Achtelfinal-Gegner Slowakei:Alle Daten auf Knopfdruck

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Den akribischen Analysten des deutschen Teams kommt die 1:3-Niederlage im Testspiel vor vier Wochen gerade recht.

Von Christof Kneer, Évian

Die Nordiren haben sich ziemlich gewundert, als sie plötzlich die Deutschen auf sich zurennen sahen. Von der Seite wollten die Nordiren gerade einen ihrer gefürchteten Freistöße hoch in die Mitte hauen, die Kopfballspezialisten im Team (also alle) waren schon auf dem Weg nach vorne, aber dann liefen plötzlich die Deutschen hinten raus. Die Nordiren mussten also mit raus, wenn sie nicht zu acht im Abseits stehen wollten, und am Ende blieb dem Schützen nichts anderes übrig, als den Freistoß kurz auszuführen. Und wie heißt das so zeitlos schön im Fußballdeutsch: Der Freistoß brachte nichts ein.

Das ist ja das Gefährliche an dieser deutschen Fußball-Nationalmannschaft: dass sie sich einfach weigert, einen Gegner zu unterschätzen. Sogar Bundestrainer Jogi Löw wusste nach dem Spiel mit erstaunlichem Interesse am Detail zu berichten, "dass die Nordiren zehn ihrer 16 Qualifikations-Tore nach Standards erzielt haben". Ja gut, und wenn die Nordiren das gemacht haben, denken sich die Deutschen, dann kann man ja was dagegen tun. Im Training haben sie die Variante mit dem Rausrennen einstudiert, das ist im Übrigen gar nicht so einfach, wie es klingt. Es geht ja auch darum, sich nach erfolgter Räumung des eigenen Strafraums rechtzeitig wieder fallen zu lassen. Wer das anschließende Spiel (1:0) gesehen hat, könnte sich im Übrigen vorstellen, dass die Deutschen das Rausrennen so oft geprobt haben, dass sie einfach keine Zeit mehr hatten, auch noch das Verwerten von Torchancen einzuüben. Die brachten nämlich, wie jeder weiß, mit einer Ausnahme auch nichts ein.

Die Slowaken sollten sich also besser nicht darauf verlassen, dass es ihnen gelingen wird, irgendeinen Trick unterm Radar durchzuschmuggeln. An diesem Donnerstag haben sich die deutschen Nationalspieler mit slowakischen Standardsituationen beschäftigt, und mit einiger Hingabe haben sie sich natürlich auch noch mal das Kopfballtor betrachtet, das sie vor vier Wochen im Testspiel gegen die Slowaken kassiert haben. Damals flog ein von Vladimir Weiss abgeschickter Eckball kurz in Richtung des vorderen Pfostens, wo Stürmer Michal Duris vor Joshua Kimmich und Mario Gomez an den Ball kam. Kleine Prognose: Im Achtelfinale am Sonntag wird Duris eher nicht so frei zum Kopfball kommen.

Wer die deutschen Monster-Akribiker kennt, der ahnt, dass sie nicht mal der neue EM-Modus ernsthaft beunruhigen kann. Es klingt beim ersten Hören ja etwas bedrohlich für die deutschen Planungsweltmeister, dass sie erst am Mittwochabend planen konnten, wer am Sonntag ihr Achtelfinal-Gegner ist. Aber natürlich braucht sich so ein dahergelaufener Modus nicht einzubilden, dass er die Deutschen überlisten kann. Seit Jahren arbeitet die Nationalmannschaft mit dem sogenannten "Team Köln" zusammen - mit einigen Dutzend jungen Spielanalysten von der Sporthochschule, die über jeden Gegner der Welt jeden möglichen und unmöglichen Fakt sammeln und auswerten. Schon vor dieser Europameisterschaft haben sich die Analysten in vier- oder fünfköpfige Untergruppen aufgeteilt, von denen jede für eine Vorrundengruppe bei diesem Turnier verantwortlich war.

So hätte der DFB-Trainerstab mit demselben Knopfdruck belastbare Daten über Albanien, Wales oder Island abrufen können, wie er es nun bei der Slowakei tut. Jeder deutsche Spieler wird also wieder ein detailliertes Profil seines Gegenspielers übermittelt bekommen, inklusive Hemdengröße möglicherweise. Aber im Falle der Slowakei kommt erleichternd hinzu, dass die Gegenspieler diesmal mehr sind als nur theoretische Namen, Nummern und Figuren auf einem Analysebildschirm. Dank der konkreten 1:3-Testspielniederlage vor vier Wochen in Augsburg, die die deutschen Trainer nun für ihre Zwecke zu nutzen versuchen - das Ergebnis soll den Spielern genügend Körperspannung verschaffen und jene Schärfe, die es braucht, um wieder schneidige Laufwege anzureißen und sich energisch in den gegnerischen Strafraum zu drängeln. Und gleichzeitig soll das Ergebnis aus Augsburg auch dazu beitragen, dass die Menschen in der Heimat vor ihren Grills nicht zwingend ein Drei- oder Fünfzunull erwarten - obwohl die Slowaken aktuell noch um das Mitwirken prägender Spieler wie Rechtsverteidiger Peter Pekarik (Hertha BSC/Nasenbeinbruch), Linksverteidiger Tomas Hubocan (Dynamo Moskau/Fersenverletzung) oder Rechtsaußen Robert Mak (ehemals Nürnberg/Muskelbeschwerden) bangen. Es sei doch "die klare Erkenntnis der Vorrunde", sagt Co-Trainer Thomas Schneider, "dass die kleineren Teams sehr, sehr gut organisiert sind und hervorragend verteidigen".

Von den Slowaken erwarten die Deutschen dennoch einen anderen Plan als von den Nordiren; die Slowaken können Fußball nicht nur verhindern, sondern auch selber spielen. "Einen technisch sehr ansehnlichen Fußball mit Dynamik und gutem Umschaltspiel" hat Schneider erkannt, und den grandiosen Mittelfeldspieler Marek Hamsik (SSC Neapel) mit seiner ausgezeichneten Frisur betrachten selbst die deutschen Weltstars als ihresgleichen, ebenso den steinharten Abwehrchef Martin Skrtel vom FC Liverpool.

Er sei "technisch sehr versiert, zudem offensivstark und extrem torgefährlich", hat der 31 Jahre alte Skrtel am Donnerstag grinsend gesagt und war vermutlich stolz auf seinen Spitzenwitz. Aber vermutlich muss man den Mann enttäuschen: Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit hat das Team Köln auch diesen Witz vorher schon längst gescoutet.

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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