz eingeplant, sieben Männer. Das Ressort der Schnellfahrer, bis vor vier Jahren chronisch unterbesetzt, ist dank der Aufbauhilfe von Cheftrainer Mathias Berthold und Christian Schwaiger so nah an die Weltspitze gerückt, dass Podestbesuche kein völlig verwegener Gedanke mehr sind. Andreas Sander und Josef Ferstl reisen diesmal mit den Referenzen von je einem fünften Platz im Super-G an, dazu kommt der junge Thomas Dreßen. Und die Frauen? Tja. Viktoria Rebensburg gibt auch im dritten Winter nach Maria Höfl-Rieschs Rückzug die Alleinunterhalterin in der Weltspitze. Sie haben manches umgestellt, Trainingsgruppen verschmolzen, um die Jüngeren einer Mitgliedschaft in der Spitze näherzubringen. Aber einen zarten Aufschwung erkennt man derzeit nur im Slalom, wo Christina Geiger und Lena Dürr sich etwas aus ihrer jahrelangen Stagnation befreit haben. Größere Hoffnungen machen derzeit eher die Jüngeren, Marina Wallner (Slalom) oder Kira Weidle (Speed), die sie auch ohne erfüllte Norm in die WM-Reisegruppe eingegliedert haben, zum Lernen.

Erfolg und Misserfolg haben sich im Deutschen Skiverband in diesem Winter oft verlässlich abgewechselt, andererseits, die Ausgangslage vor vergangenen Leistungsmessen war oft ähnlich. Neureuther und Rebensburg beschafften da meistens ihre Medaillen, auch ein Grund, warum Maier sie respektvoll "Rennpferde" getauft hat. Rebensburg suchte zuletzt vor der WM 2015 monatelang nach dem richtigen Setup, sie gewann dann Silber im Riesenslalom, auf ähnlichem Schnee wie in St. Moritz. Kann also sein, dass auch diesmal wieder alles gut wird.

© SZ vom 06.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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