Alonso und McLaren:Der große Graben

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Formel-1-Weltmeister Fernando Alonso gibt sich in Istanbul keine Mühe, die Beziehung zu seinem Team McLaren-Mercedes zu retten.

René Hofmann

Der Große Preis der Türkei war Fernando Alonsos hundertster Formel-1-Start. Am Tag vor dem Rennen bekam er dafür von seinem Team ein Auto geschenkt - die 25 Zentimeter lange Kopie eines der Silberpfeile, mit denen in den fünfziger Jahren Juan Manuel Fangio und Stirling Moss um die Wette und zu Siegen fuhren. Die Namen der alten Meister waren auf der Unterseite des Wagens eingraviert. Alonso bekam das Modell vor der versammelten Formel-1-Presse überreicht. Mehr Aufmerksamkeit kann einem Sportler kaum zukommen.

Fernando Alonso: keine Lust mehr auf McLaren? (Foto: Foto: dpa)

Sein Chef, McLaren-Miteigentümer Ron Dennis, sagte bei der Gelegenheit in Anspielung auf die vielen Turbulenzen, die es in den vergangenen fünf Monaten in dem Rennstall gegeben hat: ,,Hier, etwas Schweres zum Werfen.'' Dennis lachte dabei. Alonso nicht. Artig bedankte er sich für das Präsent. Aber an seinen unbeteiligt wirkenden Gesichtszügen war abzulesen, was ihm derlei Symbolismus bedeutet: wenig.

Fernando Alonso hat zwei Formel-1-Titel gewonnen. Er hat Michael Schumacher bezwungen, der lange als unbezwingbar galt. Er hat den Deutschen und seine stolze italienische Scuderia im Renault niedergerungen. Das französische Team ist unter den Formel-1-Rennställen ungefähr das, was Ikea unter den Möbelhäusern ist: Eine große Marke, zuverlässig und pfiffig, aber auch irgendwie billig und kurzlebig.

Fernando Alonso hat gleich zweimal hintereinander mit ihr triumphiert. Anschließend zog er um. Zu McLaren. Ikea-Möbel gibt es dort nirgends. Im Motorhome des Teams schimmern ausschließlich edelste Materialien. In der futuristischen Fabrik des Rennstalls in Woking auch. Eröffnet hat den Prachtbau die englische Königin. McLaren hat alles, was dem Regenten der Formel 1 gebührt: einen Palast, ein Jagdschloss, Tradition. Wahrscheinlich zog es Fernando Alonso genau deshalb dorthin. Und wahrscheinlich fühlt er sich dort deshalb im Moment auch so unwohl.

Antrieb eines Unterschätzten

Jeder Mensch hat ein Muster, nach dem er gestrickt ist. Eine Feder, die ihn antreibt - oder auch nicht. Bei Michael Schumacher war es der unbändige Ehrgeiz, der Beste sein zu wollen, aber auch das tief verwurzelte Bedürfnis, dass ihm bloß niemand vorwerfen dürfe, er habe nicht alles versucht. Nicht sein Talent, seine Rücksichtslosigkeit oder Glück brachten ihm sieben Titel. Im Grunde war es seine Herkunft. Seine Eltern waren arm gewesen. Sie hatten nicht das Geld, ihrem Sohn eine Motorsport-Karriere zu ermöglichen. Gönner sprangen ein. Sie wollte Schumacher nicht enttäuschen, das prägte ihn. Seinen Bruder prägte eine andere Erfahrung. Als er mit dem Sport begann, war der Ältere schon zu Ruhm und Geld gekommen. Für Ralf Schumacher war es immer selbstverständlich, das Beste zu bekommen. Er brauchte sich nie danach strecken. Und Fernando Alonso? Was prägte ihn?

Über die Familie des 26-Jährigen aus Oviedo im Norden Spaniens ist wenig bekannt. Der Vater war Sprengmeister, aber über ihn spricht Alonso selten. Wenn er etwas von zu Hause erzählt, dann über die Großmutter. Sie muss wichtig für ihn gewesen sein. In die glitzernde Formel-1-Welt aber hat er sie nie eingeführt. Dort agiert Alonso selbständig. So selbständig, dass es schon wieder auffällt. Mit 24 Jahren wurde er der bisher jüngste Weltmeister. Den Titel sicherte er sich im Herbst 2005 beim Rennen in São Paulo, wo die Formel-1-Begeisterung immer besonders hohe Wellen schlägt. Mitten in all dem Trubel, umringt von Schulterklopfern und im Lärm der Pressluftfanfaren sagte er damals als erstes einen bemerkenswerten Satz: Es gebe sehr wenige Menschen, bei denen er sich in diesem Moment bedanken müsse. Der Trotz und die Verbitterung, die daraus sprachen, gingen in all der Freude unter. Doch sie tauchten kurz darauf wieder auf: Im Winter, als Alonso bekannt gab Renault zu verlassen und Flavio Briatore verstieß, der ihn auch als persönlicher Manager zum Weltmeister geformt hatte.

Dankbarkeit, Loyalität, das Gefühl, Förderer nicht enttäuschen zu dürfen - das sind keine Federn, die Alonso treiben. Sein Muster ist ein anderes. Im vergangenen Jahr bekam das auch sein Teamkollege Giancarlo Fisichella zu spüren. Und zwar beim Großen Preis von Japan, dem vorletzten Rennen der Saison. Alonso und Schumacher hatten beide 116 Punkte, der WM-Kampf hatte sich allein auf dieses Duell zugespitzt. In der Pressekonferenz vor dem Grand Prix bezichtigte Alonso Fisichella vor Dutzenden Kameras, ihn zu wenig unterstützt zu haben. Der Vorwurf war an den Haaren herbeigezogen, er kam aus dem Nichts, verfehlte aber seine Wirkung nicht: Es gab zwar ein kurzes Donnerwetter im Team, aber bei den entscheidenden Wettfahrten konnte Alonso sicher sein, dass er garantiert nicht für jeden ersichtlich benachteiligt werden würde. Wer mag, kann das clever nennen. Oder rücksichtslos. Oder weinerlich. In jedem Fall aber ist es ein Muster. Ein Muster, das auch jetzt wieder deutlich wird.

Am Wochenende hat Fernando Alonso sich erneut beklagt. Er habe geholfen, den McLaren um eine halbe Sekunde zu beschleunigen, und dafür vom Team nichts zurückbekommen, hat er gesagt - einen Tag, nachdem der Rennstall sich zu einer sechseinhalbstündigen Klausur eingeschlossen und Frieden verabredet hatte. Nach dem Rennen, in dem er mit viel Glück Dritter wurde, ließ er sich von Teamchef Ron Dennis nur widerwillig gratulieren und lobte demonstrativ die siegreichen Wagen von Ferrari. Derlei Chuzpe deutet in der Regel darauf hin, dass einer seinen Arbeitgeber vor Ablauf der verabredeten Zeit verlassen möchte. Das aber würde auch wenig ändern. Fernando Alonso wird sich immer zu wenig geschätzt fühlen. Überall. Das ist sein Muster. Das ist die Feder, die ihn treibt.

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