Achtelfinal-Qualifikationen:Gijón droht

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Wie viele Bälle müssen ins Tor? In den letzten Gruppenpartien wird wieder ein Treffer mehr oder weniger übers Weiterkommen von Teams entscheiden. Australiens Coach Bert van Marwijk muss besonders viel rechnen. (Foto: John Sibley/Reuters)

In den meisten Gruppen wird die Versetzung zum Rechenspiel - Australien könnte dabei zum Opfer eines französisch-dänischen Paktes werden.

Von Maik Rosner, Moskau

Das Kalkulieren hat längst begonnen, doch so richtig gehen die Rechenspiele erst jetzt los. In der Gruppe A stand ja schon vor dem abschließenden dritten Spieltag fest, dass Gastgeber Russland und Uruguay ins Achtelfinale einziehen, nur die Plätze eins uns zwei galt es am Montagabend auszuspielen. Auch in der Gruppe B mit den punkt- und torgleich führenden Spaniern und Portugiesen war die Lage vor der ebenfalls am Montag ausgetragenen letzten Runde vergleichsweise übersichtlich. Doch spätestens am Dienstag, wenn aus mehreren Bewerbern in den Gruppen C (Dänemark oder Australien) und D (Nigeria, Island oder Argentinien) noch je ein weiterer Achtelfinalist ermittelt wird, könnte es knifflig werden. Das gilt auch für die Staffel E, in der Brasilien, die Schweiz und Serbien um zwei Achtelfinalplätze rangeln, sowie für die ebenfalls am Mittwoch spielende deutsche Gruppe F, in der gar alle vier Mannschaften mit der Aussicht auf die Versetzung antreten. Zwei der drei H-Teams aus Japan, Senegal und Kolumbien werden zudem am Donnerstag die Zulassung für die Runde der letzten 16 erhalten. In der Gruppe G geht es dagegen am selben Tag zwischen Belgien und England nur noch um den ersten Platz.

In der Reihenfolge Punkte, Tore, direkter Vergleich und Fairplay-Wertung werden die Entscheidungen in den einzelnen Staffeln fallen. Zur Not muss bei komplettem Gleichstand nach allen mathematischen Instanzen das Los entscheiden. Begleitet werden diese Rechenspiele im laufenden Betrieb von Standleitungen in die anderen Stadien zu den jeweiligen Parallelspielen - und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch von nervösen Amtshandlungen der Protagonisten. Nur in einem Fall wissen die Beteiligten schon jetzt, wie sich die Dinge in ihrem Sinne steuern ließen. Sie müssten einfach gar nichts tun und wären dennoch sicher im Achtelfinale.

In der Gruppe C ist dies der Fall, in der am Dienstagnachmittag die vorzeitig qualifizierten Franzosen auf Dänemark treffen. Für Frankreich geht es nur noch um das nachrangige Ziel Gruppensieg, um aller Voraussicht nach den bisher starken Kroaten aus dem Weg zu gehen. Der aktuelle Tabellenzweite der Gruppe C, Dänemark, benötigt seinerseits einen Punkt, um sicher zu den 16 besten Teams zu zählen und damit sein erklärtes Turnierziel zu erfüllen. Die gute Nachricht aus Sicht der Franzosen und Dänen ist, dass sie in der gemeinsamen Verabredung im Moskauer Luschniki-Stadion ihre Ziele lässig erreichen können. Sie müssten dafür nur zum Dienst antreten, sich den Ball gefahrlos zukicken und auf ein Unentschieden einigen, durch das jeder von ihnen den noch nötigen Punkt für sein Ziel sicher hätte. Der ehemalige Bremer und künftige Dortmunder Bundesliga-Profi Thomas Delaney lässt anklingen, dass er sich mit dem zweiten Platz in der Gruppe gut arrangieren könnte. "Wenn uns das vorher einer gesagt hätte, wir hätten es angenommen", sagt der Mittelfeldspieler der Dänen.

Das ist zugleich die schlechte Nachricht für die Australier. Sie müssen fürchten, spätestens im Verlauf eines knappen Spiels zwischen Frankreich und Dänemark Opfer eines Paktes zu werden, der in verschärfter Form vor 36 Jahren und einem Tag als Schande von Gijón als dunkles Kapitel in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Am 25. Juni 1982 standen sich Deutschland und Österreich bei der WM in Spanien gegenüber und schoben sich die Bälle beim Stand von 1:0 für die DFB-Elf unmotiviert zu, weil dieses Ergebnis beiden fürs Weiterkommen reichte. Leidtragende waren damals die Algerier, die bereits am Vortag gespielt hatten. Seitdem werden die entscheidenden letzten Gruppenspiele zeitgleich ausgetragen. Doch auch das schützt nicht vor Absprachen, und seien es spontane bei entsprechendem Spielverlauf. Wie bei der WM 2010 in Südafrika, als es der spätere Weltmeister Spanien und Chile in der Schlussphase bei einem 2:1 beließen, das beide weiterbrachte.

Die Australier versuchen, solche Szenarien beiseite zu schieben. "Als Spieler darfst du dir nicht noch um andere Dinge Gedanken machen", sagt Kapitän Mile Jedinak, "zuerst geht es darum, dass wir unsere Leistung zeigen und ein Ergebnis holen, nämlich drei Punkte." Doch ein Sieg gegen das bereits ausgeschiedene Peru in Sotschi reicht Australien nur dann zur Versetzung, wenn Frankreich gleichzeitig gegen Dänemark gewinnt. Vorausgesetzt, die Australier weisen danach auch die bessere Tordifferenz auf, und sei es nur beim Vergleich der erzielten Tore mit denen der Dänen. "Alles geht so schnell, wir wollen nicht, dass die WM für uns schon zu Ende ist", sagt Jedinaks Mannschaftskollege Aziz Behich, "wir hoffen, dass Frankreich uns einen Gefallen tut und diese Reise weitergeht." Mathew Leckie von Hertha BSC findet nach den beiden Partien gegen Frankreich und Dänemark mit nur einem Punkt Ertrag: "Wir haben zwei sehr gute Leistungen gezeigt, die wahrscheinlich niemand erwartet hätte. Wir hätten mehr verdient." Aber auch die Australier wissen natürlich, dass im Luschniki-Stadion zwischen Frankreich und Dänemark mehr als nur die Erinnerung an Gijón droht.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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