Alemannia Aachen:Ganz viel Willi

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479 Spiele hat der Aachener Willi Landgraf in der zweiten Bundesliga hinter sich - Morgen kommt noch eins dazu. Zum Rekordjubiläum gibt's mit Sicherheit eins: Pommes.

Von Bernd Müllender

Der Aachener Landgraf schafft heute in Erfurt einen einsamen Rekord: 480 Zweitligaspiele für den Kartoffel-Connaisseur Aachen - Es gibt Momente, da ist Willi Willi. Und sonst gar nichts.

Topfigur trotz Pommes mit Doppelmajo und Soße, "dat dat so schön durcheinanderläuft": Willi Landgraf von Alemannia Aachen. (Foto: Foto: ddp)

Beim ersten Uefa-Cup-Auftritt der Alemannia, neulich in Island, war Wilfried Landgraf besonders viel Willi: Langer Sprint über rechts, genaue Flanke mit allerletzter Kraft - und während er kopfüber in die Werbebande von Icelandair krachte, spitzelte Erik Meijer zum 3:0 ein.

Wild verzückt über seine tolle Tat raste Landgraf los, hüpfte herum, sprang umarmend an einem Mitspieler nach dem anderen hoch - bis er plötzlich auf den Schiedsrichter zurennt; er zögert, stutzt und dreht im letzten Augenblick ab.

"Da war mir erst aufgefallen", sagte er, "der is' ja gar nicht von uns." Am liebsten wäre Landgraf noch ewig weitergelaufen vor Glück. "Aber dann is' mir eingefallen, dass Island ja 'ne Insel ist."

Und mit dem Referee aus Wales habe er noch gesprochen: "War 'n ganz netten Kerl. So wat hatte der noch nich' erlebt, dat einer auf den draufspringen will."

Kultfigur, Kampfschwein, Unikum, Frohnatur, kleinster Rasenpflug der Liga, grundehrlicher Arbeiter, was für 'ne Type. Willi Landgraf - 36 Jahre, 1,66 Meter kurz, Schuhgröße 39 - hat fast schon so viele derb-freundliche Attribute gesammelt wie Einsätze.

Heute läuft Aachens Rechtsverteidiger in Erfurt zum 480. Zweitligaspiel auf - das ist ein neuer deutscher Rekord. Warum er bislang nie Bundesliga gespielt hat? "Um ehrlich zu sein", sagt Willi Landgraf ernst, "ich hatte nie ein Angebot."

"Willliiiiii", seit 1999 in Aachen, ist geborener Abwehrspieler. Kompromisslos macht er seinen Job: rennen, abrennen, ackern, grätschen, Ball erobern, schnörkellos abspielen, den Jubel der Fans genießen, ein kleines Grinsen vielleicht - und bereit sein für die nächste Tat.

Ein Willi Lippens der Verteidigungskunst. "Ich bin für die groben Sachen zuständig und kein Virtuose am Ball", definiert der gelernte Kfz-Mechaniker, der nie einen Berater hatte ("Dat kann ich alles selbst").

Trainer Dieter Hecking bescheinigt ihm einen "tadellosen Charakter" und "ein bisschen verrückt" zu sein.

Am Sonntag gegen Saarbrücken (3:1), als er den Rekord einstellte, war das Angriffsspiel in den letzten zehn Minuten voll auf "den weltbesten Schießer" (Landgraf, der Selbstironist) abgestellt. Zweimal blockten die Saarbrücker Spielverderber Landgrafs bemühte Versuche ab.

Bei der Ehrenrunde aber schenkten ihm selbst die Fans von der Saar prasselnden Applaus. Landgraf ist mittlerweile ein Synonym für Liga zwei, ihr Markenzeichen. Respekt erntet er überall.

Und wenn Alemannia derzeit "die Übermannschaft der Zweiten Liga" ist (Saarbrückens Trainer Ehrmanntraut), dann ist Landgraf der Überspieler. Selbst aus Köln kommen anerkennende Worte. "Wenn ich den nur seh", sagt FC-Haudegen Alexander Voigt, "muss ich immer schon lachen."

Und der Stadt-Anzeiger schrieb nach dem tollen 1:0 im Uefa-Cup gegen Lille: "Ebenfalls stark: der unverwüstliche Willi Landgraf, dessen weißes Dress schon nach dem Aufwärmen dreckiger war als das Trikot seines Gegenspielers nach dem Schlusspfiff."

Noch immer lebt der rotwangige Mann in seiner Heimat Bottrop: "Ich muss die Schornsteine sehen", sagt er. Landgraf ist der letzte aktive Zeitzeuge einer Ära, in der Fußball noch wie Fußball war.

Großartig sind seine unzähligen Spontankommentare, weniger gelungen inszenierte Sätze wie "Eine Grätsche am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen", mit denen er für das DSF zuletzt den Kasper gab ("Willis Weisheiten").

Alles aber macht er nicht mit. Als die Fans am Sonntag im Nachspieljubel skandierten: "Willi auf den Zaun!", blieb Landgraf, wo er hingehört: aufm Platz. "Dat tut man nich'", beschied er, "sonst krieg ich nachträglich noch 'ne gelbe Karte."

Willi, erzähl mich die Karriere: Überall war der ewige Zweitligakicker Liebling der Fans - in Gütersloh, Homburg, bei Rot-Weiß Essen sowieso, wo 1987 die Karriere begann.

Landgraf hatte eine Frisur, für die sich Jahre später noch jeder Vokuhila-Fan aus dem Osten geschämt hätte. Seine Philosophie: "Auch inne ernste Situation immer schön locker bleiben und nie verkrampfen."

Auf den Rekord sei er "schon ein bisschen stolz, aber ich bin auch froh, wenn ich dat hinter mir habe." So viele Ehrungen, Glück- und Interviewwünsche. Die kann man nicht einfach weggrätschen.

"Man sollte Dich in Nutella gießen", schrieb ihm ein Fan jetzt. Mittwoch Abend, nach Abpfiff, will Landgraf "richtig einen springen lassen", er ahnt: "Pommes reicht da nich'."

Pommes übrigens ("Könnt ich jeden Tach essen"), weiß der Kartoffel-Connaisseur, "dürfen nich' zu weich sein, am liebsten mit Doppelmajo und Soße, dat dat so schön durcheinanderläuft, un' wenn möchlich mit 'ner Doppelcurrywurst dazu."

Gut, dass Ewald Lienen nie sein Trainer war. Zur Hochzeit bekam Willi einst von seinen Homburger Mitspielern Pommes-Gutscheine über 400 Mark geschenkt. "Dat war sensationell."

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