0:0 zwischen dem HSV und Bayer 04:90 Prozent Frieden, 100 Prozent Nullnummer

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Emir Spahic traf auf seinen Ex-Verein Leverkusen und überspringt hier den Stürmer Chicharito. (Foto: Michael Schwarz/imago)

Nach der giftigen Begegnung in der vorherigen Saison setzt Leverkusen bei diesem Auftritt in Hamburg auf Entspannung.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Vor einem knappen Jahr ging die Begegnung zwischen dem Hamburger SV und Bayer Leverkusen als eine der härtesten in die Bundesliga-Geschichte ein. 54 Fouls wurden gepfiffen, neun gelbe Karten gab es. Und die Rheinländer beklagten sich nach ihrer 0:1-Niederlage über eine "Treibjagd" und ein "Spießrutenlaufen". Bayer war mit zwei vom HSV abgeworbenen großen Talenten angetreten, nämlich Heung Min Son und Hakan Calhanoglu.

Da vergaßen die Fans schnell, dass die vermeintlichen Diebe dafür auch einen "marktgerechten Preis" (Bayer-Direktor Rudi Völler) von zusammen fast 25 Millionen Euro gezahlt hatten. Beim leistungsgerechten 0:0 an diesem Samstag standen knapp 40 Fouls und sieben gelbe Karten (sechs für die Hamburger) zu Buche. Doch Bayer-Trainer Roger Schmidt machte eine überraschende Rechnung, die deutlich auf Entspannung setzte.

Von der giftigen Atmosphäre des vergangenen Jahres seien nur noch "zehn Prozent" übrig geblieben, meinte er großzügig. Wenn er das nächste Mal käme - falls er und Calhanoglu da noch bei Bayer seien - würde die Feindschaft vielleicht gar kein Thema mehr sein. Eine überraschende Bilanz, denn auch diesmal äußerten viele HSV-Fans "sehr klar ihre Meinung", wie Leverkusens Nationalspieler Christoph Kramer erstaunlich nüchtern feststellte.

Zwei ehemalige Leverkusener retteten HSV den Punkt

Als der erst nach 77 Minuten eingewechselte Calhanoglu anfing, sich kurz nach der Pause mit seinen Kollegen vor der Kurve der wildesten HSV-Fans warmzulaufen, wurde es unschön. Es flogen Bierbecher und Feuerzeuge in seine Richtung. Nach kurzer Zeit dirigierte Schiedsrichter Tobias Welz die Bayer-Ersatzspieler zu einer nicht ganz so gefährlichen Stelle.

Jonathan Tah, der im Sommer ebenfalls aus Hamburg nach Leverkusen gewechselte U21-Nationalspieler, hatte sich zu dieser Zeit längst an die Pfiffe seiner ehemaligen Anhänger bei jedem Ballbesitz gewöhnt. Der 19-jährige Innenverteidiger bot eine so abgeklärte Vorstellung, als habe er nichts von dem Unmut auf den Rängen gehört. Dabei waren die "Bayer-Diebe" auch bei ihm recht generös gewesen. Sie zahlten acht Millionen Euro Ablöse, weitere zwei Millionen kommen noch dazu, sollte Tah zu einem noch größeren Klub wechseln.

Nach 77 Minuten eingewechselt: Hakan Calhanoglu, auf dem beim Warmlaufen Bierbecher und Feuerzeuge flogen. (Foto: Dennis Grombkowski/Getty Images)

Das Kuriose aber in diesem intensiven Spiel war, dass besonders zwei ehemalige Leverkusener dem HSV wenigstens einen Punkt retteten. In der ersten Halbzeit, als der Champions-League-Teilnehmer den Abstiegskandidaten der letzten Jahre dominierte, verhinderte Torwart René Adler, dem nach 49-tägiger Verletzungspause ein starkes Comeback gelang, gleich dreimal mit fantastischen Paraden die Führung der Gäste.

In der 24. Minute bei einem Kopfball von Kyriakos Papadopoulos, in der 27. Minute, als er einen 22-Meter-Schuss von Ömer Toprak über die Latte lenkte und in der 41. Minute, als er gegen Julian Brandt rettete. Der andere frühere Leverkusener war der 35-jährige Verteidiger Emir Spahic, der mit fast fehlerlosem Spiel die Abwehr des HSV zusammenhielt. Der zuweilen aufbrausende Bosnier musste im Frühjahr ja Bayer verlassen, weil er einen Ordner geschlagen hatte.

Adler hat Kampf um Nummer 1 wieder gewonnen

Dass die Hamburger nach Jahren des Abstiegskampfes inzwischen wieder eine wettbewerbsfähige Mannschaft haben, hatte aber nicht nur mit Adler (der gerade das interne Duell mit Konkurrent Jaroslav Drobny gewonnen hat) und Spahic zu tun. Auch auf der Sechser-Position sind die Hamburger inzwischen gut aufgestellt. Lewis Holtby und Albin Ekdal sorgten dafür, "dass wir eine der spielstärksten Mannschaften weitgehend von unserem Tor weggehalten haben", wie Trainer Bruno Labbadia stolz feststellte.

Marcelo Diaz wurde nach seiner Rückkehr von Länderspielen in Südamerika sogar noch geschont. Und dass man in Aaron Hunt noch einen Spieler verpflichtet hat, der das Tempo variieren kann, hat dem HSV, der in der zweiten Halbzeit sogar mehr vom Spiel hatte, ebenfalls gut getan. In der 50. Minute hatte Hunt sogar das Siegtor auf dem Fuß. Bayer-Keeper Bernd Leno parierte aber genauso großartig wie vorher sein Gegenüber Adler.

Dumm nur, dass Aaron Hunt in der 82. Minute verletzt ausgewechselt werden musste. Im schlimmsten Fall ist es ein Muskelfaserriss. Ob Bayer-Klubchef Michael Schade sein Versprechen wahrgemacht hat, den einstigen Leverkusener Emir Spahic in den Arm zu nehmen, konnte nicht so schnell geklärt werden. Gepasst hätte es aber nach der Punkteteilung und dem neunzigprozentigen Frieden, den Roger Schmidt ausgemacht hat.

© SZ vom 18.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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