Abschied von zwei Routiniers:Lieber dem Herzen nach

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Jenson Button und Felipe Massa, zwei der erfahrensten und beliebtesten Piloten der Formel-1-Historie, räumen nach dem Rennen in Abu Dhabi ihre Plätze für eine neue Fahrer-Generation.

Von René Hofmann, Abu Dhabi

Als Jenson Button sein erstes Formel-1-Rennen bestritt, war Michael Schumacher mit Ferrari noch nie Weltmeister geworden und sein Bruder Ralf galt als große Rennfahrer-Hoffnung. Im Frühjahr 2000 war das. Button war 20 und damit der bis dato jüngste britische Formel-1-Fahrer. Seitdem wurden mehr als 300 Grand-Prix-Rennen ausgetragen, und wenn er beschreiben soll, was er in all denen erlebt hat, kommt selbst der eloquente Button ein wenig ins Stocken. "Wow, dann würden wir hier noch ein Weilchen sitzen", sagt Button. Dafür, wie das so ist mit dem Kommen und dem Gehen, dafür hat er eine einfache Formel gefunden. "In die Formel 1 kommst du voller Träume", sagt Jenson Button, "und wenn es gut läuft, gehst du mit vielen Erinnerungen."

Das Rennen an diesem Sonntag in Abu Dhabi wird sehr wahrscheinlich sein letztes auf der ganz großen Bühne sein. Button, 36, hat zwar die Option, 2018 nach einem Sabbatical noch einmal bei McLaren-Honda einzusteigen, aber so recht glauben mag daran niemand, auch er selbst nicht. "Ich gehe das Wochenende an, als sei es mein letztes", sagt Button. Und weil das so ist, hat er dieses Mal auch seine Mutter mitgebracht und seine langjährige persönliche Assistentin, die sich zuletzt rar gemacht hatte. Sie bittet im Fahrerlager Weggefährten, Erinnerungen in ein Album zu schreiben. Ein ziemlich dickes, ziemlich spannendes Werk dürfte da zusammenkommen.

Button ist für Williams (2000), Benetton (2001), Renault (2002), BAR (2003-2005), Honda (2006-2008), Brawn GP (2009) und für McLaren (seit 2010) gefahren. Gelegentlich war sein Eifer so groß, dass er sich sogar zwei Rennställen mit gültigen Verträgen versprach. 2009 wurde er völlig überraschend Weltmeister. Die Pirouette, die die Formel-1-Geschichte damals drehte, ist einzigartig.

Zu sehr Sunnyboy, zu wenig seriöser Arbeiter

Button war der Liebling des damaligen Honda-Konzerns. Dann aber verlor die Firma die Geduld. Sie verkaufte ihr hochgerüstetes Werksteam für einen symbolischen Betrag an den einstigen Ferrari-Technikchef Ross Brawn. Dieser sicherte sich klug die starken Mercedes-Motoren und ersann einen aerodynamischen Trick, auf den sonst niemand kam, den Doppel-Diffusor. Mit diesem Wunderteil, das das Heck des Rennwagens an den Asphalt saugte, brauste Button zum Titel. "Das war schon wirklich etwas ganz Besonderes", sagt Button.

Zu jener Zeit hatte kaum mehr jemand Button einen solchen Coup noch zugetraut. Zu sehr Sunnyboy, zu wenig seriöser Arbeiter: So lautete sein Image, das nicht nur er selbst mit wechselnden Bekanntschaften pflegte, die er im Fahrerlager spazieren führte. Auch sein Vater John tat viel dafür, dass die Formel 1 selbst in der Hochzeit der Konzern-Engagements nicht nur nach harter Arbeit aussah. Bunte Hemden und stets ein buntes Getränk im Glas: Als John Button im Januar 2014 starb, verlor die Serie mehr als nur einen Fahrervater.

Jenson Button blieb sich auch im Moment des größten Erfolges treu. Obwohl er hätte bleiben können, verließ er Brawn GP nach seinem Titel, just als Mercedes den Rennstall übernahm und zu seinem Werksteam ausbaute. Stattdessen heuerte Button bei McLaren an, wo er in seinen letzten Formel-1-Jahren eher freudlos hinterherfuhr, aber er wollte halt unbedingt auch einmal für diese britische Institution antreten, die er in seiner Kindheit bewundert hatte. Lieber dem Herz nach als der Ideallinie: So ist er gewesen, und irgendwie passt es, dass er just jetzt seinen Abschied nimmt, da auch ein anderer geht, dem das Herz oft überfloss - Felipe Massa.

