Abfahrts-Weltcup in Sestriere:Vom Winde verweht

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Hilde Gerg unterliegt der Österreicherin Renate Götschl, die in Frankreich gewinnt.

Wolfgang Gärner

"Es ist keine Schande, die Abfahrtswertung gegen Renate Götschl zu verlieren." Eine Schande gewiss nicht, ärgerlich in jedem Fall, weshalb Hilde Gerg gestern im Zielraum von Sestriere ergrimmt einige Ausrüstungsgegenstände von sich warf: Handschuhe, Stöcke, Rückenprotektor.

Diese letzte Chance für sie, den Abfahrtsweltcup noch zu gewinnen, war eine winzig kleine geworden durch ihren achten Platz von Haus im Ennstal, nachdem sie sich bis dahin mit mustergültiger Zuverlässigkeit im Kreis der Besten dieser Disziplin gehalten hatte: ein Sieg (in Cortina), drei dritte Plätze, zwei fünfte, ein sechster, schlechtestenfalls Achte in den Abfahrten.

Unscheinbare Französin

Das Rote Trikot für die Führende in der Weltrangliste hatte sie von der zu Anfang des Winters unüberwindlich scheinenden französischen Olympiasiegerin Carole Montillet in Veysonnaz übernommen, es einen Monat lang getragen, und musste es abtreten an die Österreicherin Renate Götschl in Haus im Ennstal.

Die Frau im Roten Trikot gegen die Frau mit dem Goldhelm lautete das Duell, Montillet hatte sich nur einmal noch mit einem Sieg in Cortina in Erinnerung gebracht. Als es zur letzten Station ging, hatte die Frau mit dem Goldhelm unübersehbare Vorteile: 67 Punkte Vorsprung für Renate Götschl, nur bei Zusammentreffen vieler günstiger Faktoren wett zu machen in einem einzigen Rennen.

Nämlich so: Hilde Gerg hätte gewinnen müssen und die Kontrahentin bestenfalls Siebte werden dürfen. Die andere Rechnung, noch ein Stück vager, wäre so aufgegangen: Die Deutsche wird Zweite und die Spitzenreiterin geht leer aus, kommt nicht unter die besten 15. Die war aber seit dem 6. Dezember in jeder Weltcupabfahrt mindestens Dritte gewesen, fünfmal besser, nur einmal, beim Saisonstart in Lake Louise schlechter als 13.

Alles möglich

Dass ihre Aussichten nur noch rein theoretischer Art gewesen seien, stellte Hilde Gerg dennoch energisch in Abrede: "Wenn es heute anders herum ausgeht - wenn Renate Neunte wird, und ich gewinne, dann ist es möglich." Viele sagen, sie denken nicht an den Weltcup, Hilde Gerg hat schon des öfteren in diesem Winter erklärt, dass sie sich sehr wohl um die Trophäen für Abfahrt und Super-G bewerbe.

Die Chancen waren geschwunden (auch in der Wertung für den Super-G, die heute entschieden wird, und in der sie hinter Götschl und Montillet an Rang drei liegt, 86 Punkte hinter der Österreicherin), aber Weltklasseathleten haben den Wesenszug, zu kämpfen bis zum Schluss. "Ich bin angetreten, um dieses Rennen zu gewinnen, oder mindestens auf das Podest zu kommen", sagte Hilde Gerg nach der letzten Abfahrt des Winters.

Vom Podest war sie 0,62 Sekunden entfernt, vom Disziplin-Weltcup 1,14. Die Frau mit dem Goldhelm hatte sich im Starthang fast acht Zehntel Rückstand eingehandelt, schnell gewachsene Hoffnungen bei der Konkurrenz aber als verfrüht korrigiert: Bestzeiten an suite bei den folgenden Zwischenzeitmessungen, im Ziel der Konkurrenz deutlich enteilt.

Verhaltener Jubel

Die Fahrerin mit Startnummer 15 konnte schon mal verhalten zu jubeln beginnen und sich vom Teamkollegen Eberharter gratulieren lassen, der sich die gleiche Trophäe vier Tage zuvor in Kvitfjell gesichert hatte. Die Startnummer - vielleicht war es das, ganz sicher war es das, meinte Hilde Gerg, sechs Nummern später losgefahren, acht Plätze weiter hinten geendet: "Offensichtlich habe ich im Training noch zu wenig gebremst", lautete ihre Mutmaßung.

Denn gebremst, vor dem Ziel angeschwungen, hatten alle beim Qualifying, um nur ja nicht in die hohen Startränge für die Trainingsbesten zu geraten. Weil ziemlich sicher angenommen werden musste, dass um die Mittagszeit der Wind um den Abfahrtsberg stärker werden würde. Die zweitplatzierte Schweizerin Sylviane Berthod fuhr mit der elf, Isolde Kostner als Dritte mit der 25 war die Einzige im Spitzenfeld mit einer Nummer aus dieser Region.

Aber die Italienerin galt auch als spezieller Fall, zu allem fähig auf dieser Piste, wo sie 1997 Weltmeisterin in Abfahrt und Super-G geworden war.

Gerg konnte nicht

Ihr hatten die Gegnerinnen zugetraut, dass sie sogar dem Wind trotzen könnte. Hilde Gerg konnte das nicht, "bei diesem Wind war nicht mehr möglich für mich", und zum Scheitern verdammt war ihr Vorhaben, sich bei den ersten Dreien dieses Rennens einzureihen.

"Dass mir das nicht gelang, ist es, was mich ärgert - mehr als die Tatsache, den Weltcup nicht gewonnen zu haben." Den Renate Götschl überlassen zu müssen, ist keine Schande, und auch die 19-jährige Maria Riesch hatte Recht, wenn sie nach ihrem ersten Auftritt beim Weltcupfinale meinte, sie müsse sich keine Vorwürfe machen als Zwölfte. "Denn ich glaube, dass ich eine ganz gute Saison hatte." Daran kann sich am Ende nichts mehr ändern.

© SZ v. 11.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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