Alberto Contador:Gelb wie die Sonne

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Kein Wort des Zweifels: Spaniens Medien und Politiker bejubeln ihren fragwürdigen Tour-Sieger Alberto Contador.

Javier Cáceres, Madrid

Geblendet von dem goldenen Maillot, das Alberto Contador, A. C., am Sonntag vor dem Triumphbogen in Paris überstreifen durfte, verspürte Jaime Lissavetzky neue Lust auf noch mehr sonnengelbe Jerseys. Der Staatssekretär für Sport war eigens aus Madrid angereist, um sich selbst ein wenig in Contadors gelbem Trikot zu sonnen, klar, und es war ihm ein Bedürfnis, zu hinterlassen, dass er nicht ruhen wolle, ehe auch Oscar Pereiro nachträglich zum Sieger der Tour 2006 erklärt wird. Die Verantwortlichen der Tour der France, so sagte es Lissavetzky der Zeitung El Periódico de Catalunya, habe er aufgefordert, die Verkündung von Pereiro als Triumphator nicht noch länger hinauszuzögern; er war ja vergangenes Jahr Zweiter hinter dem Doping-Sünder Floyd Landis aus den USA gewesen und fühlt sich daher legitimiert, das zurzeit besitzerlose Jersey nachträglich einzufordern. Sollte dies geschehen, so wäre Alberto Contador, A. C., nicht der fünfte, sondern der sechste spanische Toursieger nach Federico Martín Bahamontes (1959), dem bereits verstorbenen Luis Ocaña (1973), Pedro "Perico" Delgado (1988) sowie Miguel Indurain (1991-1995). Und Spanien zöge im Ranking der meisten Toursiege nach Ländern mit Frankreich, Belgien und den USA gleich. ¿Viva España? ¡Viva!

Sechs Spanier unter den ersten zehn, zehn unter den ersten zwanzig, einundzwanzig unter den ersten 50 - doch ein Wort des Zweifels fand sich nicht, als im Morgengrauen des Montags die Zeitungen in den Druck gegangen waren. Der staatliche Fernsehsender TVE ergötzte sich an den Einschaltquoten, die umso stupender wurden, je näher das Ende der Tour rückte, bis sie schließlich explodierten, als Contador "das gelbe Trikot auf den Kopf fiel", wie die Zeitung El País dieser Tage bemerkte, Asterix und dessen Furcht vor dem herabstürzenden Himmel paraphrasierend.

"Mehr denn je breitet sich die Theorie aus, dass derjenige, der schneller klettert als der andere, gedopt ist. Man tötet den Champion. Man verurteilt die Ausnahme'', schrieb das Blatt mit erkennbarer Trübsal. Aber steht Contador nicht als A.C. auf den Listen des Eufemiano Fuentes, dem Dopingarzt aus Las Palmas de Gran Canaria? War er nicht auch in die Operación Puerto verwickelt, die Antidopingrazzia der spanischen Polizei, die nun zu versanden droht, weil Untersuchungsrichter Antonio Serrano im März die Ermittlungen einstellte? Papperlapapp, antwortete Sportstaatssekretär Lissavetzky, ungerecht, ungerechtfertigt und unverhältnismäßig seien die Anwürfe, und überhaupt: "Contador hat mir die größte Freude bereitet, seit ich im Amt bin, das einzige, was mir noch fehlt, um die persönliche Befriedigung zu komplettieren, ist ein Sieg von Rafael Nadal in Wimbledon und bei der Fußball-WM."

In seinen Chor stimmten so ziemlich alle spanischen Medien ein, in einer fiebrilen Begeisterung, die der Stimmung in Deutschland bei der WM 2006 durchaus nahe kam: "Ein Sieger mit sauberem Blick und leichtem Antritt", nannte El País Alberto Contador, "Chapeau", titelte El Mundo Deportivo, "Legende", schmachtete wiederum das Sportblatt Marca. Am niedrigsten war noch die Temperatur bei Alfredo Relaño, dem Chefredakteur der Sportzeitung As, er pries den Kampf der Tour gegen das Doping, belehrte die Leser, dass in Frankreich dieser Kampf länger und seriöser bekämpft wird als anderswo (und damit als in Spanien) - und brachte es sogar fertig, Contador nicht zu erwähnen.

Mit keiner Silbe. Beredtes Schweigen? Womöglich. Denn andererseits feierte auch sein Blatt A. C. aus der Region Madrid als "Champion der Hoffnung", als den Repräsentanten des "Beginns einer neuen Ära". So ein Blatt will ja auch verkauft sein. Zumal dann, wenn der Held aus einem Ort nahe der Hauptstadt kommt, aus Pinto, um genau zu sein, wo Tausende dem public viewing frönten. Und wenn seine Geschichte voller tragischer Episoden ist, wie dem Sturz, der ihn vor einigen Jahren fast ins Jenseits beförderte, oder rettete, je nachdem: Die Ärzte stellten im Krankenhaus fest, dass er mit einer ererbten, lebensgefährlichen Gefäßerweiterung im Gehirn lebte. Sein Bruder Raúl ist aufgrund einer Hirnlähmung an den Rollstuhl gefesselt.

Es ist ein seltsames Amalgam aus Chauvinismus, Trotz, Bewunderung und dem Irrglauben, dass der zeitnächste Dopingfall der allerallerletzte sein würde. Trotz? Ja, Trotz, denn insbesondere von den Franzosen wähnen sich die Spanier jedes Jahr aufs Neue verfolgt, sei es, wenn Gerüchte über Doping im Tennis auftauchen oder eben jetzt bei der Tour. Seit 32 Jahren würden die Franzosen darauf warten, einen eigenen Toursieger zu präsentieren - kann es da noch jemanden wundern, dass auf die Spanier eingeprügelt wird? Dass A.C. unter Verdacht stehe, sei nicht indizienbedingt, findet Marca, sondern "der Preis, den jeder Toursieger zahlen muss, außer natürlich, er ist Franzose". Die Älteren wollen sich erinnern, dass die Begeisterung bei den vier vorangegangenen Siegern größer war als jetzt bei A. C. Vielleicht ist das ja ein Zeichen, wenn auch nur ein kleines.

© SZ vom 31.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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