Schluchzend in einer brasilianischen Flagge

Massa wuchs in São Paulo auf, direkt an der Mauer zum berühmten Autódromo José Carlos Pace in Interlagos. Vor zwei Wochen setzte er beim Rennen dort seinen Williams im Regen an die Leitplanken an der Einfahrt zur Boxengasse. Bedröppelt stieg Massa aus und marschierte an der Haupttribüne entlang zurück zu seiner Williams-Mannschaft. Die Fans feierten den Havarierten, und in der Boxengasse reihten sich die Mechaniker vieler Teams zu einem Spalier auf, das Massa - eingehüllt in eine brasilianische Fahne - schluchzend abschritt.

"Das hat es noch nie gegeben", sagt der 35-Jährige in Abu Dhabi, immer noch tief bewegt. Und das stimmt ja auch. Wie es in der Formel-1-Geschichte zuvor auch noch nie einen Fahrer gegeben hatte, der sich nur 20 Sekunden lang über den Titelgewinn freuen durfte. 2008 war das Massa widerfahren, ebenfalls in Interlagos, als Lewis Hamilton auf der letzten Runde in der letzten Kurve an Timo Glock vorbeizog, so den entscheidenden Platz gutmachte und Massa den Triumph aus den Händen schlug. Und dass einem Fahrer bei Vollgas eine Dämpferfeder gegen den Helm prallt, die das Auto eines vorausjagenden Landsmannes verloren hat - das war ebenfalls ein einmaliger Moment: 2009 ereignete er sich in Budapest. Der Vorausfahrende hieß Rubens Barrichello, Felipe Massa wurde lebensgefährlich verletzt. Als Ersatz wollte Ferrari den siebenmaligen Weltmeister Michael Schumacher aus dem Ruhestand holen, aber das verhinderte ein Nackenleiden.

Felipe Massa hat viele Geschichten erlebt, die Formel-1-Geschichte geschrieben haben. Er steht für die Sympathie, die auch ein ewiger Zweiter in dieser scheinbar auf den ultimativen Erfolg zugespitzen Umgebung sammeln kann, Button für die fröhliche Seite der Formel 1, für die Unbeschwertheit, die dem Geschäft trotz allen Krisengeredes in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten doch auch immer noch anhaftete.

Nur noch zwei Veteranen bleiben übrig

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(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Der Nachwuchs steht bereit: Der Kanadier Lance Stroll (Williams),...

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(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

...der Belgier Stoffel Vandoorne (McLaren Honda) und...

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(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

...der Franzose Esteban Ocon (Manor Racing) schnupperten bereits Formel-1-Luft.

"Es ist wirklich eine Generation, die da abtritt", sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Es ist die Generation, die sich noch mit Michael Schumacher in seinem ersten, überwältigend erfolgreichen Karriereabschnitt duellierte. Aus dieser Zeit bleiben nun nur noch zwei: Kimi Räikkönen, 37, und Fernando Alonso, 35. Der Finne hat noch einmal einen Einjahres-Vertrag bei Ferrari erhalten, der Spanier will die aufreibende Aufholjagd mit McLaren-Honda noch ein Weilchen fortsetzen.

"Felipe und Jenson waren echte Helden unseres Sports", sagt Williams-Teamchefin Claire Williams. Wer werden die nächsten Helden? Und wofür die wohl stehen werden?

Für Massa rückt der 18 Jahre alte Kanadier Lance Stroll nach, dessen Familie so reich ist, dass sie sich nicht nur eine echte Rennstrecke leisten kann, sondern dem Talent auch einen zwei Jahre alten Formel-1-Wagen kaufte und diesen für Übungsrunden mit aktuellen Motor bestücken ließ. Buttons Sitz bekommt der 24-Jährige Stoffel Vandoorne, ein Belgier, der vergangenes Jahr die Nachwuchsserie GP2 gewann. Als dritter Stammfahrer-Neuling wird sich 2017 der Franzose Esteban Ocon bei Force India versuchen dürfen, ein 20-jähriger Mercedes-Protegé. Was sie eint? "Dass sie sich ihre Plätze wirklich verdient haben", findet Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

Die Zeit, in der Geld alleine die Türen zur Königsklasse öffnete, geht offenbar zu Ende. Ansonsten fällt vor allem auf, dass es keinen echten Trend gibt. Europa, Amerika, Asien - Talente können überall herkommen. Der Talent-Pool habe sich "ausdifferenziert", findet Wolff. Claire Williams, 40, die das Lebenswerk ihres Vaters Frank, 74, fortführen will, knüpft große Hoffnungen an die Debütanten: "Sie sind Repräsentanten einer neuen, digitalen Generation, die mit Social Media aufgewachsen ist. Sie werden den Sport hoffentlich stärker mit den Millennials verbinden und so unsere Zukunft sichern."

Jenson Button ist derlei ziemlich egal. Er hat seine ganz eigene Zukunftsplanung. Er sagt: "Ich gehe definitiv happy mit dem, was ich erreicht habe - und im Wissen, dass mein Leben jetzt erst wirklich beginnt."

© SZ vom 27.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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